„Ich möchte unserer Israel-Sache dienen“ – Einsteins nie gehaltene letzte Rede am Jom HaAzmaut vor 70 Jahren

Millionen Menschen sollten am 26. April 1955 dem Nobelpreisträger zuhören und -sehen. Die Vorbereitungen waren getroffen und Albert Einstein hatte bereits zu schreiben begonnen. Doch dann schlug das Schicksal zu. Auf Spurensuche nach der Ansprache, die nie gehalten wurde.

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Es ist eine faszinierende, aber kaum bekannte Geschichte mit einer tragischen Wendung. Sie erzählt von der Beziehung zwischen dem bedeutendsten Juden der Neuzeit und dem jungen jüdischen Staat. Sie handelt von einer Rede zum Jom Ha’azma’ut, dem israelischen Nationalfeiertag, vor genau 70 Jahren, und die Worte von damals könnten auch zum Jom Ha’azma’ut 2025 gesprochen werden.

Albert Einstein, um 1950. Nur eine Woche vor seiner geplanten Rede im April 1955 starb der Nobelpreisträger. Das Foto mit dem Regenschirm wurde rasch zur beliebten Postkarte.(c) mit freundlicher Genehmigung des Albert Einstein-Archivs, Jerusalem

„Ich möchte unter den vorherrschenden schwierigen und gefährlichen Umständen sehr gerne unserer Israel-Sache dienen“, antwortete Albert Einstein am 4. April 1955 auf eine Anfrage von Reuven Dafni, dem israelischen Konsul in New York.

Dafni war davon „tief bewegt“. Dabei hatte die ganze Sache mit einem Scherz begonnen. Das Konsulat hatte aus Anlass des siebenten Jahrestags der Staatsgründung bei amerikanischen Fernseh- und Radiostationen, Tageszeitungen und Magazinen angeklopft, um sie zu Israel-Beiträgen anzuregen. Das TV-Netzwerk ABC dachte über den Vorschlag nach, ein 15-Minuten-Programm über Israels kulturelle und wissenschaftliche Leistungen zu produzieren – ach, und es wäre schön, bemerkten die Fernsehleute, wenn Professor Einstein dabei mitmachen würde. Das konnte natürlich nicht ernst gemeint sein. Der Physiker, dem die Menschheit ein neues Verständnis des Universums verdankt, war damals ein weltbekannter Pop-Star (was er ja heute immer noch ist). Zugleich war Einstein dafür bekannt, dass er öffentliche Auftritte und jeden Rummel um seine Person verabscheute. Insbesondere den Massenmedien begegnete er mit Skepsis, ja Verachtung; und er gab keine Interviews. Trotzdem versuchte Dafni mit einem Brief an Einstein sein Glück – und nun hatte der Titan doch tatsächlich zugesagt!

So überraschend war das aber nun auch wieder nicht. Über Jahrzehnte hatte sich Einstein mit großem persönlichem Einsatz für jüdische Angelegenheiten und für den Zionismus verwendet. Im April 1921 hatte das vielbeschäftigte und vielgefragte Genie, kurz nach der experimentellen Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie am Höhepunkt seines Ruhms, sogar den Zionistenchef und späteren ersten Staatspräsidenten Chaim Weizmann über den Atlantik begleitet, um in den USA Geld für eine geplante hebräischsprachige Universität in Jerusalem zu sammeln. „Ich gehe gar nicht gern nach Amerika“, hatte Einstein damals mit typischer Selbstironie an seinen Jugendfreund Maurice Solovine geschrieben, „sondern tue es nur im Interesse der Zionisten, die für die Bildungsanstalten in Jerusalem Dollars erbetteln müssen, wobei ich als Renommierbonze und Lockvogel dienen muss […]. Aber andererseits tue ich, was ich nur kann, für meine Stammesbrüder, die überall so gemein behandelt werden.“ Die Verbindung zu Israel war so tief, dass nach Weizmanns Tod im November 1952 Premierminister David Ben-Gurion bei Einstein anfragen ließ, ob er bereit wäre, nach Jerusalem zu übersiedeln und sich zum Präsidenten wählen zu lassen.

60 bis 80 Millionen Zuseher. Das hatte Einstein zwar abgelehnt, nun aber wollte er, mit dem ganzen Gewicht seines Prestiges und seiner moralischen Autorität, eine große Rede über und für Israel halten. Schon in seinem Antwortbrief an Dafni hatte Einstein bemerkt, dass das Publikum „sehr wenig beeindruckt“ sein würde, wenn er bloß über ein kulturelles oder wissenschaftliches Thema spräche, etwa die friedliche Nutzung der Kernenergie. Nein, es sollte eine politische Rede sein, denn die öffentliche Aufmerksamkeit sei auf die „israelisch-arabischen Schwierigkeiten“ gerichtet. Und sehr rasch war klar, dass da eine mediale Sensation bevorstand. Die Rede wurde auf den Vorabend des Jom Ha’azma’ut angesetzt, 26. April 1955, 19 Uhr. Sie sollte simultan von den drei großen Netzwerken ABC, CBS und NBC übernommen und „von Küste zu Küste“ ausgestrahlt werden. Geschätzte Zuseherzahl: 60 bis 80 Millionen! So etwas hatte es noch nie gegeben – niemand, auch kein amerikanischer Präsident, hatte jemals die Gelegenheit gehabt, zu einem derart großen Publikum zu sprechen. Kommentar von Einstein: „Da werde ich ja wohl noch berühmt werden!“

David Ben-Gurion zu Besuch bei Albert Einstein in Princeton am 13. Mai 1951. © mit freundlicher Genehmigung des Albert Einstein-Archivs, Jerusalem

Bei allem Schalk war das ein Projekt, das Einstein am Herzen lag – die Rede „muss in Zusammenarbeit mit verantwortlichen Israelis sorgfältig vorbereitet werden“. Am 11. April fuhr Dafni mit Abba Eban, Israels damaligem Botschafter in Washington und späterem Außenminister, nach Princeton, um mit Einstein in dessen bescheidenem Haus die Rede zu besprechen. Einstein hatte schon einen Entwurf vorbereitet, die Israelis machten weitere Vorschläge, von denen Einstein die meisten akzeptierte. Botschafter Eban übernahm es, ein Protokoll des Gesprächs anzufertigen. Am 12. April begann Einstein, wie seine treue Sekretärin Helen Dukas berichtet, die Rede zu schreiben. Doch nach der ersten Seite wurde er unsicher und wollte sich noch einmal mit den Israelis beraten. Deshalb fuhr Dafni schon am 13. April noch einmal zu Einstein. Zwei Stunden lang saßen sie in Einsteins Arbeitszimmer und diskutierten über das Protokoll, das Eban niedergeschrieben hatte. Einstein machte sich Notizen und war laut Dafni mit fast allem einverstanden.

Doch am Nachmittag desselben Tags, wenige Stunden, nachdem Dafni gegangen war, schlug das Schicksal zu. Einstein brach wegen einer inneren Blutung zusammen und wurde ins Krankenhaus von Princeton eingeliefert. Am Tag danach ließ er sich von seiner Sekretärin den Arbeitsblock nachbringen, der auch die Notizen für die Rede enthielt. Er scheint trotz starker Schmerzen noch im Krankenhausbett am Text gearbeitet zu haben. Aber die Rede wurde nie gehalten. Einstein starb am 18. April, acht Tage vor dem geplanten Termin.

Erstaunlich aktuell. Was hätte Einstein gesagt? Es gibt eine von den israelischen Diplomaten aus ihren Notizen erstellte „Rekonstruktion“ der Rede. „Die Errichtung dieses Staates wurde international gebilligt und anerkannt“, heißt es da, „großteils zu dem Zweck, die Reste des jüdischen Volks vor unsagbaren Gräueln der Verfolgung und Unterdrückung zu retten. Es ist deshalb ein bitteres Paradoxon zu sehen, dass ein Staat, der ein Hort für ein gequältes Volk sein sollte, selbst von ernsten Gefahren für seine eigene Sicherheit bedroht ist.“ Und weiter:

„Es ist abnormal, dass die Weltmeinung nur Israels Reaktion auf die Feindseligkeiten kritisiert und nicht aktiv versucht, die arabische Feindseligkeit zu beenden, welche die Grundursache für die Spannungen ist.“

Erhalten sind auch einige wenige Notizen von Einsteins Hand. Zum „Refugee Problem“, also dem Flüchtlingsproblem, lesen wir da von der „Unmöglichkeit, Leute, die in der Stunde der Not zum Feinde übergegangen sind, wieder als Bürger aufzunehmen“, der „Aufrechterhaltung des Refugee-Status als Propagandamittel der arabischen Staaten“ und in Bezug auf „Grenzzwischenfälle“, also Angriffe an Israels Grenzen, von „als Provokationen geplante[n] Einzelaktionen“.

Israel als einziger demokratischer Staat im Middle East kann solche Methoden nicht anwenden. Es kann nur durch offene staatliche Gegenaktionen antworten, wenn es sich überhaupt verteidigen will. Irreführung des Publikums in Bezug auf […] die Schuld an Grenzzwischenfällen.

Das klingt alles erstaunlich aktuell.

Mit Recht wurde eingewandt, etwa von Einsteins ersten Nachlassverwaltern, dass es eine autorisierte Fassung der geplanten Jom-Ha’azma’ut-Rede nicht gibt. Den israelischen Diplomaten wurde unterstellt, die von ihnen veröffentlichte Version sei für Israel vorteilhafter ausgefallen, als Einstein es beabsichtigt habe. Das ist möglich, aber natürlich nicht überprüfbar und letztlich bedeutungslos. Die vorhandenen Dokumente belegen, dass Einstein sich über Israel Gedanken und Sorgen machte, bis zu seinem letzten Tag ein leidenschaftlicher Anwalt Israels war und mit der spektakulären politischen Rede, auf die er gedrängt hatte, die er aber nicht mehr halten konnte, dem offenbar schon damals oft zu Unrecht kritisierten kleinen Land beistehen wollte.

Der Autor dankt Chaya Becker vom Albert-Einstein-Archiv in Jerusalem für ihre Recherchen.

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