„Ein Marathon“

Vor einem Jahr präsentierte die Regierung die Nationale Strategiegegen Antisemitismus mit 38 konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung der Judenfeindlichkeit in Österreich. Ein Jahr später sind neun dieser Maßnahmen ganz umgesetzt, alle weiteren wurden in Angriff genommen, wie Verfassungsministerin Karoline Edtstadler bei der Präsentation des Umsetzungsberichts 2021 betonte.

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© IKG/Schmidl

Es ist eine zwiespältige Bilanz: Einerseits setzte die Regierung im vergangenen Jahr Meilensteine im Kampf gegen Antisemitismus und zur Absicherung jüdischen Lebens in Österreich. Andererseits stieg der Antisemitismus gerade 2021 weiter massiv an. Im ersten Halbjahr 2021 hatte die Antisemitismus-Meldestelle der IKG Wien 562 Vorfälle registriert – im Vergleichszeitraum 2020 waren es 257 gewesen. Die Bilanz für das gesamte Jahr 2021 lag zu Redaktionsschluss noch nicht vor. IKG-Präsident Oskar Deutsch ging bei der Präsentation des Umsetzungsberichts aber davon aus, dass diese Zahlen „verrückt hoch“ sein würden. Ein großes Problem sei noch größer geworden, formulierte es die Verfassungsministerin.
Zwei Gründe für diesen massiven Anstieg führt der IKG-Präsident ins Treffen: Einerseits komme es im Zug der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht zu vielen Vorfällen. Edtstadler meinte dazu, es gebe derzeit „offene Kanäle für antisemitisches Gedankengut“, weil die Gesellschaft unter Druck stehe. Fake News und Verschwörungserzählungen rund um das CoronaVirus würden in kurzer Zeit ein Millionenpublikum erreichen. „Deren Erfolg liegt darin, einfache Erklärungen für komplexe Problemstellungen zu geben und einen Sündenbock zu benennen. Das ebnet den Weg für Antisemitismus und Rassismus: Konkrete physische und verbale Angriffe auf konkrete Gruppen wie Jüdinnen und Juden, aber auch andere Minderheiten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder gar das Gesundheitspersonal sind die Folge“, meinte die Ministerin.

„Dieses Gesetz trägt dazu bei, jüdisches Leben in Österreich
physisch
und immateriell abzusichern.“
Oskar Deutsch

Aber auch der Israel-bezogene Antisemitismus nehme zu, gab Deutsch zu bedenken. Nichtsdestotrotz sei die österreichische Nationale Strategie gegen Antisemitismus wegweisend in Europa, betonte der IKG-Präsident. „Gleichzeitig müssen wir uns deutlich machen, alles ist nur der Anfang, der Beginn eines langen, steinigen Weges.“ Edtstadler bemühte ein anderes Bild: Der Kampf gegen Antisemitismus sei „kein Sprint, sondern ein Marathon“. Einige der Meilensteine von 2021, aufgelistet im Umsetzungsbericht: die Einrichtung der Stabstelle österreichisch-jüdisches Kulturerbe im Bundeskanzleramt (geleitet wird sie von Antonio-Maria Martino); die Verabschiedung des Gesetzes über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes; der Abschluss eines Zuwendungsvertrages zur Umsetzung des Kulturerbegesetzes zwischen dem Bund und der israelitischen Religionsgesellschaft (dotiert mit vier Millionen Euro zur Sicherung jüdischen Lebens); die Antisemitismusstudie 2020 von IFES, beauftragt vom Parlament; der Regierungsbeschluss, noch vorhandene Teile des KZ-Außenlagers Gusen zu erwerben; die Implementierung eines Flag, also einer Markierung, für Hasskriminalität im polizeilichen Protokollierungssystem; die erstmalige Ausschreibung des Simon-Wiesenthal-Preises für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus sowie die Eröffnung der Gedenkstätte „Shoah Namensmauer“ im Ostarrichipark in Wien.
Für IKG-Präsident Deutsch ist der wichtigste Beitrag, den die jüdische Gemeinde im Kampf gegen Antisemitismus leisten könne, „das selbstbewusste Leben selbst“. Daher sei auch das Österreich-jüdische Kulturerbegesetz historisch und aus seiner Sicht einer der wichtigsten Meilensteine. „Dieses Gesetz trägt dazu bei, jüdisches Leben in Österreich physisch und immateriell abzusichern, und unterstützt damit den wichtigsten und effektivsten Weg, um Antisemitismus entgegenzutreten. Es geht um nicht weniger als um jüdisches Leben in der Mitte der österreichischen Gesellschaft und als untrennbarer Teil österreichischer Kultur nicht nur in Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch in Zukunft.“

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