Ein Kind von damals

Das Museum zur Erinnerung FÜR DAS KIND feierte sein dreijähriges Bestehen mit dabei Mona Golabek, die die Geschichte ihrer Mutter aufgeschrieben hat.

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An die 1.000 Besucher, darunter viele Schülergruppen, aber auch Interessierte aus den USA, Israel und England konnte Museumsgründerin Milli Segal in den vergangenen drei Jahren bereits begrüßen. Mit der Dauerausstellung Für das Kind in der Radetzkystraße erinnert sie an die Kinder, die der Vernichtung mit einem „Kindertransport“ entkommen konnten – über 10.000 Kinder aus Deutschland, Österreich, der damaligen Tschechoslowakei und Polen konnten so gerettet werden. Sie traten ihre Reise zwischen November 1938 und dem 1. September 1939 an.

Mona Golabek,
Lee Cohen:
Die Pianistin von Wien. Eine Geschichte von Überleben, Liebe und Musik.
Amalthea Verlag 2017, 256 S., € 25

Eines dieser Kinder war Lisa Jura. Ihre Leidenschaft galt bereits in jungen Jahren dem Klavierspiel. So beschreibt es jedenfalls ihre Tochter Mona Golabek in ihrem Buch Die Pianistin von Wien, das 2003 in den USA und diesen Herbst erstmals auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. In dem Roman, der, wie die Autorin festhält, sich weitgehend, aber nicht ganz exakt an die historischen Begebenheiten hält, beschreibt sie Jugendszenen ihrer Mutter in Wien, den Kindertransport nach Großbritannien, das Ankommen in England, die dortige Fortführung des Klavierspiels. Die Erzählung, in der sich die Erinnerungen des Mädchens von einst mit dem Wissen der Nachkriegsgeneration zu einer emotionsreichen Schilderung mischen, endet mit dem Kennenlernen ihres späteren Mannes Michel Golabek.
Lisas Traum wurde von ihren beiden Töchtern verwirklicht: Mona und Renée wurden Konzertpianistinnen, auch ihre drei Enkelinnen fühlen sich wohl hinter dem Klavier. Was die Geschichte der „Pianistin von Wien“ abseits der erfolgreichen Rettung offenbart: die Brüche, die mit solch einer Flucht einhergehen, und das Leben, das sich danach aus völlig neuer Perspektive zeigte. Erwachsene müssen sich in der Ferne eine neue Existenz aufbauen, Kinder merken, dass sie in einer anderen Gesellschaft einen gänzlich anderen Platz zugewiesen bekommen als zu Hause. Zudem fehlen die Eltern, fehlt die vertraute Umgebung.
Als die Kinder in den Zug stiegen, konnten sie nur ein kleines Köfferchen mitnehmen – auch bei Lisa wird es nicht anders gewesen sein. Mit Fotos von Koffern ehemaliger „Kindertransport“-Kinder erinnert Segal in ihrem Museum auf einfühlsame Weise an die damalige Zeit. Ohne das Grauen direkt zu beschreiben, wird in diesen Bildern fassbar, was die Kinder nahezu vollständig zurücklassen mussten: ihr bisheriges Leben. Übrig blieben wenige Erinnerungsstücke, oft Fotos, eine Puppe, eine Haarbürste, Bücher, ein Rucksack. Das letzte Erinnerungsstück, das Lisa von ihrer Mutter Malka auf dem Bahnsteig vor dem Einsteigen in den Zug erhielt, war ein Umschlag mit einem Foto. Es zeigte die Mutter beim letzten Klavierkonzert, das Lisa in der Schule gegeben hatte. Auf die Rückseite hatte Malka geschrieben: „Damit du deine Mutter nicht vergisst.“
fdk.millisegal.at


Ausstellungsinfo:
A Monument of Good Deeds – Träume und Hoffnungen von Kindern während des Holocaust
Theater Nestroyhof Hamakom
Nestroyplatz 1, 1020 Wien
13. Dezember 2017 – 31. Januar 2018

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