Nora Sternfeld arbeitete zwei Jahre im Rahmen eines Vermittlungsprojekts mit Wiener Jugendlichen zum Holocaust. Im Gespräch mit WINA erzählt sie, warum sie diese Vermittlung als politische Arbeit sieht, mit der man nicht aufhören darf.
WINA: Wenn man heute von Aufklärung über die NS-Zeit an Schulen spricht, nennt man das „Holocaust Education“. Ist das nur ein anderer Begriff für Vergangenheitsbewältigung?
Nora Sternfeld: Holocaust Education, man hört es schon: Das ist ein englischer Begriff, der sich im deutschsprachigen Raum noch nicht so lange etabliert hat. Er kommt aus den USA und ist mit einer Moral- und Werterziehung verbunden. In Ansätzen der Geschichtsvermittlung, die sich vor dem Hintergrund der Frankfurter Schule im deutschsprachigen Raum entwickelt haben, geht es um mehr historische Methoden und die konkrete Auseinandersetzung mit spezifischen Orten, Quellen, Kontinuitäten. In der Holocaust Education werden die historischen Mittel demgegenüber oft als viel weniger wichtig betrachtet als die Frage nach den heutigen Werten und danach, was getan werden kann. Man kann auch sagen: Es gibt zwei Seiten jeder Geschichtsvermittlung – die Auseinandersetzung mit dem, was geschehen ist, und jene damit, was das für die Gegenwart bedeutet. Ich denke, beide sind gleich wichtig, und ich kann mich dem, was passiert ist, nur mit historischen Mitteln zuwenden.
Wann hat man sich auch in Österreich eher diesem ethisch-moralischen Ansatz zugewendet?
❙ Ich würde sagen, das ist erst in den letzten 15 Jahren passiert.
Davor gab es einfach nur eine Vermittlung dessen, was in der NS-Zeit passiert ist?
❙ Ja und nein. Davor war es einfach anders umkämpft. Es galt, die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis überhaupt erst zu erringen. Da gab es die Fraktionen, die nicht darüber reden wollten, und die Fraktionen, die erinnern wollten. Das heißt, die einen wollten einen Schlussstrich ziehen, die anderen kämpften um ein „Niemals-Vergessen“. Und diese Positionen gab es auch unter den Lehrenden, und so drückte sich das dann auch widersprüchlich im Unterricht aus. Und auch die AutorInnen der Schulbücher waren AnhängerInnen der einen oder anderen Fraktion. Das kann man aus den Büchern auch herauslesen und herausanalysieren.