Ein Geschenk für Daniel Spoerri

Anja Salomonowitz taucht in ihrem neuesten Filmprojekt in die Welt der bildenden Kunst ein. Während man Daniel Spoerri beim Assemblagen-Legen zusieht, entführt einen die Regisseurin auch in seine Vergangenheit und seine Innenwelt.

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„Dieser Film ist ein Geschenk“. Ein Film von Anja Salomonowitz über den Künstler Daniel Spoerri. Mit Daniel Spoerri, Oskar Salomonowitz und Federico Vecchi. Regie und Drehbuch: Anja Salomonowitz, Kinostart in Österreich am 6. Dezember 2019 © Anja Salomonowitz, 2019

Dieser Film ist ein Geschenk hat Anja Salomonowitz ihr jüngstes Filmbaby genannt. Wie es zu diesem Titel kam, würde die Erzählung des Streifens spoilern, aber so viel sei verraten: Diese Arbeit der Wiener Filmregisseurin hat nicht nur mit der Kunst Spoerris (geboren 1930 in Rumänien als Daniel Isaac Feinstein) zu tun, sondern auch mit der Erinnerung an ihren verstorbenen Vater. So flicht sie aus Spoerris Theorie, dass es einen steten Kreislauf gibt, in dem die Objekte ihre Bedeutung wechseln, aber auch ihren Wert, eine Geschichte, in der es nicht nur um das Andenken an ihren Vater geht, sondern auch ihr Sohn Oskar eingewoben wird, der den jungen Spoerri gibt.
Er wiederholt zunächst das, was der betagte Künstler von heute erzählt, und obwohl das Gesagte nahezu ident ist, verschiebt sich die Perspektive. Später wechselt er gänzlich in die Rolle des kleinen Daniel Feinstein, und durch die abwechselnden Auftritte Spoerris und Oskars treten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine noch klarere Beziehung. Der Daniel Spoerri von heute erinnert sich an das Damals, das für den Buben bedeutete, seinen Vater zu verlieren, der im Zug eines Pogroms ermordet wurde. Wenn Oskar in die Rolle Daniel Feinsteins schlüpft, hat dieser das Leben noch vor sich.
Salomonowitz spielt in ihrem neuen Film mit dem Motiv des Kreislaufs. Sie lässt zunächst Resurrection, eine Schwarz-weiß-Filmarbeit von Tony Morgan nach einem Konzept Spoerris, abspulen: Diese beginnt wenig appetitlich mit dem Gang eines Menschen auf die Toilette, um dort das auszuscheiden, was nach der Verstoffwechslung eines Schnitzels übrigbleibt. Im Rückwärtsmodus wird gezeigt, wie das Schnitzel geschnitten und verzehrt, zubereitet, wie das Fleisch vom Fleischhauer zerteilt wird, weiter wie davor das Rind geschlachtet wurde, wie es auf der Wiese stand und seinerseits eine Kuhflade auf die Erde plumpsen ließ.

Dieser Film ist ein Geschenk ist ein jüdischer Film, denn, das macht auch Spoerri selbst klar, sein Leben hätte ohne Holocaust und ohne die Ermordung seines Vaters wohl anders ausgesehen.

Nouveau Réalisme & Eat Art. Trotz Retrooptik könnte genau dieser Einstieg in das Thema aktueller nicht sein: Sobald das Schnitzel am Teller liegt, denkt man an die Klimaschutz-, Fleisch- und Vegandebatte. Und im Grund ist auch die Weise, wie die globalisierte Welt von heute funktioniert, ein Kreislauf, allerdings einer, der sich immer rascher und rascher bewegt: Das immer Mehr, dem sich der Mensch unterworfen hat, führt auch zu einer immer rascheren Ausbeutung, Verschmutzung und Zerstörung der Erde.
Spoerri war einer der Mitbegründer des Nouveau Réalisme. Doch die Mitstreiter und Mitstreiterinnen aus den 1960er-Jahren sind teils schon lange verstorben. Damals begründete er auch die Eat Art. Dabei fixierte er die Überreste von üppigen Banketten und hängte sie an die Wand (zum Beispiel im Museum Moderner Kunst im Wiener Museumsquartier zu sehen).

© Anja Salomonowitz, 2019

Heute lebt Spoerri in Wien, und die Materialien für seine Assemblagen findet er etwa auf Flohmärkten. Wie er diese gestaltet, skizziert Salomonowitz in verschiedensten Einstellungen. Man merkt, dass Spoerri lieber über seine Gedanken über die Verfasstheit der Welt – und dabei eben über Kreisläufe, über das Weiterleben in der Veränderung – spricht, als sich auf eine detaillierte Schilderung seiner sicher nicht einfachen Kindheit einzulassen. Doch Salomonowitz’ Sohn Oskar scheint hier als Eisbrecher zu fungieren. Spätestens als er auch eine Idee für eine Assemblage formuliert, wird er das Herz des Künstlers für sich eingenommen haben. Was es mit einem anderen Herzen auf sich hat, das erzählt der Film ebenso. Dieses steht inzwischen auf Salomonowitz’ Schreibtisch.
Dieser Film ist ein Geschenk ist ein jüdischer Film, denn, das macht auch Spoerri selbst klar, sein Leben hätte ohne Holocaust und ohne die Ermordung seines Vaters wohl anders ausgesehen. Eine Karriere hat sich der Vater für den Sohn gewünscht und einen Namen hat sich der Sohn dann ja auch gemacht, wenn auch nicht als Daniel Feinstein. Spoerri sagt aber auch, dass es wohl nicht die Laufbahn geworden ist, die sein Vater für ihn im Sinn hatte. Vielleicht, könnte man mutmaßen, hat erst der Bruch der Biografie das Künstlerdasein möglich gemacht.

© Anja Salomonowitz, 2019

Gelungen ist Salomonowitz hier ein Künstlerporträt, das so anders angelegt ist als andere Filme dieser Art. Mit dieser Intention ist die Regisseurin auch an dieses Projekt herangegangen, wie sie erzählt. „Als die Kinder klein waren, ging ich viel in Ausstellungen. Viel mehr als sonst. Da ist es ruhig am Vormittag, da können sie im Tragsack schlafen, und ich, ja, ich habe das Gefühl, ich bleibe total in der Welt und versinke nicht zwischen Breiangeboten und Babywahn. Und da gibt es immer diesen Film, dieses ‚Künstlerporträt‘, vor dem die Babys besonders gut schlafen und ich vor allem sitzen kann. Und da fällt mir auf, dass dieser Film immer gleich gemacht ist und so eine Strickart hat, die nicht nach strukturellen Hintergründen fragt … also warum das eigentlich meistens Männer sind oder was die Mechanismen des Kunstmarktes sind und … ja, da war die Idee geboren, einen dieser Filme nachzustellen mit lauter Menschen, die diese Voraussetzungen nicht haben, zum Beispiel ein Kind, das die Worte des Künstlers nachsagt, und damit die Machart dieser Filme einfach nur zu entkleiden.“

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