Ein Freund, ein guter Feind

Gisela Dachs versammelt im neuen Jüdischen Almanach Essays über Freunde und Feinde und vieles dazwischen.

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Gisela Dachs (Herausgeberin): Freundschaften Feindschaften. Jüdischer Almanach des Leo Baeck Institute. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2020, 248 S., € 22,70

Ein aktuelleres Generalthema hätte Gisela Dachs kaum finden können als Freundschaft–Feindschaft. Denn das ist seit Carl Schmitt, dem Rechtsextremisten der Staatswissenschaft, eine schier klassische Konstellation und „Kenne deinen Feind“ eine strategische Maxime. Tritt man einen kleinen Schritt zurück, hat es genau mit jenem zu tun, das die wieder einmal rührige, so einfallsreiche wie gut vernetzte Gisela Dachs im Auftakt ihres Geleitworts erwähnt – mit sehen. Und wahrgenommen werden. Freund, Feind und das breite graue Feld dazwischen: Das ist eben durchaus entscheidend ein Akt der Fremdwahrnehmung und der Eigeneinstufung, von Grenzen wie von Trennendem, von Sym- wie von Antipathie.
Dass es auch manchmal literaturhistorisch-antiquarisch zugeht im Jüdischen Almanach zeigt Andree Michaelis-König in ihrem Porträt des Streits zwischen den beiden Dichtern Heinrich Heine und August von Platen in den Jahren 1827ff. Das Wort „untergriffig“ gab es bereits im 19. Jahrhundert, und zwar in einer Untergriffigkeitsdimension, die heute stehenden Fußes vor einem Gericht landen würde – nachdem ein enormer Twitter-Proteststurm durch das Internet geweht worden wäre. Nannte doch der eine den Juden einen „Juden“, und der in Paris Lebende nannte den homosexuellen adeligen Lyriker aus Franken coram publico einen Homosexuellen, woraufhin dieser den deutschen Verhältnissen nach Süden, nach Italien entfloh und 1835, mit 39 Jahren, in Palermo auf Sizilien der Kombination von Alkoholsucht und Kolik erlag. Die Feinde waren am Ende beide Verlierer.

»Wie großartig und wunderbar ist die Tugend der Liebe zwischen Freunden [chaverim],
die zusammengehören und von Herz zu Herz miteinander sprechen, und jeder liebt seinen Freund wie seine eigene Seele.«
Abraham Weinberg

Einen gewissen Schwerpunkt bilden Aufsätze über Politikerfreundschaften, Abraham Heschel und Martin Luther King, Sadat und Begin, Adenauer und Ben-Gurion. Obschon die Beziehungen im Grunde in Anführungszeichen zu setzen sind. Sorgsam wird das Pas-de-deux zwischen vielen Polen – Diplomatie, nationalpolitischem Eigensinn, kurzsichtigem innenpolitischem Klein-Klein, persönlicher Zugeneigtheit und hartnäckigen Visionsverweigerern um sie herum – aufgezeigt und ausgelotet. Zudem beugt sich Natan Sznaider, der einen Band über Antisemitismus mit herausgab, über Antisemitismus und befragt nicht nur sich selbst intensiv, sondern denkt, noch bohrender, über das Sujet „Von wem reden und theoretisieren wir also, wenn wir über Juden sprechen und nachdenken?“ nach. Schön auch, dass scheinbare Nebenbezirke beharkt werden, die Bösen in TV-Serien, Fußball (Makkabi vs. Hapoel), die Freimaurerei oder der im Alter unsäglich dichtende deutsche Großromancier Günter Grass.

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