Ein Künstlerpaar in wohl temperierter Harmonie

Die israelische Sängerin Sylvia Greenberg und der amerikanische Dirigent David Aronson blicken auf ein reiches musikalisches Leben zurück. Jetzt widmen sie sich jungen Talenten in Wien und Tel Aviv.

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David Aronson und Sylvia Greenberg lernten einander 1977 in Edinburgh kennen und heirateten neun Monate später. © Reinhard Engel

Sie kämmt ihm noch flink eine widerspenstige graue Locke zurecht, er wirft ihr behutsam Stichworte zu: Mutter, Militär. Jetzt kann’s losgehen, ein Künstlerpaar ist bereit für Fotoaufnahmen und ein Gespräch. Dass sie so harmonisch und humorvoll miteinander umgehen, muss an ihrer gemeinsamen Leidenschaft liegen, der Musik. Wenn man täglich damit lebt, was man liebt, färbt es auf die seelische Stimmung ab. Diesen Eindruck gewinnt man beim Besuch des multinationalen Paares: David Aronson, Pianist, Dirigent und Korrepetitor, ist gebürtiger Amerikaner und hat bereits eine 40-jährige Europäisierung hinter sich: ab 1978 in Zürich und seit 1991 in Wien. Sylvia Greenberg, Koloratursopran, wurde in Bukarest geboren und kam mit neun Jahren mit ihren Eltern nach Israel. Sie gelangte ein Jahr vor David, also 1977, mit einem Auslandsstipendium an das renommierte Internationale Opernstudio in Zürich.

„Bereits am Tag meiner Ankunft drängte der Leiter des Zürcher Opernstudios, der Amerikaner Marc Belfort, darauf, dass ich Sylvia kennenlernen müsse“, lacht Aronson. „Sie war damals mit der Zürcher Oper gerade in Edinburgh. Belfort muss ein gutes Gespür gehabt haben. Eine Woche später sah ich eine attraktive junge Frau in der Kantine, das war Sylvia. Neun Monate später waren wir verheiratet.“

Bis zu dieser romantischen Begegnung und dem Beginn einer internatio­nalen Karriere hatten beide sehr unterschiedliche Wege zurückgelegt.

© Reinhard Engel

„Obwohl meine Mutter Sängerin war und ich den Gesang sozusagen mit der Muttermilch mitbekommen habe, wollte sie unbedingt, dass ich ein Instrument erlerne, damit ich einen gesicherten Job in einem Orchester bekomme“, erzählt Sylvia, die deshalb zehn Jahre Violoncello spielte und ihr Studium auch absolvierte. „Weil ich an der Musikakademie in Jerusalem etwas mehr Freiheit hatte, habe ich aus lauter Jux begonnen, dort auch Gesang zu studieren. Meine Mutter ist erst drauf gekommen, als die Gesangslehrerin zu Hause anrief, weil ich zwei Stunden nicht bezahlt hatte. Denn um die Gesangsstunden zu finanzieren, habe ich in einer Militärfabrik Nachtschichten geschoben.“

Der berühmten amerikanischen Mezzosopranistin Jennie Tourel, die viel mit Leonard Bernstein zusammenarbeitete und an der Juilliard School of Music in New York unterrichtete, verdankt Greenberg ihre Entdeckung. „Sie kam für eine Masterclass nach Israel, und ich habe ihr eine Mozart-Arie vorgesungen. Tourel war davon so angetan, dass sie persönlich meine Mutter nach Jerusalem beorderte und überzeugte, dass ich die Laufbahn als Sängerin und nicht als Cellistin verfolgen müsste.“ Die Mutter gab den Widerstand auf und bat ihre eigene Lehrerin, die aus Czernowitz stammende Rosa Dampf, ihre talentierte Tochter zu unterrichten. Nach intensiven neun Monaten Privatunterricht erhielt Greenberg das höchstdotierte Stipendium der America-Israel Cultural Foundation und machte ihren Bachelor an der Musikakademie von Tel Aviv.

„Meine Neugier auf Europa war sehr groß,
weil es familiäre Wurzeln in Holland gab
und die Großeltern aus Minsk in die USA gekommen waren.“

David Aronson

Schon während ihres zweijährigen Militärdienstes engagierte sie der israelische Dirigent Shalom Ronli-Riklis laufend für Konzerte und Musikproduktionen. Er war als Assistent von Zubin Mehta auch mit dem Israel Philharmonic Orchestra beschäftigt und empfahl Sylvia, unbedingt dem Maestro vorzusingen. „Shalom meinte, ich verdiente eine Chance. Mehta engagierte mich tatsächlich gleich für die IPO-Serie „Leichte Klassik“, das waren so halb inszenierte Aufführungen. Er wollte unbedingt, dass ich die Partie der Rosina in Uniform singe, das hätte ihm gefallen“, lacht sie. Doch die knapp zwanzigjährige Sängerin widersetzte sich dem Wunsch Mehtas. „Meine Tante hatte mir aus Amerika ein wunderschönes bonbongrünes Kleid geschickt, und das wollte ich unbedingt tragen!“

Sylvia Greenberg, David Aronson:
Hausmusik
CD, Telos, 55:45

Den internationalen Durchbruch als Sopranistin im hohen Koloraturfach schaffte Greenberg 1977 von der Zürcher Oper aus. „Es war die klassische Geschichte: Ich bin für eine erkrankte Sängerin als Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte eingesprungen.“ Diese Partie wurde dann rasch zu ihrem Markenzeichen, und sie gastierte in den folgenden Jahren als sternflammende Königin in Glyndebourne, Hamburg, München, Stuttgart, Köln, Frankfurt, Wien, Paris und Mailand.

Der lange Arm des Ioan Holender „Meine Neugier auf Europa war sehr groß, weil es familiäre Wurzeln in Holland gab und die Großeltern aus Minsk in die USA gekommen waren“, erzählt David Aronson, der seine Ausbildung als Pianist und Dirigent an der Manhattan School of Music sowie an der Crane School of Music in Potsdam (New York) gemacht hat. 1978 war er an der Miami Opera engagiert und hörte, dass in Zürich eine Korrepetitorstelle frei sei. Er fuhr hin, nur um zu erfahren, dass die Stelle schon besetzt war. Die Enttäuschung war groß, dennoch fuhr er drei Wochen quer durch Europa. Kurz nach seiner Rückkehr in die USA erhielt er den entscheidenden Anruf : „Der Anwärter sei abgelehnt worden, und ich könnte die Stelle sofort antreten.“ Ohne zu zögern flog Aronson wieder nach Zürich – und so wurde Marc Belfort auch zum Schmied seines privaten Glücks.

Bevor Wien zum künstlerischen und privaten Mittelpunkt des Künstlerpaares wurde, gab es für David von 1982 bis 1991 eine sehr erfolgreiche Zwischenstation in Luzern: Schon in Zürich war er vom Korrepetitor zum Chorleiter und Dirigenten aufgestiegen, jetzt warb ihn das Stadttheater Luzern als Kapellmeister ab. Während der neun Jahre dirigierte er mehr als 40 Opern, Operetten und Ballettabende. Gleichzeitig absolvierte er Gastdirigate in mehreren deutschen Städten. In diesem Zeitraum war seine Frau fünf Jahre an der Deutschen Oper in Berlin engagiert und erweiterte ihr Repertoire um zahlreiche Partien, u. a. die Blonde (Entführung aus dem Serail), Oscar (Ein Maskenball) und Sophie (Der Rosenkavalier). Greenberg gastierte zu dieser Zeit bei den Festspielen in Salzburg, Bayreuth und Aix en Provence. An der Mailänder Scala sang sie die Titelpartie in Donizettis Lucia di Lammermoor.

Die Verpflichtung nach Wien verdankte Aronson dem Langzeitdirektor der Wiener Staatsoper Ioan Holender. Um genauer zu sein, Angelika Niederberger, der damaligen Operndramaturgin am Stadttheater Luzern, die öfter Besuch aus Wien bekam – und zwar von ihrem späteren Mann. „Holender war damals noch Künstleragent, und ich fragte ihn, ob er mich betreuen wolle. Kurz darauf wurde er mit Eberhard Waechter zum Operndirektor ernannt und fragte an, ob ich als Korrepetitor zu ihm nach Wien käme.“ 1991 nahm Aronson das Angebot an und arbeitete bis 2015 an diesem Haus.

„Es war die klassische Geschichte: Ich bin für eine erkrankte Sängerin als Königin der Nacht
in Mozarts Zauberflöte eingesprungen.“
Sylvia Greenberg

Was sind die konkreten Aufgaben eines Korrepetitors? „Wir arbeiten mit den Sängerinnen und Sängern beim Einstudieren der verschiedenen Rollen, aber auch bei szenischen Proben – wir ersetzen am Klavier das gesamte Orchester“, erklärt Aronson. „Oft sind die so genannten Stellproben das einzige, was die Gäste vor einer Repertoirevorstellung bekommen. Sie sehen meist die Hauptbühne mit dem Bühnenbild und der Ausstattung erst kurz vor der Vorstellung.“ Die ganz Großen der internationalen Sängerelite kommen zumeist schon einstudiert, daher betreuen die rund zehn Korrepetitoren vornehmlich die Ensemblemitglieder der Oper – zu denen viele Stars zählen. Doch Aronson ist nicht nur ein treuer Begleiter abseits der großen Bühne: Er war auch schon mehrfach am Cembalo und am Hammerklavier bei Mozart-Opern aus dem Orchestergraben zu hören und dirigierte mehr als 100 Kinderoper-Vorstellungen sowohl auf der Hauptbühne als auch im Mobilkom-Zelt auf dem Dach der Oper.

Gesangsbrücke Wien – Tel Aviv. Das musikalisch-harmonische Ehepaar hat in den letzten Jahren in über 20 Ländern der Welt Meisterklassen geleitet. Erst im Juli 2017 beendete Greenberg den Unterricht an der Hochschule für Musik und Theater München sowie an der MUK, der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien. Von Ruhestand ist bei diesem Paar keine Rede: Bereits vor vier Jahren bauten sie von Wien eine Brücke in die Zukunft – nämlich nach Tel Aviv. „Wir haben mit einer Kollegin gemeinsam The Vienna-Tel Aviv Vocal Connection gegründet, um sowohl angehenden als auch bereits etablierten Opernsängerinnen und -sängern Aus- und Fortbildung anzubieten“, berichtet Sylvia Greenberg. „Vier Mal im Jahr treffen wir für intensive wochenlange Workshops zusammen. In den letzten drei Jahren hielten wir unsere Wintersemester beim Eilat Chamber Music Festival ab. Dabei konnten wir auch österreichische Künstler begrüßen, die vom österreichischen Kulturforum gesponsert wurden.“ In der Villa der Projektpartnerin Rosemarie Danziger in Givat Shmuel wird jetzt am neuen großen Projekt gearbeitet: „Ich habe vier Musikstudenten aus der MUK für unseren ersten Don Giovanni engagiert, Premiere ist am 1. Mai im Tel Aviv Museum“, freut sich Greenberg über die gelungene musikalische Brücke zwischen Österreich und Israel.

Karrierestart. 1977 singt Sylvia
Greenberg in Zürich die Königin
der Nacht. So wird die Partie zu
ihrem Markenzeichen.
© Reinhard Engel

Viele glückliche Zufälle bestimmten das private und berufliche Leben des Musikerpaares. Aber geradezu gespenstisch bis schicksalhaft mutet an, was ihnen bei der Auswahl ihrer Wohnung in Wien passiert ist. Sie wohnten bereits einige Jahre in der Theobaldgasse 7 im Bezirk Mariahilf, als ihnen fast nebenbei eine Nachbarin eröffnete, wer bis 1938 hier zuhause war: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wohnte der überaus erfolgreiche und bekannte Dirigent Bruno Walter in dieser Wohnung. Damit nicht genug, einen Stock tiefer lebte die Familie Korngold. Als berühmter Musikkritiker der angesehenen Zeitung Neue Freie Presse wurde Dr. Julius Korngold regelmäßig von den berühmtesten Musikern und Komponisten aus dem In- und Ausland besucht, u. a. von Gustav Mahler und Giacomo Puccini. Mit der Machtübernahme Hitlers rettete sich der Vater des berühmten Komponisten Erich Wolfgang Korngold mit seiner Familie nach Hollywood. Hausmusik war daher der einzig korrekte Titel für die Greenberg/Aronson-CD mit Kompositionen von Korngold, Walter, Mahler, Zemlinsky und Goldmark. Mit diesem Programm gastierte das harmonisch abgestimmte Duo in vielen Städten – aber zuhause sind sie in einer Wiener Wohnung, in der die Musik in der Luft liegt.

 

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