Viele Premieren bildeten den Rahmen dieses Abends: erstmals fand eine Sitzung des Kultusvorstands – zumindest teilweise – im Stadttempel statt. Erstmals war ein Kardinal in eine solche Sitzung eingeladen. Und bisher einzigartig ist auch die Ehrung, die der Kultusvorstand Kardinal Christoph Schönborn, auch emeritierter Erzbischof von Wien, zukommen ließ: Die IKG Wien widmete ihm für seine Verdienste um den jüdisch-christlichen Dialog einen Stern in der Kuppel des Stadttempels.

IKG-Präsident Oskar Deutsch betonte, Kardinal Schönborn habe über drei Jahrzehnte lang maßgeblich den Dialog zwischen den Religionen geprägt. Regelmäßig habe er dabei auch darauf aufmerksam gemacht, dass das Christentum auf jüdischen Wurzeln fuße und Jesus Jude gewesen sei. „Wir schätzen den Kardinal sehr für den starken Einsatz für den interreligiösen Austausch und dafür, dass er die jüdische Gemeinde immer verteidigt und unterstützt hat.“

Auch seit dem 7. Oktober 2023, wo sich Juden und Jüdinnen weltweit mit einem enthemmten Antisemitismus konfrontiert sähen, habe sich der Kardinal „stets als felsenfester Freund erwiesen und vor dem Antisemitismus – egal vor welchem – gewarnt und auch aktiv Initiativen ergriffen“, so der IKG-Präsident. Erst im Jänner sei von ihm sowie von Oberrabbiner Jaron Engelmayer und dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ümit Vural, die „Wiener Erklärung“ unterzeichnet worden.
In dieser Erklärung wird die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften zur Förderung von Frieden und einem harmonischen Miteinander in der Gesellschaft betont. Konkret heißt es darin vor allem: „Entschieden verurteilen wir jeglichen Missbrauch von Religion zur Anstiftung oder Rechtfertigung von Terror und Gewalt. Zugleich treten wir gegen jede Form von Diskriminierung und Bedrohung religiösen Lebens auf. Wir verpflichten uns, das gegenseitige Verständnis und den Zusammenhalt in unseren Religionsgemeinschaften mit aller Kraft zu stärken.“
Kardinal Schönborn sei zudem auch immer hinter der IKG, aber auch der Islamischen Glaubensgemeinschaft, gestanden, wenn es darum ging, sich gegen ein Schächtverbot einzusetzen, sagte Deutsch. Er habe zudem wichtige Aufarbeitung in Sachen christlicher Antisemitismus geleistet. Und er habe mit seinen herzlichen Feiertagswünschen immer wieder seine Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde gezeigt.
Oberrabbiner Engelmayer betonte ebenfalls die Jahrzehnte lange Verbundenheit des Kardinals mit der IKG Wien. Er verwies zudem auf die abgerundete Darstellung der beiden Tafeln mit den Zehn Geboten im Wiener Stadttempel. Der Überlieferung nach seien diese eckig, die oben abgerundete Version könne als Herz interpretiert werden. Genau das seien die Zehn Gebote auch: das Herzstück des Judentums. Der Kardinal wiederum habe nicht nur stets viel Weitsicht und Weisheit gezeigt, „sondern auch viel Herz – Sie sind immer sehr beherzt vorgegangen“. Und, das unterstrich auch der Oberrabbiner, Schönborn habe sich zur Verantwortung der katholischen Kirche am historischen Judenhass bekannt.
Der so Gewürdigte zeigte sich gerührt und meinte,
es ist für mich ein bewegender Moment. Es ist schon sehr außergewöhnlich, dass ich hier stehen darf, das bewegt mich sehr.
Dass nun ein Stern im Stadttempel seinen Namen trage, „berührt mich zutiefst“.

In seinen Dankesworten sprach er vor allem über die Substitutionstheologie. Hier sei es ihm ein Anliegen gewesen, diese gemeinsam mit Freunden in der Kirche als nicht entsprechend nachzuweisen. Laut Substitutionstheologie wurde der Bund zwischen Gott und den Juden durch den Bund zwischen Gott und den Christen abgelöst beziehungsweise eben ersetzt. „Das bedeutet, dass einer Religionsgemeinschaft das Existenzrecht abgesprochen wird“, so der Kardinal. Hier sei auch eine ständige Nährquelle für den christlichen Antisemitismus zu finden gewesen.
Ihm sei es darum gegangen, in den Schriften nachzuweisen, dass ein Bund, der einmal geschlossen wurde, für immer gelte. „Der neue Bund ist nicht Substitution, das ist ein ganz entscheidender Gedanke für das Verständnis der Unaufhebbarkeit und damit der Anerkennung des Judentums durch das Christentum“. Diese Rückkehr zu dem, was die beiden Religionen verbinde, mache zwar nicht gut, was in der 2000jährigen Geschichte des Christentums passiert sei, „aber es eröffnet Perspektiven für die Zukunft“.