Ein Museum stellt sich seiner Geschichte

Anschluss, Krieg & Trümmer nennt das Salzburg Museum seinen historischen Rückblick auf die Verfehlungen in der NS-Zeit und danach.

1849
Eröffnung der Ausstellung Entartete Kunst im Salzburger Festspielhaus am 4. September 1938. ©Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger

Aus der Chronologie des Salzburg Museums anno 1954: „Dienstantritt von Kurt Willvonseder, ehemaliger SS-Obersturmführer und Mitarbeiter der SS-Forschungs- und Lehrgemeinschaft Das Ahnenerbe als Direktor des Salzburg Museums. Er folgt Rigobert Funke, der wegen seiner Präsidentschaft in der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft als Direktor abgelöst worden war.“ Man entschied sich lieber für einen Nazi als für einen kommunistenfreundlichen Direktor. Dies ist nur ein aufschlussreiches Detail aus der Geschichte des von Stadt und Land betriebenen Salzburg Museums, dessen Direktor Martin Hochleitner gemeinsam den Kuratoren eine vorbildliche Ausstellung und einen umfangreichen und gehaltvollen Katalog erstellt haben.

»Sie wiesen dem Museum aktive Funktionen und Aufgaben bei der ‚Arisierung‘ von jüdischem Vermögen zu.«
Martin Hochleitner

Der Katalog, der Hanna und Marko Feingold und ihrem Wirken gegen das Vergessen gewidmet ist, erschien zur Sonderausstellung 2018 mit dem Titel Anschluss, Krieg & Trümmer – Salzburg und sein Museum im Nationalsozialismus. Er behandelt ausgehend vom „Anschluss“ Österreichs die Kriegsjahre sowie die Zeit danach und fokussiert gleichzeitig die eigene Institutsgeschichte in Bezug auf die Ereignisse im Nationalsozialismus.

März 1938: Als Leiter des Salzburg Museum dankt Max Silber „der rettenden Tat Adolf Hitlers, (durch die) Österreich wieder dem deutschen Mutterland zugeführt wurde“. Das Museum werde „seine Arbeit leisten im Dienste der neuen Zeit und im volkserzieherischen Sinne Anteil nehmen an der Neugestaltung des großen deutschen Vaterlandes“.

Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz in Salzburg am 30. April 1938. ©Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger

Der klassische Archäologe und Kunsthistoriker Martin Hochleitner, Jahrgang 1970, der seit 2012 das Museum leitet, ist nach Sichtung der Materialien überzeugt, dass das Salzburger Museum seine Geschichte in der NS-Zeit umgeschrieben hatte, kulturhistorische Zusammenhänge konstruierte und Inhalte der Propaganda vermittelte. „Das Salzburg Museum hatte als städtische Einrichtung in der NS-Zeit eindeutige Aufträge zu erfüllen: Diese umfassten Maßnahmen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie, Propaganda und Erziehung. Sie wiesen dem Museum aktive Funktionen und Aufgaben bei der ‚Arisierung‘ von jüdischem Vermögen und auch bei der Beschlagnahme von kirchlichem Eigentum zu“, erläutert Hochleitner. „Sie definierten die Rolle des Museums an der ‚Heimatfront‘ und seine Tätigkeiten im ‚Totalen Krieg‘.“ Bereits im Dezember 1938 übermittelte NS-Oberbürgermeister Anton Giger persönliche Weihnachtsgrüße an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in Berlin und bedankte sich für dessen jüngsten Besuch im Salzburg Museum. Das Museum veranstaltete Ausstellungen zu „Salzburgs Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich“ und im Dienste der „Rassenkunde“ und konstruierte in Archäologie und Volkskunde „germanische“ Wurzeln und „nordische“ Traditionen. Es formulierte auch Vorschläge für die Sichtbarkeit des Nationalsozialismus in der Stadt selbst.

Regionale Adaptionen. Das Salzburger Landeswappen in der NS-Zeit, die Hitler-Büste und regionale Salzburger Trachten (unten). © Reinhard Engel

Das Salzburg Museum erfüllte seine „neuen“ Aufträge vorbildlich und umfassend: Es begrüßte den „Anschluss“, es bezeichnete den „Kampf gegen das Judentum“ als seine Hauptaufgabe und erklärte, „keine Juden oder jüdische Mischlinge“ im Museum zu beschäftigen. Im Juli 1939 hieß es dann in den neuen Satzungen, die von der Landeshauptmannschaft Salzburg für den Museumsverein genehmigt wurden: „Mitglieder des Vereines können nur Arier deutschen oder artverwandten Blutes sein. Personen, bei denen auch nur ein Großelternteil Jude oder jüdischer Mischling ist, können nicht die Mitgliedschaft erwerben.“

Gegen die Einverleibung von geraubten jüdischen Kunstschätzen gab es im Museum weniger Widerstand: Im Februar 1940 besichtigte Max Silber, der im Jahr 1933 und 1941/42 Direktor des Salzburg Museums war, im „Reichskunstdepot der Zentralstelle für Denkmalschutz“ in Wien Objekte aus „arisierten“ und sichergestellten Sammlungen. Er erstellte eine Liste von gewünschten Objekten, darunter Werke aus den ehemaligen Sammlungen von Oscar Bondy, Albert Pollak sowie Alphonse und Louis Rothschild – und bekam diese auch.

Neuerwerbungen des Stadtmuseums 1938-1941, Einladungskarte für den 8. Mai 1942: Mit der Ausstellung „Heimatliches Kulturerbe“ liefert das Salzburg Museum Einblicke in seine Sammlungszuwächse seit 1938. Von der Anzahl der Exponate handelt es sich um die umfangreichste Ausstellung des Museums in nationalsozialistischer Zeit. Der besondere Dank der Direktion gilt Adolf Hitler, durch dessen Verfügung aus beschlagnahmten jüdischen Sammlungen (…) auch dem Salzburger Stadtmuseum eine große Anzahl wertvollster Kunstgegenstände zugekommen sei.

Noch im August 1944 erhält das Salzburg Museum nach Bittgesuchen bei der Gestapo das Bild Ischl um 1820, das bereits 1938 bei der Familie Herz-Kestranek in St. Gilgen beschlagnahmt und seit 1939 im Salzburg Museum aufbewahrt wurde, als „Führerspende“. Direktor Hochleitner moniert, dass auch nach 1945 die eigene Rolle im Nationalsozialismus nicht kritisch beleuchtet wurde: „Stattdessen etablierte sich eine Narration, die einerseits die Geschichte des Salzburg Museums eng an eine Opferrolle knüpfte und diese mit der US-amerikanischen Besatzungszeit zusätzlich prolongierte.“ So sei das Museum nicht durch Bomben im Herbst 1944 weitgehend zerstört worden, sondern durch Plünderungen von US-Soldaten.

© Reinhard Engel

Direktor Hochleitner beklagt in seiner Einleitung zum Katalog, dass noch Mitte der 1990er-Jahre eine tradierte Verlustgeschichte erzählt und weiterhin der Opferstatus betont wurde. Damit verhielt sich das Salzburg Museum allerdings auch repräsentativ für viele weitere Institutionen in Österreich, die ihre Geschichte im Nationalsozialismus ebenfalls erst später einer kritischen Revision unterziehen sollten. Erst der Aufsatz Das Museum während der NS-Zeit des Kustos am Salzburg Museum, Nikolaus Schaffer, im Jahr 1994 veränderte die Sichtweise auf die eigene Geschichte: Zum ersten Mal war die Rede von der „Einbindung des Museums in die nationalsozialistische Propagandamaschine“. Hochleitner und seinen jungen Historikerkollegen geht es heute um ein Geschichtsbild, das sich jenseits einer moralischen Bewertung von Akteuren während der NS-Zeit über die zahlreichen „Kontinuitäten in Museen und entsprechenden personellen Verflechtungen bis weit in die Nachkriegsjahrzehnte hi­nein“ bewusst sein sollte.

Apropos Kontinui­tät: Auch Kurt Willvonseder, der 14 Jahre lang das Salzburg Museum leitete, steht beispielhaft für die von der Lokalpolitik geförderte Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in Salzburg. „Während eine weitere Karriere in Wien nach 1945 nicht möglich war, konnte er mit Unterstützung aus Politik und Wissenschaft in Salzburg ab Beginn der 1950er-Jahre wieder wissenschaftlich tätig werden“, schreibt der 29-jährige Historiker Robert Obermair in seinem Buch Kurt Willvonseder – Der Weg eines ehemaligen SS-Mannes zum Direktor des Salzburg Museums. Willvonseder gilt schon 1934 bei der Vaterländischen Front als „politisch einwandfrei“, ihm wird „von jeher eine antisemitische Gesinnung“ bescheinigt. Bis 1937 unterrichtete er Urgeschichte an der Universität Wien. Nach dem „Anschluss“ wurde er 1939 in den Rang eines SS-Untersturmführers aufgenommen, trat zudem der NSDAP bei und stieg 1941 bis zum SS-Obersturmbannführer auf. Als Mitarbeiter sowie Vertrauensmann der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. nahm er die Katalogisierung von Kulturgütern vor und leitete vorgeschichtliche Ausgrabungen unter anderem in der Slowakei und in Serbien. Für die Grabungen in Gusen ließ er auch Häftlinge aus dem dortigen KZ einsetzen.

Politisch belastet. 1943 wurde er zur Wehrmacht einberufen, jedoch weitestgehend ohne Kriegsdienst leisten zu müssen. Nach der Kapitulation des NS-Regimes geriet Willvonseder in Bozen in Kriegsgefangenschaft und war in der Folge in verschiedenen Lagern in Italien interniert. 1947 wurde er freigelassen.

Als „politisch belastet“ wird ihm die Lehrbefugnis in Wien entzogen. Nach mehreren Eingaben begnadigt ihn 1954 der österreichische Bundespräsident Theodor Körner, und er wird Direktor des Salzburger Museum. Ab 1965 gehörte er dem International Council of Museums der UNESCO an.

An der Universität Salzburg habilitierte er sich 1966 und lehrte ab 1967 in Salzburg als außerordentlicher Professor für Ur- und Frühgeschichte. Zu seinem 65. Geburtstag erhielt er den „Karneolring“ für besondere Verdienste um die Stadt Salzburg, und 1968, nach seinem Tod, trauerte die Landesregierung mit einer Gedenkminute. Robert Obermair: „Die NS-Vergangenheit des späteren Museumsdirektors und geehrten Bürgers der Stadt Salzburg geriet dabei sehr schnell in Vergessenheit.“

Die Rechte der beraubten jüdischen Bürger wurden nicht so hoch geachtet: Zwar restituierte das Salzburg Museum ab den 1950er-Jahren einen Teil der „arisierten“ Objekte – jedoch nur nach mehrmaliger Aufforderung durch die ehemaligen Eigentümer bzw. deren Rechtsvertreter. Aber die Restitutionen sind bis heute nicht abgeschlossen und Gegenstand einer laufenden Provenienzforschung im Salzburg Museum. 

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