„Eine Taube erschießen“

David Grossmans politisch- literarische Reden und Essays

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David Grossman: Eine Taube er-schießen. Reden und Essays. Aus dem Hebräi-schen von Anne Birkenhauer und anderen. Hanser, 128 S., € 18,50

Mit „der Lage“, wie der beständige Konflikt der Völker euphemistisch genannt wird, will sich David Grossman nicht abfinden. Und den „Luxus“ zu verzweifeln könne er sich nicht leisten, möchte er doch, dass seine Kinder und Enkel ein Leben in einem friedlichen Israel kennenlernen, was ihm bisher nicht vergönnt war.

Eine Taube im Gegensatz zu den fanatisch-militanten Falken ist der international höchst angesehene Autor sehr wohl, ein naiver Pazifist aber ebenso wenig wie sein Freund und Kollege Amos Oz. Mit ihm gemeinsam forderte er im August 2006 vom damaligen Regierungschef Ehud Olmert ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen im Libanon. Nur wenige Tage danach fiel Grossmans zweiter Sohn Uri in diesem Krieg, „den man hätte verhindern können“, wie der Vater überzeugt ist.

Jude und Israeli. In den Reden, die er in Deutschland gehalten hat, etwa 2010, als ihm der „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ verliehen wurde, oder anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz 2017, ist sich Grossman „als Jude und Israeli“ des besonderen Resonanzraums wohl bewusst. Trotz der noch immer „offenen Wunde der Schoah“ gibt ihm aber gerade das gegenwärtige Verhältnis beider Staaten Anlass zur Hoffnung, dass Frieden auch dort denkbar ist, wo er lange unmöglich schien.

Und so führt der Verlust der Hoffnung bei Israelis
und Palästinensern zu Apathie und Lähmung
und geradewegs in die Hände
von extremistischen Fanatikern.

In Israel unterstütze der wach gehaltene Albtraum des Holocaust eine Politik der Angst. Das tragisch-jüdische Gefühl, immer verfolgt und gehasst zu werden, Opfer zu sein, verhindere gerade in den letzten Jahren „das Israelische, das sich selbst nach großen Katastrophen neu erschuf und stets mutig in die Zukunft strebte“.

Und so führt der Verlust der Hoffnung bei Israelis und Palästinensern zu Apathie und Lähmung und geradewegs in die Hände von extremistischen Fanatikern, so Grossman. Nicht nur darin, sondern vor allem im festen Glauben an die Zweistaatenlösung als einzig logischen Ausweg, stimmen Oz und Grossman überein. Doch auch für diese Möglichkeit sieht er nur noch wenig Zeit.

Von der „Deformation“ durch hundert Jahre Konflikt und fünfzig Jahre Besatzung, seine Auswirkungen auf die Seele der Menschen und den Geist des Volkers und über Israels gefährdete Demokratie spricht Grossman daheim, d. h. etwa in Jerusalem 2017. In einer Rede über Literatur und Frieden bewegt er sich darin auf seinem ureigensten Gebiet, in dem er ganz bei sich und zu Hause ist. Er spricht über das Schreiben, seine Schwierigkeiten und sei-ne Wonnen, das Schreiben als ein Recht, „ich“ und nicht „wir“ zu sagen, ein Recht, das letztlich auch den Leser von Literatur einschließt. Zwischen diesem subjektiven Ich des Autors und dem kollektiven Wir des israelischen Zeitgenossen hat David Grossman seinen großen Horizont ausgespannt. 

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