„Es wird immer schwieriger, dieses Land zu lieben“

David Grossman wurde in Krems mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Denken und Handeln ausgezeichnet. Für die Welt befürchtet der israelische Star-Autor eine neue erschreckende Realität und für seine Heimat ein Ende der Demokratie.

476
© Claudio Sforza

Nun, da er 70 geworden ist, erscheint David Grossman noch schmächtiger und fast niedergedrückt von dem Albtraum, in dem er seit über einem Jahr in Israel lebt.

Gerade kommt er aus Rom, „dort habe ich ganz allein in meinem Hotelzimmer für eine Stunde nur die Stille genossen“, erzählt er mir knapp vor der Verleihung der Auszeichnung, für die er nach Krems an der Donau gereist ist.

Es ist Sonntag, der 10. November, und die stimmungsvolle Minoritenkirche bei dieser feierlichen Matinee nicht zur Gänze gefüllt. Security sieht man keine, und auch von der Botschaft seines Staates hat es offenbar niemand hierher geschafft.

Als Abschluss und Höhepunkt der Europäischen Literaturtage wird in diesem festlichen Rahmen alljährlich der Toleranzpreis des österreichischen Buchhandels vergeben. Dass er dieses Jahr gerade an einen israelischen Autor geht, kann durchaus als vielsagende Geste gedeutet werden. Benedikt Föger, Branchen-Präsident, lobt Grossmans weltweit gehörte und geschätzte Stimme, die für Aussöhnung eintrete, und dessen sprachliche Meisterschaft, „Wunden in Worte zu fassen“.

Auf die Wunde, die der Tod von David Grossmans Sohn Uri riss, der knapp vor Ende des Zweiten Libanonkriegs 2006 gefallen ist, weist Literaturkritiker Lothar Müller in seiner Laudatio hin. Obwohl ein säkularer „Public Intellectual“, studiert Grossman, ebenso wie sein Freund Amos Oz es tat, seit Jahrzehnten die Bibel und schöpfe aus ihr. Seine Literatur sei auch dem „Tikkun Olam“, das die Reparatur, die Heilung der Welt meint, als „Charakterzug der jüdischen Identität“ verpflichtet, führt Müller aus.

„Ich werde mehr und mehr kämpfen,
ich habe
keine andere Heimat […].“
David Grossman

Düstere Zukunftsvision. Anknüpfend an die Widmung des Preises, stellt Grossman in seiner Dankesrede fest, Menschen seien meist keine toleranten Wesen. „Wir müssen gegen unsere Natur ankämpfen, vor allem in einer so brutalen und rohen Wirklichkeit des Landes, aus dem ich komme“, die seit dem 7. Oktober von Gewalt und Hass erfüllt sei.

Er schreibe Bücher, wenn ein Thema für ihn unvermeidlich werde, so Grossman im Dialog mit der englischen Journalistin Rosie Goldsmith. Und nach dem Tod seines Sohnes habe ihn nur das Schreiben langsam ins Leben zurückgebracht.

Dass Menschen zu den beispiellosen Grausamkeiten des Massakers vom 7. Oktober fähig waren, deute auf eine „neue erschreckende, nie davor gesehene Realität“ in der Welt hin.

Seine größte Angst die Zukunft Israels betreffend sei, dass es aufhöre, eine Demokratie zu sein. Er beobachte eine katastrophale Entwicklung des Landes. Israelis könnten in der tragischen Welle des jüdischen Schicksals mitgerissen werden, der Antisemitismus werde weiterwachsen. „Ich werde mehr und mehr kämpfen, ich habe keine andere Heimat, aber es wird immer schwieriger, dieses Land zu lieben.“ Man müsse Widersprüche eindämmen, nur so gäbe es eine Chance auf Frieden und eine Zukunft.

In der Arbeit „sein“ zu können, betrachtet er als ein Geschenk, das Künstler haben. Zurzeit schreibt der weltberühmte Romancier aber nur Gedichte, das Romanschreiben erscheint ihm im momentan schwieriger. Für sein großes Werk vom Debütroman Stichwort: Liebe bis zum Bestseller Eine Frau flieht vor einer Nachricht wird er noch dieses Jahr unter anderem in Düsseldorf mit dem Heinrich-Heine-Preis ausgezeichnet werden.

Das nebelige Donautal verlässt David Grossman schon nach wenigen Stunden gemeinsam mit seinem Verleger Richtung München, bevor es dann heim geht. Zeit für ein längeres Gespräch ergibt sich leider nicht. „Alles Gute für Sie und Ihr Land“, möchte ich ihm daher nur kurz mit auf den Weg geben. „Stellen wir das Land voran, ich werde es schon schaffen“, meint er lächelnd.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here