Ein Museum für Israels Wunderfrauen

Golda Meir ist in Israel eine Legende, doch wer kennt noch die Namen der vielen anderen Powerfrauen, die, jede auf ihre Art, einen unverzichtbaren Beitrag im jüdischen Staat geleistet haben? Die langjährige Filmproduzentin und Kuratorin Yael Nizan will sie nun mit Hilfe eines Frauenmuseums wieder ins Rampenlicht rücken.

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Yael Nizan will für Frauen den wohlverdienten Platz im kollektiven Gedächtnis der Geschichte schaffen. © Adi Eder

Die Arbeit der Frauen in Palästina ist von extremer Wichtigkeit. Es geht nicht nur darum, ‚die Wüste zum Blühen zu bringen‘, sondern auch um eine soziale Reform, eine Reform, die nicht ohne den Beitrag der Frauen stattfinden kann […]“, sagte Sarah Thon, Erzieherin und Aktivistin in sozialen Belangen, im Jahr 1910.
In Israel waren Frauen von Anfang an gleichberechtigt und den Männern theoretisch in allen Bereichen gleichgestellt. Doch die Realität sah manchmal anders aus. Margerit Shilo hat in ihrem Buch Women build a Nation (Frauen bauen eine Nation) faszinierende Biografien von Frauen des „Jeshuv“, der Gemeinschaft der vor der Staatsgründung in Palästina ansässigen Jüdinnen und Juden, zusammengefasst. In Shilos Werk, das eine wichtige Basis des neu entstehenden Frauenmuseums bildet, geht es vor allem um die Pionierinnen im Erziehungswesen, in der Kultur und im Aufbau einer völlig neuen und modernen Gesellschaft im damaligen Palästina und nachher in Israel. Viele von ihnen gaben die Sicherheit ihres gutbürgerlichen Lebens in Europa und Amerika auf, um hier unter schwierigsten Bedingungen Bahnbrechendes zu leisten. Da kann man etwa über Fania Melman-Cohen lesen, die Lehrerin und Schuldirektorin, die 1904 ins Land kam und zwei Jahre später gemeinsam mit ihrem Mann das „Herzlia-Gymnasium“ gründete, das erste Gymnasium in Tel Aviv. Damit ermöglichte sie erstmals eine gemeinsame, qualitativ gleichwertige Ausbildung für Mädchen und Jungen. Dennoch war sie es, die selbst den Boden in der Schule schrubbte, eine andere Lehrerin wurde nach der Geburt ihres Kindes suspendiert, und eine Schülerin musste um das Recht kämpfen, im Sportunterricht Hosen tragen zu dürfen. Die Gleichheit existierte auf dem Papier, konnte aber im täglichen Leben noch nicht immer implementiert werden.

Es ging damals um die Schaffung des neuen Hebräers, aber es war vollkommen unklar,
wie die „neue hebräische Frau“ aussehen sollte.

Eine wichtige Rolle zur Zeit des Britischen Mandats spielte auch Hannah Maisel-Shohat, die ein in Paris erworbenes Doktorat in Agrikultur mitbrachte, es aber angeblich geheimhielt, um ihre männlichen Kollegen nicht zu verärgern. Sie brachte fortschrittliches Know-how in das Land, das den Anbau modernisieren sollte, und ermöglichte die Integrierung von Frauen in der Landwirtschaft, indem sie insgesamt fünf Agrikulturschulen im ganzen Land eröffnete. Maisel vertrat das Credo, dass Frauen nicht versuchen sollten, es den Männern in physisch nicht für sie passenden Arbeiten gleichzutun, sondern, dass sie auch in der Landwirtschaft ihre „weibliche Stimme“ einbringen sollten. In London lernte sie die zionistischen Aktivistinnen Rivka Sieff und Vera Weizman kennen und unterstützte die beiden bei der Gründung der Women’s International Zionist Organisation (WIZO). Sieff gründete später in Israel auch eine wissenschaftliche Institution, die dann zum Weizmann-Institut, einem der weltweit anerkanntesten Forschungszentren, wurde. Vera Weizmann, Ehefrau von Chaim Weizmann, der später der erste israelische Staatspräsident werden sollte, arbeitete damals als Oberärztin in mehreren Kliniken in den Slums von Manchester, wo sie unter anderem Methoden zur Kontrolle der Entwicklung von Neugeborenen entwickelte. Nach ihrer Einwanderung half sie bei der Rehabilitation der im Unabhängigkeitskrieg verwundeten Soldaten mit und trug die Gelder für die Gründung des Sheba Medical Center (Tel HaShomer-Spital) zusammen.

Hannah Maisel-Shohat brachte ein in Paris erworbenes Doktorat in Agrikultur mit. ©David B. Keidan Collection of Digital Images from the Central Zionist Archives (via Harvard Library University), courtesy of Yael Nizan/wikipedia

Übrigens waren laut der israelischen Historikerin Esther Carmel-Hakim, die ihr Doktorat und in der Folge ein Buch über Hannah Maisel geschrieben hat, in den 1930er-Jahren über 20 Prozent der Ärzte im Jeshuv weiblich, und in der Zahnheilkunde sollen sogar die Ärztinnen in der Mehrheit gewesen sein. Die Forscherin, die sich auf zionistische Frauenorganisationen und Frauen im Kibbuz spezialisiert hat, führt das auf die Einwanderung der vielen gut ausgebildeten Frauen aus westlichen Ländern vor dem Zweiten Weltkrieg zurück: „Es ging damals um die Schaffung des neuen Hebräers, aber es war vollkommen unklar, wie die ‚neue hebräische Frau‘ aussehen sollte. Frauen mussten sich in diesem Umfeld völlig neu erfinden.“ Dieses neue Frausein zu definieren und zu verwirklichen, wurde immer mehr zum Ziel der Einwanderinnen aus dem Westen, die Frauenorganisationen und Trainingsinstitutionen aus dem Boden stampften und damit erst die Infrastruktur für eine gleichgestellte, selbstständige hebräische Frau schufen. Doch die Namen dieser und zahlreicher anderer Pionierinnen, die einen so wichtigen Beitrag bei der Entstehung der neuen Nation und ihrer Gesellschaft geleistet haben, sind der Öffentlichkeit großteils unbekannt. Carmel-Hakim vertritt die Meinung, dass die Recherchen und Publikationen zu den Biografien und Errungenschaften all dieser Frauen vermehrt in bereits bestehende Museen und Archiven integriert werden sollten.

Doch Jael Nizan will ihnen nun ihrerseits mit einem eigenen Frauenmuseum ihren wohlverdienten Platz im kollektiven Gedächtnis der Geschichte zurückerstatten. „Das ist mein Traum, an dem ich schon seit 13 Jahren arbeite, und ich habe zu diesem Zweck viele Frauenmuseen auf der Welt besucht und recherchiert. Es war ein Kampf, aber gerade jetzt, in der Zeit von Corona, ging plötzlich vieles weiter“, berichtet die Medien- und Kunstexpertin und einstige Kommandantin in der israelischen Armee. Nizan konnte auch die ehemalige Brigadegeneralin Gila Kalifi-Amir als Vorsitzende des Museums mit ins Boot holen und gewann die Unterstützung der Haifa Foundation, die beim Fundraising mithilft und für das Projekt ein ehemaliges Schulgebäude in der Stadt zur Verfügung stellt.

Vera Weizman half bei der Rehabilitation der im Unabhängigkeitskrieg verwundeten Soldaten. © David B. Keidan Collection of Digital Images from the Central Zionist Archives (via Harvard Library University), courtesy of Yael Nizan/wikipedia

Einen Magnet schaffen. Es soll ein interdisziplinäres Museum werden, mit Kursen, Diskussionen und informativen Gesprächen. Und weil der Kuratorin neben Themen wie Gleichberechtigung und dem Kampf gegen Gewalt an Frauen auch die Kunst sehr am Herzen liegt, wird es in dem eklektischen Bau aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Zukunft auch eine Galerie zur Vorstellung von bildenden Künstlerinnen geben. Weiters sind ein Skulpturgarten und ein Memorial für die vielen hundert Soldatinnen, die ihr Leben für das Land gaben, geplant. „Die große Herausforderung bei diesem Projekt ist nicht nur das Beschaffen der Gelder und Ressourcen, sondern auch die Einrichtung einer diversifizierten und signifikanten Infrastruktur, die zu einem Magnet für die ganze oder doch wenigstens für große Teile der Bevölkerung werden kann“, meint Nizan. In den nächsten Monaten wird es noch eine Crowdfunding-Kampagne für zusätzliche Spendengelder geben, und allerspätestens zum 75.Geburtstag des jungen Staates sollen alle Einrichtungen des neuen Museums komplett eröffnet sein.

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