„Es fügt sich immer alles“

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Wer Jalda Rebling erlebt hat, weiß, dass nicht Körpergröße entscheidend ist, ob jemand den Raum füllt. Zart und stark zugleich belebt die energiereiche Kantorin wirklich jeden Raum. Von Manja Altenburg

Seit mehreren Jahrzehnten gilt Jalda Rebling als DIE international renommierte Spezialistin für jüdische Musik. 2007 wurde sie von Rabbi Zalman Schachter-Schalomi, Rabbi Marcia Prager und Hazzan Jack Kessler zur Kantorin ordiniert. 21 weitere Rabbiner und Kantoren signierten ihre Ordination, unter ihnen war auch Rabbiner Leo Trepp. Die Kantorin lehrt in der Tradition der Maggidim, jüdischer Wanderlehrer, die mit Liedern und Geschichten jüdisches Wissen in die Welt tragen.

Mit Eltern und älterer Schwester in Amsterdam
Mit Eltern und älterer Schwester in Amsterdam

Geboren wurde sie 1951 in Amsterdam als zweite Tochter der bekannten niederländischen Sängerin und Tänzerin Lin Jaldati (eigentlich Rebekka Brilleslijper) und dem aus Berlin emigrierten Pianisten Eberhard Rebling. Mit ihrem zukünftigen Gatten gibt die bereits berühmte Jaldati ab 1938 eigene Abende mit jiddischen Liedern und Tänzen. Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 schloss sich Jaldati der Widerstandsbewegung an und ging 1942 mit ihrer Familie in den Untergrund. Während ihr Mann noch rechtzeitig fliehen kann, wird Jaldati 1944 verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork, in das KZ Auschwitz und in das KZ Bergen-Belsen deportiert. Hier begegnet sie Anne und Margot Frank. Am 15. April 1945, 28 kg leicht, wird Jaldati von kanadischen Truppen befreit; außer ihrer Schwester Jannie, deren Kindern und ihrer kleinen Tochter Kathinka überlebte die Familie die Schoa nicht.

Kindheit in der jüdisch intellektuellen Szene
Die Mutter Lin Jaldati
Die Mutter Lin Jaldati

Anfang der 1950er-Jahre siedeln die Reblings freiwillig in die DDR. Voller Idealismus wollen sie hier helfen, ein neues Land aufzubauen. Wie viele jüdische Intellektuelle, Hans Eisler, Ernst-Hermann Meyer, Anna Seghers u.v.m., die zum engen Freundeskreis der Familie zählen. „Aufgewachsen bin ich mit einem hohen künstlerischen Niveau in der jüdisch linken Szene.“ Nach außen gelingt es Jaldati, sich weiterhin als starke Künstlerin zu geben. Rebling wächst mit einem klaren Rollenmuster auf: Die Mutter war stets selbstständig, sie war eine Berühmtheit schon bevor sie ihren Mann kennen lernte, wusste sich selbst zu versorgen. Sie ernährte phasenweise die Familie. Ein Rollenbild, das Rebling verinnerlicht hat. Auch in ihrer jüdischen Identität fühlt sie sich von zu Hause gefestigt. „Wir lebten zwar säkular, aber an Pessach gab es Mazzot!“

Als Kind fühlt sie sich oft einsam; „ich lebte in der Emigrantenwelt, zu Hause sprachen wir nur Holländisch. Zudem war ich das einzige jüdische Kind in der Schule.“ Nach der Matura studiert sie an der staatlichen Schauspielschule Berlin. Theaterarbeit, Film, TV- und Hörfunkproduktionen folgen. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich. Das Jahr bildet den Wendepunkt in ihrem Leben. Jaldati erinnert sich an die junge Anne Frank, deren 50. Geburtstag bevorsteht. Sie bittet die junge Schauspielerin, Texte aus dem Tagebuch zu lesen und mit ihr gemeinsam jiddische Lieder vorzutragen. Dem kommt sie ungern nach. „Man macht doch nicht dasselbe wie die Mutter“, lacht Rebling. Gut, dass sie es dennoch tat. Denn jeder, der sie hörte, drängte sie weiterzutun. Und das tat Rebling. Sie studiert jüdische Geschichte, widmet sich der Tora. 1980 gründet sie ihre eigene Band, mit der sie jiddische Lieder vorträgt. Erfolgreich. Nebenher geht sie mit den Eltern und seit 1983 auch mit der Schwester, inzwischen ist The only jewish Theater of East Germany eine feste Institution, auf Tournee. Weltweit. Rebling ruft die Tage der Jiddischen Kultur 1987 in Ost-Berlin ins Leben. „Das war wie die Erfüllung eines Traumes.“ Da es von der UNESCO aufgenommen wird, überlebt es den Fall der Mauer und wird unter ihrer Leitung bis 1997 fortgesetzt. Den Mauerfall empfindet Rebling als Befreiung, und sie tut das, was sie auch in der DDR bereits tat. „Es ging alles irgendwie. Und das eine fügt sich zum anderen.“

Tora in der Hand? Das will ich auch!
Quintett mit Kindern
Quintett mit Kindern

Als sie 1993 während einer Bar Mitzwa in den USA erstmals eine Frau mit einer Tora im Arm sieht, weiß sie genau: „Das will ich auch!“ Sie wird aktiv in der Initiative rund um die Synagoge in der Oranienburger Straße, erhält Anrufe von der Berliner Gemeinde, ob sie das Morgen- und Mittaggebet an den hohen Feiertagen übernehmen kann. Sie sagt zu, obwohl sie es noch nie getan hat. Vier Wochen lang arbeitet sie mit Kassetten, die sie von Elisa Klapeck bekommt, besungen vom amerikanischen Kantor Jack Kessler, drei Gebetbüchern und Ismar Elenbogen auf den Knien. Viele Fragen tun sich auf. Als sie sich mit ihren Fragen an Kessler wendet, erwidert er: „Na dann komm doch!“ Ein reger Austausch beginnt. „Ich hatte den Lehrer gefunden, den ich gesucht hatte!“ Die Zeit in den USA verändert sie. „Die jüdische Lebensfreude, die ich hier in mir entdeckte, lass ich nicht mehr los!“ Zu ihrer Ordination (2007) sagt sie: „Ich bin zwar traditionell ausgebildet, aber flexibel. Diese Flexibilität hat mich viel um die Welt gebracht.“ Wegen der vielen Menschen, die bei ihr anklopfen, gründet sie die Initiative Ohel Hachidusch, die richtungsübergreifend aus der Tradition schöpfend Wege in die Moderne sucht.

Heute unterrichtet sie alle Generationen. „Wer mir vor Jahren gesagt hätte, dass ich leidenschaftliche Lehrerin werde, hätte ich für verrückt erklärt!“ Das sieht heute anders aus. Mit viel Freude lehrt sie Tora, Tehillim und Nussach. Jalda Rebling ist Mutter von drei Kindern und lebt seit 1993 mit der Künstlerin Anna Adam zusammen.

ZUR PERSON
Jalda Rebling, geboren 1951 in Amsterdam, wächst in Ost-Berlin auf, wo sie Schauspiel studiert. Seit 1979 widmet sie sich jüdischer Musik. Von 1987 bis 1997 ist sie Projektleiterin der Tage der Jiddischen Kultur. Von 1994 bis 2007 arbeitet sie am Hackeschem Hof Theater (jiddisches Liedtheater). 2007 wird sie zur Kantorin ordiniert und gründet Ohel Hachidusch e. V. Sie lehrt im ALEPH Cantorial Program, bei EAJL und ist Limmudnik. Verfilmt wurde ihre Geschichte 2012 im Film Jalda und Anna – erste Generation danach von Katinka Zeuner.

2 KOMMENTARE

  1. Jalda,

    manches wusst ich von dir, vieles noch nicht. Lass mich dir sagen, wie sehr ich dich, deine Persönlichkeit und deine Leistungen und Anna neben dir schätze!

    Shalom aus Tel Aviv
    Rachel

  2. Moin, was für eine Webseite! Genial dass ich diese Seite entdeckt habe. Ich habe mir sofort einen Favoriten gesetzt. Super gepostet!

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