Ein Leben ohne WINA-Magazin? Möglich, aber nicht sinnvoll!

Gedanken zum zehnjährigen Jubiläum.

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Marta S. Halpert im Gespräch für WINA mit dem Schauspieler Samuel Finzi. © Reinhard Engel

Unser WINA-Magazin kam mit einem Hörfehler zur Welt. Als wir vor zehn Jahren in Telefonaten das neue Projekt vorstellten, reagierten viele aus der Branche mit dem Ausruf: „Ja, kenne ich, den Wiener!“

Mit dem Lifestyle-Magazin für Männer verwechselt zu werden, war nicht schlimm, aber auch nicht förderlich. Vor allem, weil sich der Frauenanteil bei unserem Magazin sehen lassen kann: Auf allen Ebenen ist die überwiegende Mehrheit weiblich. Dieser akustischen Fehleinschätzung wären wir entgangen, hätten wir das Monatsheft Chuzpe genannt, was anfänglich angedacht war.

Dem zehnjährigen WINA-Kind passiert so eine Verwechslung heute nicht mehr, denn es hat sich einen festen Platz in der österreichischen Magazin-Familie erobert. Das Heft wird gekauft, abonniert und manchmal sogar erbettelt: Das schönste Erlebnis und der beste Beweis dafür sind Gesprächspartnerinnen und Interviewpartner, denen man beim Treffen ein WINA-Exemplar zeigt und die nicht nur höflich hineinblättern, sondern es einem gleich abspenstig machen. Zu dieser Gruppe zählten in den letzten Jahren einige Kanzler, Ministerinnen, Historiker, Schauspieler und Sängerinnen.

„Das schönste Erlebnis und der beste Beweis dafür sind
Gesprächspartnerinnen und Interviewpartner,
denen man ein WINA-Exemplar beim
Treffen herzeigt
und die nicht nur höflich hineinblättern,

sondern es einem gleich abspenstig machen.“

 

Die Erklärung, dass WINA auf Iwrith „Wien“ heißt, wird sofort akzeptiert, obwohl der Untertitel auf dem Cover irreführend ist: Das jüdische Stadtmagazin. Ja, das sind wir auch — aber noch viel mehr. Denn es wäre kein jüdisches Magazin, würde es nicht unserer reichen Vielfalt frönen und eine große thematische Bandbreite aufweisen. Die aufmerksame Neugier über die Stadt und das Land hinaus ist eines der wichtigsten Merkmale. Das kultur- und gesellschaftspolitische Leben von Jüdinnen und Juden in Österreich in Gegenwart und Vergangenheit findet ebenso seinen Niederschlag wie der Blick auf die in der Welt verstreuten Juden und auf die Ereignisse in Israel.

Unendlich dankbar bin ich für die Freiheit, in den letzten Jahren über den Zustand zahlreicher jüdischer Gemeinden in Mitteleuropa, in Griechenland, in der Türkei, im Irak und sogar in Mexiko berichten zu können. Die Freude der Bewohnerinnen und Bewohner im jüdischen Altersheim im rumänischen Temesvár über das Interesse aus Wien bleibt unvergessen. Unauslöschlich eingraviert ist die Reise nach Minsk und in den Wald von Maly Trostinec, der zehntausenden jüdischen Männern, Frauen und Kindern zur mörderischen Falle wurde.

Aber nicht nur Emotionalem begegnet die Journalistin: In Polen und Ungarn muss man sich mit den demokratiefeindlichen und antisemitischen Fakten auseinandersetzen und diese öffentlich anprangern. Aber auch Nonkonformisten, wie die Philosophin Ágnes Heller oder die Literaten György Konrád und András Forgách, wurden gehört, ebenso der kritische polnische Politologe Dariusz Stola. Auch dieser Aufgabe geht WINA nach.

Ich hatte und habe das Glück, solch belastende Themen mit seelisch aufbauenden Begegnungen ausgleichen zu dürfen. Wenn der 90-jährige Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel anno 2018 vor seinem Geburtshaus im 9. Wiener Bezirk nach seiner humorvollen Rede zu tanzen beginnt, dann ist die Reporterin privilegiert. Wenn Israels Staatspräsident und Spross einer berühmten Familie während eines Wahlkampfs Zeit für ein WINA-Interview hat, darf man ein klein wenig stolz sein.

Von Freude erfüllt sind die Gespräche mit kreativen und darstellenden Menschen: Ich durfte in diesen Jahren viele österreichische und internationale Künstler und zahlreiche israelische Künstlerinnen in den verschiedensten Sparten kennenlernen und porträtieren: Manche, wie Samuel Finzi, Chen Reiss oder Itay Tiran, auch über fast zehn Jahre auf ihrem Karriereweg begleiten. Sogar der mehrfache Lockdown konnte uns Reporterinnen und Redakteuren nichts anhaben: Im Homeoffice wurde weiter fleißig „auf dem Trockenen“ recherchiert und historischen Geschichten nachgegangen, die keine persönlichen Treffen erforderten. Da wir aber doch „DAS jüdische Stadtmagazin“ sind, das Wichtigste zum Schluss: WINA transportiert sehr bewusst lebendiges und gelebtes Judentum in eine nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft. Nur hier finden dem jüdischen Alltag entliehene, manchmal sehr persönliche Reminiszenzen einen gesicherten Raum.

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