WINA: Was war, abgesehen vom 200-Jahr-Jubiläum, der Anlass für die geplante Restaurierung?
Mag. arch. Natalie Neubauer: Das Jubiläum ist schon lange ein Thema, das hat man zu zelebrieren, aber unabhängig davon ist der Stadttempel wirklich in die Jahre gekommen. Einiges steht an und ist auch schon von der Kultusgemeinde budgetiert worden, z. B. bei der Haustechnik besteht dringender Handlungsbedarf. 36 Jahre nach der letzten Renovierung ist es eigentlich keinen Tag zu früh, um hier sinnvolle Maßnahmen zu setzen, und das Jubiläum ist natürlich ein optimaler Anlass, den Stadttempel wieder in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlen zu lassen.
Mag. arch. Eric-Emanuel Tschaikner: Es ist auch eine Chance, den Tempel noch mal als Ganzes anzuschauen. In den letzten Jahrzehnten sind immer wieder kleine, notwendige Adaptionen gemacht worden. Jetzt besteht die Möglichkeit, ein Gesamtkonzept zu entwerfen und nicht nur einzelne Bereiche anzugehen. Jetzt können wir z. B. Brandschutz und Sicherheitsmaßnahmen in eine Überlegung integrieren.
Manche Gemeindemitglieder, die den Tempel mehr oder minder häufig besuchen, haben diese Notwendigkeit vielleicht nicht so gesehen, wie man auch bei Wortmeldungen im „Bürgerparlament“ Anfang September bemerkt hat. Dass ein solches einberufen wurde, deutet ja auf einen Aufklärungsbedarf hin. Vor allem einige Ältere befürchten, dass der Charme des Tempels wegrenoviert werden könnte. Was sagt man diesen Leuten?
E.T.: Wir sehen unsere Aufgabe darin, einerseits nach vorne zu blicken, den Tempel für die Zukunft fit zu machen, aber auch zurückzuschauen, was war der Grundgedanke des Gebäudes. Wir versuchen den ursprünglichen Charme nicht nur zu erhalten, sondern auch zu verbessern.
Joseph Kornhäusel, der den Tempel plante, hätte heute ja wohl auch anders gebaut.
E.T.: Er hätte sicherlich anders gebaut, aber es ist auch viel dazu gebaut worden, was seiner Ursprungsidee widerspricht.
N.N.: Es geht um architektonische Zurückhaltung und nicht ums Erfinden. Es geht ums Zuhören, ums Hinschauen und ums Verstehen, und gerade dieser Aspekt, dass man sich dort genau so wohlfühlen soll, wie man das immer getan hat, ist natürlich die Grundprämisse. Der Stadttempel wird sich für die, die ihn schätzen, so anfühlen, wie er sich immer angefühlt hat. Der Tempel ist jedoch auch das ganze Rundherum. Und das Foyer, die Eingangssituation, kann niemand schön finden – und dass die Kinderbetreuung unten im Clubraum stattfinden muss statt in der Nähe. Es gibt also genügend Aspekte, die optimiert werden sollen. Da sind wir sehr intensiv mit allen Interessenvertretern dabei, Fragen zu stellen, zuzuhören, um Input für die täglichen Abläufe zu erhalten, und sind sehr optimistisch, dass uns das auch gelingt.
E.T.: Der Hauptraum selbst muss sehr vorsichtig angegriffen werden, da geht es eher um Licht, Akustik, die Möblierung, die sicher überarbeitet werden wird. Da muss man sensibel herangehen.
„Es ist auch eine unglaublich interessante
Auseinandersetzung mit der Geschichte.“
Natalie Neubauer
Das Gebäude steht unter strengem Denkmalschutz. Wie geht man mit den entsprechenden Auflagen um, und welche Auflagen hat man zu erwarten?
E.T.: Kontakt zum Denkmalschutz aufzunehmen, war das Erste, das wir gemacht haben, auch im Sinne, dass wir Schätze heben wollen. Wir mussten in die Archive gehen, die alten Pläne sichten, alte Darstellungen suchen, um z.B. herauszufinden, wie sich Kornhäusel und Wilhelm Stiassny (Architekt der 1. Renovierung 1895, Anm.) das Licht vorgestellt haben. Das ist eine bauhistorische Arbeit, die wir betreiben, auch dabei ist das Bundesdenkmalamt ein guter Gesprächspartner, d. h. dieser Kontakt wird ein kontinuierlicher Prozess sein bis zur Fertigstellung. Die Zielsetzung ist, den Bestand zu eruieren und zu wissen, was man anfassen kann und was nicht, auch das kann man mit dem Bundesdenkmalamt auf Augenhöhe und mit fachlicher Kompetenz besprechen.
N.N.: Sie sind unsere Partner, Mitplaner und Mitdenker, sie zahlen auch mit und unterstützen die Schatzhebung. Es werden bereits jetzt in Absprache mit der Kultusgemeinde erste Befundungen durchgeführt, Malerei-Schichten freigelegt. Es gibt z. B. noch vorhandene originale Türen, die man ganz anders renovieren muss als solche aus den 1980er-Jahren. Das sind Dinge, die minutiös untersucht werden, mit Unterstützung und Spezialisten des Bundesdenkmalamts vor Ort. Das ist auch eine unglaublich interessante Auseinandersetzung mit der Geschichte. Diese Kombination – dass die Renovierung natürlich dem Bundesdenkmalamt, den Sicherheitsansprüchen, dem Brandschutz und der Funktion entsprechen muss und all dies möglichst termingerecht und kostenrelevant unter einen Hut zu bringen – ist die große Herausforderung an uns als Planer und Architekten.
Wie kam es zur Auftragsvergabe an Ihr Büro?
N.N.: Jeder Prozess bedarf entsprechender Diskussion und Überlegungen. Weil es hier um eine sehr komplexe Aufgabenstellung geht, hat sich der Kultusrat lange damit befasst und uns schließlich einstimmig beauftragt. Die Komplexität der Situation ist herausfordernd und eine gewisse inhaltliche Bekanntheit und Vertrautheit ist hier unerlässlich. Es ist auch notwendig, die Hintergründe und Abläufe zu verstehen. Ich glaube, dass wir das gut können, und entsprechend gab es hier diese Einstimmigkeit im Kultusrat, über die wir uns sehr freuen. Gleichzeitig ist es eine Aufgabe, der wir mit viel Respekt entgegentreten.
„Wir sehen unsere Aufgabe darin,
den Tempel für die Zukunft fit zu machen.“
Eric-Emanuel Tschaikner
Eine offizielle Ausschreibung hat es also nicht gegeben?
E.T.: Nein. Wir bringen aber als Büro in Bezug auf Denkmalschutz schon einiges mit, ich bin zudem Mediator, d. h. wir haben auch die entsprechenden Ausbildungen, um einen komplexen Prozess zu leiten und zu designen. Außerdem haben wir bereits im Rahmen der Kultusgemeinde gearbeitet, z. B. schon ein Projekt auf dem Währinger Friedhof umgesetzt.
N.N.: Übrigens schon mit derselben wunderbaren Referentin des Bundesdenkmalsamts, mit der wir auch jetzt arbeiten, mit Frau Schönhold, die unsere Arbeit sehr geschätzt hat. Dazu kommt noch die Vertrautheit mit der Gemeinde – es gibt wenige Büros, die all diese Komponenten vereinbaren können.
Apropos Mediator: Sensibilität im Umgang mit allen Beteiligten wird wohl hilfreich sein. Auftraggeber ist die IKG. Welches Mitspracherecht hat diese bei einzelnen architektonischen oder baulichen Entscheidungen? Und welche Rolle spielt in dieser Hinsicht das Rabbinat; was ist aus religiösen Gründen zu beachten?
N.N.: Die IKG bemüht sich, in Absprache mit uns, den ganzen Prozess nicht nur transparent, sondern inhaltlich sinnvoll aufzusetzen und hat einen Expertenrat gebildet, in dem unter anderen auch der Oberrabbiner, der Tempelvorstand und der Präsident sitzen, um gemeinsam Aspekte zu überlegen. Wir bemühen uns etwa, die Barrierefreiheit zu verbessern. Da haben wir mit dem Rabbinat Überlegungen angestellt, wo auch Damen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, entsprechend Platz finden können. Aber wie bringt man diese in die Damengalerie? Nun gibt es ein wunderbares Institut in Israel, das Treppenlifte baut, die auch nach den religiösen Vorschriften am Schabbat einsetzbar sind, und mit dieser Hilfe kann man entsprechend würdige Plätze auch für diese Frauen schaffen.
E.T.: Wir als Architekten haben eine Art RegisseurRolle. Wir versuchen, eine Vision zu entwickeln, die viele Interessen vereinigt. Wir haben aber viele Entscheidungsträger, die uns ihr Okay geben müssen, das ist bei diesem Projekt auch auf Grund der religiösen Seite besonders interessant. Dazu ein technisches, ein baurechtliches und das OK des Bundesdenkmalamts, und natürlich muss die IKG als Auftraggeber das absegnen.
Auch Tempelbesucher:innen werden zu Anregungen animiert, durch einen direkten E-Mail-Kontakt. Ist ernsthaft an eine Mitsprachemöglichkeit gedacht, oder hat das eher eine Ventilfunktion für persönliche Anliegen?
N.N.: Nein, das ist keineswegs der Fall. Wir freuen uns über persönliche Gedanken und Aspekte und lesen und beantworten die Mails.
E.T.: Jeder kann Wünsche oder Bedürfnisse ansprechen, und wir erhalten oft auch nützliche Informationen. Wir versuchen, das zu integrieren, und können damit sehr gut arbeiten. Wir nehmen die Dinge wirklich ernst, aber natürlich wird nicht alles gehen können.
Sie haben beim Bürgerabend Anfang September gesagt, dass mit der Planung erst begonnen wird. Wie lässt sich noch vor den entsprechenden Ausschreibungen eine Gesamtsumme von rund zehn Millionen Euro festlegen?
N.N.: Wir sind seit mehr als 20 Jahren im Geschäft und haben Partner, die darauf spezialisiert sind, Kosten zu schätzen. Das ist natürlich eine erste, sehr grobe Kostenschätzung. Wir hoffen, dass wir mit dem Budget gut auskommen, aber vieles ist da noch Theorie. Bei einem solchen Projekt, bei dem die Finanzierung aufgestellt werden muss, muss es aber einen Betrag geben, bei dem man zu agieren beginnt.
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Sollte sich dieser Betrag aus verschiedenen Gründen nicht halten lassen, muss man sich dann nach der Decke strecken, oder könnte man sagen, es kostet halt das Doppelte, sonst wird’s nix?
N.N.: Wir werden das Geld ausgeben, das es gibt. Wenn die Finanzierung nicht reicht, wird es Abstriche geben müssen, oder einige Dinge werden wir nicht machen können.
E.T.: Nach der Decke strecken heißt in dem Fall Design to Budget. Das ist bei dem Projekt schon eine Herausforderung, andererseits auch eine Chance. Wir machen hier aber weniger einen Entwurf als eher einen Katalog von Einzelmaßnahmen von mehreren hundert Punkten.
N.N.: Der Zeitplan ist eng. Wir beginnen erst nach den Hohen Feiertagen 2025 und sollen vor Rosch ha-Schana 2026 zum Jubiläum fertig sein. Nach Befund des Bundesdenkmalamts, Entwurf, Genehmigungen und Ausschreibungen wird man sehen, wie viel Geld vorhanden ist, und entsprechend kann anhand des Maßnahmenkatalogs dann beauftragt werden.
Ist auch an eine Änderung der Fassade gedacht, die sich ja durch Unauffälligkeit auszeichnet? Und was geschieht mit dem Gemeindezentrum, das vergleichsweise viel schlechter gealtert ist als der eigentliche Tempel?
N.N.: Die Fassade ist denkmalgeschützt und wird entsprechend saniert werden. Das Gemeindezentrum, in dem während der Renovierungszeit gebetet werden wird, soll erst in einer weiteren Phase in Angriff genommen werden.
Eine gewisse Patina trägt meist dazu bei, dass sich Menschen in einem Gebäude heimisch fühlen. Wie wird man dieses Gefühl der Vertrautheit erhalten können?
E.T.: Die alten Oberflächen werden sich nicht wesentlich verändern. Das Holz, das nicht alt ist, kommt weg, ebenso der Linoleumboden. Insgesamt wollen wir den Inhalt bewahren, aber versuchen, eine Lösung zu finden, die sich besser in das Gesamte und Historische einfügt.
N.N.: Es gibt ein wunderbares Foto von einem Kriegsgottesdienst im Jahr 1915. Darauf sieht man, dass die Wände im Hintergrund hell waren. Es gab also ursprünglich keine Vertäfelung. Das sind Entdeckungen, die wir unterwegs machen und untersuchen und mit deren Hilfe wir, in Kombination mit den Bedürfnissen, versuchen, die entsprechenden Orte bestmöglich für das Hier und Jetzt zu nutzen. Und so bleiben die Spendertafeln, die ja „heilig“ sind, selbstverständlich an den Wänden erhalten! Die muss es und wird es weiterhin geben.