NS-Rhetorik und NS-Ideologie: der neue Meanstream in Ungarn. Magdalena Marsovsky analysiert die Rhetorik der ungarischen Machthaber. Fotos: Daniel Kaldori
Im April 2010 haben in Ungarn die völkischen Parteien, die Fidesz Bürgerliche Union (Fidesz-MPSZ) und die Christlich Demokratische Volkspartei (KDNP), mit einer Zweidrittelmehrheit die Parlamentswahlen gewonnen. Die rechtsradikale Partei Jobbik, die 17 Prozent bekam, stellt nun die Opposition, ebenfalls im völkischen Lager. Für die Völkischen verkörpert die mit etwa 19 Prozent ins Parlament gelangte ehemalige Regierungspartei der Sozialisten (MSZP) die „nationslose“, kosmopolitische Seite und wird von ihnen erbittert kriminalisiert und bekämpft. Kriminalisiert wird auch die ehemalige Wendepartei der liberalen SZDSZ (Bund Freier Demokraten), die aus der demokratischen Opposition im Realsozialismus hervorgegangen war, inzwischen in die Bedeutungslosigkeit gesunken ist und einstweilen sogar von der politischen Bühne verschwand. Die Kommunikation der nach ihrem Selbstverständnis grün-ökologischen Partei mit dem Namen „Kann Politik anders sein“ (LMP), die sechs Prozent der Wählerstimmen bekam, ist viel weniger gehässig, dennoch beteiligt auch sie sich an der verkürzten Kritik an der ehemaligen sozialliberalen Regierungskoalition und scheut auch die Zusammenarbeit mit Jobbik nicht.
Obwohl die Linksliberalen inzwischen zu einem unbedeutenden Faktor des politischen Lebens geworden sind, würden die Völkischen am besten alles ausschalten und vernichten, was mit dieser politischen Richtung zu tun hat. Der Kampf trägt Elemente einer kollektiven Paranoia. So rief die neue Regierung das Amt eines „Beauftragten für Abrechnung“ ins Leben, der alle „Korruptionsaffären“ der ehemaligen sozialliberalen Regierung und „ihr nahe stehenden Kreise“ aufrollen soll. Bis jetzt wurden dabei jedoch nur Präjudikationen gegen die so genannten „A-Nationalen“ verbreitet, wie z. B. im Falle der Attacke gegen kritische Philosophen an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften . Im neuen Grundgesetz ist sogar die Sozialistische Partei (MSZP) als „Rechtsnachfolgerin“ der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) bestimmt, weshalb sie für die Vergehen des kommunistischen Systems kollektiv zur Verantwortung gezogen werden kann . Linksliberale werden permanent attackiert, wobei die stereotype Wiederholung der immer wieder gleichen „Vorwürfe“ ein ausgeprägtes Ressentiment gegen alles Intellektuelle widerspiegelt, das im kulturell-gesellschaftlichen Kontext als „verjudet“ angesehen wird.
Zunehmende Mobilisierung des antisemitischen Feinbilds
Die Kriminalisierung und Dämonisierung des „politischen Gegners“ in Gestalt der „Sozialliberalen“, d. h. der „A-Nationalen“, „Internationalen“ oder „Kosmopoliten“, konnte bereits um 1990 beobachtet werden und geschieht bis heute, wie in der NS-Propaganda, meistens strukturell antisemitisch. Die gesamte Kommunikation des „national-gesinnten“ (völkischen) Lagers ist auf diese Feindbildkonstruktion aufgebaut. So sagte Viktor Orbán 2005 als Oppositionsführer, die Linke würde als Nachfolger Béla Kuns (dem Mythos des „jüdischen Kommunismus“ nach Code für die „verjudeten“ Bolschewiki/M. M.) ihre eigene Art und Nation angreifen.
Und der heutige Parlamentspräsident, László Kövér, sagte im Juni 2010, damals noch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Parteiausschusses der Fidesz, Gyurcsány (Ministerpräsidenten von 2004 bis 2009) sei ein „politischer Verbrecher“, der zusammen mit den Sozialisten eine „permanente Gefahr für die nationale Integration“ des Landes bedeute. Der Europaabgeordnete László Tökés nannte die Kritiker des Mediengesetzes 2011 „der Nation fremde, postkommunistische, linksliberale Kräfte“, die „erneut ihr eigenes Land und ihre eigene Nation angegriffen“ hätten. Dabei werden auch regelrechte Dolchstoßlegenden formuliert. So sagte der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén im Oktober 2011, in Trianon (quasi der Versailles-Vertrag Ungarns) 1920 sei das Land „nicht vom äußeren Feind besiegt, sondern vom inneren Feind hinterrücks niedergestochen“ worden. In den ihrer Selbstdefinition nach national gesinnten, ja zum Teil auch in den „öffentlich-rechtlichen“ Medien, findet sich, unterschiedlich codiert, diese Rhetorik. Die Botschaft dieser Kommunikation ist: Das sind zu vernichtende Entartete. Der Feind wird dabei oft auch dehumanisiert.
Mitglieder der Sozialisten werden vom regierungsnahen und für seine antisemitischen Schriften bekannten Journalisten Zsolt Bayer immer wieder als „Eiweißklumpen“ bezeichnet – so auch die Autorin dieser Zeilen, die er 2010 einen „Ausbund an menschlicher Verruchtheit“ und „entartet“ nannte. Und kürzlich bezeichnete der EU-Abgeordnete Tamás Deutsch den politischen Gegner Gyurcsány folgendermaßen: „Es gibt hinterhältige Verrückte. Es gibt eklige Spermien. Es gibt widerlich Verfaulte. Und dann gibt es noch den Ferenc Gyurcsány.“ Dieser „erbärmliche Eiweißklumpen“ könne sich „ein für alle Mal verdrücken – zurück in Mutters Fotze“. Die Hassrede wird nicht nur nicht eingedämmt, sondern sogar gefördert: Am 21. Januar 2011 wurde dem Journalisten Bayer der Madách-Preis verliehen. Der Antisemitismus in Ungarn erscheint also vor allem strukturell in Form des Antikosmopolitismus, Antikommunismus, Antiliberalismus und Antiintellektualismus.