Ein schambesetztes TABU

Gewalt in der Familie ist ein Tabu, und doch ist sie, unabhängig von sozialem, ethnischem und religiösem Background, leider allgegenwärtig. „Schalom Bait“, eine Initiative gegen häusliche Gewalt, bietet seit Jahren anonyme Beratung und professionelle Hilfe für Betroffene und Angehörige. Psychotherapeutin Berta Pixner will Tabus beseitigen und für die Opfer da sein.

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© 123RF

Es kommt zu einer Opfer-Täter-Umkehr, das heißt, Betroffene fühlen sich oft schuldig“, weiß die Psychotherapeutin Berta Pixner. Seit Langem ist es ihr Ziel, dieses mit viel Scham besetzte Thema aus der Tabuzone zu holen und an eine breitere Öffentlichkeit zu bringen.
Es geht um Gewalt in der Familie. Kein Land, keine Gesellschaft ist frei davon. Auch in jüdischen Familien, in denen Frieden und Harmonie ein ganz hoher Wert ist, gibt es, was es nicht geben dürfte und worüber nicht gesprochen wird. Ob säkular oder orthodox macht da keinen Unterschied, denn Religion schütze nicht vor Gewalt, so Pixners Erfahrung.
„Seelische, psychische Gewalt besonders Kindern gegenüber wird oft gar nicht als solche betrachtet, es kommt aber auch zu körperlichen und letztendlich auch zu sexuellen Übergriffen und zwar in allen Ethnien und sozialen Milieus.“
Aber wie geht man mit diesem tabuisierten Thema um, wie kommt man an die Opfer und auch an die Täter heran, wie kann man ihnen und den Familien helfen?

Hotline Schalom Bait, also zu deutsch etwa Frieden im Heim, Hausfrieden, nennt sich die von Berta Pixner im Verein mit ESRA bereits vor Jahren gegründete Initiative der jüdischen Gemeinde in Wien, die Hilfestellungen anbietet. Eine Hotline, an die man sich anonym wenden kann, sorgt für fachkundige Beratung in mehreren Sprachen und kann die erste Anlaufstelle sein.
„Anonymität ist wichtig, weil das Problem eben mit Scham und Angst verbunden ist. Frauen fürchten, es könnte die Familie sprengen, aber gerade das soll mit beratenden Gesprächen verhindert werden. Auch bei den Männern beobachten wir Gefühle der Hilflosigkeit, denn Gewalt entsteht meist aus einer Stresssituation, und der Druck wird als Aggression an den Schwächsten, an Kindern und Frauen, ausgelebt.“
Mit oft fatalen Folgen, denn Gewalt‑ erfahrung, das Erleben und Miterleben von Gewalt und die damit verbundenen Gefühle von Demütigung und Ohnmacht verletzen nicht nur unmittelbar, sie traumatisieren die Opfer auch auf lange Sicht.

© Konrad Holzer

»Gewalt entsteht meist aus einer Stresssituation, und der Druck wird als Aggression an den Schwächsten, an Kindern und Frauen, ausgelebt.«
    Berta Pixner

Weil patriarchalische Strukturen in religiös-orthodoxen Familien oft stärker ausgeprägt sind und diese zudem häufig mit vielen Kindern in ökonomisch angespannten Verhältnissen, d. h. in Stresssituationen leben, kann es gerade da vermehrt zu Gewalt kommen.
Ein Weg in diese relativ geschlossenen Kreise führt über die Rabbiner. „Da geht es um den persönlichen Kontakt“, den Schalom Bait mit einigen Rabbinern aufrechterhält.
Auch die Schulkommission der IKG ist eingebunden, denn die meisten Betroffenen wenden sich zuerst mit Schulschwierigkeiten ihrer Kinder an die Psychologen, weil es für sie leichter ist, mit diesem eher unbelasteten Thema anzukommen und Kinder aus gewaltbereiten Milieus oft auch in der Schule Prob­leme haben.
Obwohl die Hotline vergleichsweise wenig genutzt wird, betrachtet Pixner sie als „wichtiges Mittel, um das Thema öffentlich zu machen. Denn diese Kontaktmöglichkeit spricht sich herum, auch wenn dann die Betroffenen nicht über die Hotline kommen. Es soll ein Thema sein, über das man sprechen darf und über das gesprochen wird, damit die Opfer auch erfahren, dass sie nicht alleine sind.“ Deshalb wird die Hotline regelmäßig im Insider der IKG sozusagen beworben. Für die konkrete therapeutische Hilfe ist der Psychosoziale Dienst von ESRA zuständig, in dessen Kernkompetenz das Prob­lem ja fällt.
In jüdischen Gemeinden wurde und wird das Thema gern verschwiegen oder geleugnet und ist doch offenbar ziemlich präsent. „In New York gibt es mittlerweile drei jüdische Frauenhäuser, und alle sind bummvoll. Denn religiöse jüdische Frauen können nicht in irgendein Frauenhaus gehen, wenn die Situation daheim eskaliert.“
In Wien versucht man derartige Prob­leme intern zu lösen, damit Frauen und Kinder in Krisensituationen in einem jüdischen Umfeld bleiben können. „Es gibt jüdische Kriseninterventionsfamilien, die Kinder aufnehmen, wenn man sie temporär aus dem Elternhaus nehmen muss.“ Hilfreich ist dabei der gute soziale Zusammenhalt, denn die entsprechenden Netzwerke funktionieren gerade in religiösen Kreisen ausgezeichnet.

Apropos Netzwerke 1998 hat Berta Pixner die Frauen- und Familienkommission der Kultusgemeinde gegründet, deren Vorsitzende sie bis heute ist. „Es ist uns darum gegangen, Frauen zu unterstützen, sie in ihrer Emanzipation zu fördern und zu Aktivitäten anzuregen.“ Dazu hat sie gemeinsam mit der Architektin Vera Korab das erfolgreiche „Jüdische Frauennetzwerk“ ins Leben gerufen, eine Art Interessen- und Informationsbörse zur gegenseitigen beruflichen und privaten Vernetzung, die über Mail, aber auch über persönliche Treffen bei Veranstaltungen läuft.
Für die Zukunft ihrer Kommission hat die frauenbewegte Psychotherapeutin und Großmutter von vier Enkeln noch jede Menge Pläne und Projekte, zu denen unter anderem auch die Idee einer Broschüre für alle IKG-Mitglieder mit Angeboten von Schalom Bait zählt, denn dieses Thema, so merkt man im Gespräch, ist Berta Pixner eine besondere Herzensangelegenheit.

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