Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben …

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Auf fremdem Land heißt der neue Roman von Assaf  Gavron in der deutschen Fassung. Und bekommt damit ein Etikett, das weder seiner Tendenz noch den Absichten des Autors wirklich entspricht. Am Gipfel eines Hügels, so auch der hebräische Titel, in der Westbank, liegt eine illegale jüdische Siedlung. Von ihr und den Menschen dort erzählt der Roman, Partei ergreift er nicht. Von Anita Pollak

Zuerst ist es nur einer. Er kommt, um Gemüse anzubauen und eine Ziege zu halten. Und das Land nimmt ihn ein in seiner Schönheit, und er nimmt das Land ein, um sich dort mit seiner Familie niederzulassen. Menschenleeres Naturschutzgebiet, in Sichtweite ein arabisches Dorf, Militärposten. Die Geburt einer Siedlung, einer der wilden Siedlungen, die seit Jahrzehnten ein nationales und internationales Ärgernis und ein Politikum sind. Wer sind die Menschen, die hier fern der Zivilisation unter härtesten Bedingungen leben, Kälte und Hitze fast ungeschützt ausgesetzt, bedroht und bekämpft? Woher kommen sie und was sind ihre Motive? Assaf Gavron erzählt davon, in vielen Geschichten vieler Menschen und ihrer ganz verschiedenen Schicksale.

Ein einfacher Wohnwagen ist die erste Behausung der Gründerfamilie Asis, doch schon bald folgen weitere Familien mit weiteren Wohnwagen. In einem davon richtet der fiktive „Outpost“ Chermesch 3 seine Synagoge ein, denn das religiöse Leben mit seinen Gebeten, Geboten und Verboten ist das, was alle am Hügel zusammenhält. Es sind Orthodoxe und Neo-Orthodoxe, wie der ehemalige Kibbuznik Gabi, der nach einigen Katastrophen seiner Existenz hier ein ruhiges, g-ttgefälliges Leben führen will, bis sein älterer Bruder Roni bei ihm auftaucht. Der draufgängerische Investmentbanker hat unter anderem auch das Vermögen etlicher Landsleute an der Wallstreet in gewagten Deals verspekuliert und ist nun, gänzlich abgebrannt, auf der Flucht vor seinen Opfern in diesem „Loch am Ende der Welt“ gelandet. Mit den neuen religiösen Spinnereien Gabis hat er nichts am Hut. Die Schicksale dieser beiden ungleichen, früh verwaisten Brüder sind nur ein Strang entlang der dramatischen Geschehnisse rund um die Siedlung, die immerfort von der Räumung bedroht ist.

Bizarre Bürokratie

Denn einerseits besteht keine Genehmigung für das Abstellen von Wohnwagen, andererseits aber auch keine, sie zu entfernen, und offiziell gibt es sie gar nicht. Den bizarren bürokratischen Behördendschungel, in dem „die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut“, durchforstet Gavron mit viel Detailkenntnis und köstlicher Ironie. Schließlich wird Chermesch 3 nicht nur ein innerisraelisches Politikum, sondern gelangt durch den Artikel eines zufällig anwesenden amerikanischen Journalisten kurzfristig sogar zu medialem Weltruhm. Die nervenden Siedler sind aber mittlerweile längst zu gewieften Lokalpolitikern avanciert, die gekonnt verschiedene Netzwerke zu ihren Zwecken zu nutzen wissen. „Besser Respektlosigkeit dem Gesetz gegenüber als Respektlosigkeit dem Herrn gegenüber“ ist ihre Maxime.

Doch der Faszination, die von dieser schlichten, religiösen Welt ausgeht, scheint sich auch der säkulare Autor kaum entziehen zu können. Wie er die Stille eines Schabbats, die traditionellen Festtagsfreuden, das enge, oft allzu enge Familienleben beschreibt, zeugt zumindest von sehr viel Verständnis für alternative Lebensformen. Die andere, sprich arabische Seite und ihre Konflikte mit Siedlern und Besatzung blendet er dabei nicht aus. Aber der geplante Sicherheitszaun bedroht sichtlich nicht nur die Olivenhaine der benachbarten Araber, er geht mitten durch das Herz der israelischen Gesellschaft. Immer wieder in den verschiedensten Geschichten gerade davon zu erzählen, scheint den Autoren des Landes offenbar ein besonderes Anliegen zu sein. Assaf Gavron tut dies ebenso unaufdringlich wie humorvoll und meisterhaft.

„Besser Respektlosigkeit dem Gesetz gegenüber als Respektlosigkeit dem Herrn gegenüber“

wina: Warum haben Sie gerade das Thema der Siedler gewählt, wo man doch vielen Ihrer Äußerungen entnehmen kann, dass Sie politisch gegen diese Bewegung sind?*

Assaf Gavron:  Auf fremdem Land. Roman. Deutsch von Barbara Linner. Luchterhand, 2013, 544 S.,  23,70
Assaf Gavron:
Auf fremdem Land. Roman.
Deutsch von Barbara Linner. Luchterhand, 2013, 544 S., 23,70 EUR

Assaf Gavron: Romane handeln von Menschen. Meine politischen Überzeugungen haben nichts mit der Faszination, die von diesen Menschen ausgeht, zu tun. Ich glaube, sie sind heute der interessanteste Teil der israelischen Gesellschaft. Sie sind vielleicht die Letzten, die da für ein Ideal leben und nicht für die westlichen Standards, die vor allem auf das eigene Wohlbefinden und Fortkommen aus sind. Ich sage das nicht kritisch, denn ich nehme mich davon nicht aus, das ist einfach unsere Welt. Sie hingegen leben unter sehr harten Bedingungen voller Leidenschaft für etwas Höheres. Wo es solche Leidenschaft gibt, gibt es auch viel Drama. Diese Menschen leben in einer besonderen Situation, an der Grenze, an einem Ort ohne klare Gesetze, wie in einer Art Wilden Westen. Für mich als Romancier ist das faszinierend. Es ist auch ein interessanter menschlicher Schmelztiegel verschiedener Einwanderer und Israelis verschiedener Herkunft, die dort in einer wunderschönen Landschaft, aber in einer sehr gewalttätigen Umgebung leben.

wina: Betrachten Sie diese Menschen also vor allem als dichterisches Material oder wie ein Wissenschaftler im Labor Mäuse beobachtet?

AG: Ich untersuche gerne Stereotypen, Klischees. Ich glaube nicht, dass ich Verständnis für den Akt der Besiedlung aufbringe, aber es ist ein Versuch zu verstehen, woher das kommt, woher sie kommen und was ihre Motive sind.
Ich möchte sie auch nicht vom Standpunkt eines linken Autors oder wie Mäuse betrachten, sondern einfach als Menschen. Ich habe z. B. ein Buch über einen palästinensischen Selbstmordattentäter geschrieben, und das ebenso in Anteil nehmender Weise, sogar in Ich-Form. Ich wollte auch dieses Stereotyp des Selbstmordattentäters näher ansehen, seine Motive; auch er ist ein menschliches Wesen, das Sehnsüchte und Gedanken hat und ein Erbe. Israelis betrachten sie nicht als Menschen, sondern als Tiere, doch für mich sind sie Menschen, und ich habe mich sogar mit einigen angefreundet.

wina: Woher sind Sie als säkulärer Israeli mit diesem speziellen Milieu so vertraut?

AG: Ich war davor weder besonders mit dem religiösen noch mit dem Leben der Siedler vertraut, jedenfalls nicht mehr als andere Israelis. Ich habe recherchiert, gelesen, bin gereist. Ich hatte eine kleine Hütte in einer Siedlung, ähnlich wie Gabi, dort habe ich das meiste geschrieben.

wina: Wie waren die Reaktionen da-rauf in Israel?

AG: Das Buch wurde sehr gut aufgenommen, ich fühlte sehr viel Sympathie, Anerkennung, sogar von rechten Medien, es verkaufte sich sehr gut. Die Religiösen sind große Leser, sie lesen auch Fiktion, aber wenn es von ihrer Seite nur positive Reaktionen gegeben hätte, würde mich das nachdenklich stimmen.

wina: Möchten Sie mit Ihren Büchern jeweils eine bestimmte Botschaft vermitteln?

AG: Ich glaube, die einzige Botschaft ist, dass die Dinge viel komplexer sind, als sie aussehen. Es ist einfach, Partei zu ergreifen, jeder hat eine Meinung, und vor allem von außerhalb wird der israelische Konflikt sehr vereinfachend gesehen. Ich versuche zu sagen: Es ist komplizierter. Ich habe keine politische Botschaft, aber wenn Menschen etwas aus meinen Büchern mitnehmen, ist das natürlich großartig.

ZUR PERSON
Assaf Gavron wurde 1968 geboren, wuchs in Jerusalem auf, studierte in London und Vancouver und lebt heute mit seiner Familie in Tel Aviv. Er hat mehrere Romane und einen Band mit Erzählungen veröffentlicht und ist in Israel Bestsellerautor. Gavron hat u. a. Jonathan Safran Foer und J. D. Salinger ins Hebräische übersetzt, ist Sänger und Songwriter der israelischen Kultband The Mouth and Foot und hat das Computerspiel Peacemaker mitentwickelt, das den Nahostkonflikt simuliert.

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