Europa muss verstärkt gegen autoritäre Tendenzen kämpfen

Der Machtwechsel in den USA reicht nicht. Das Beispiel Ungarn beweist das täglich.

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Diesmal war es nicht ein gefährliches Ausatmen des Covid-19-Virus, das noch immer die Welt im Griff hat, sondern ein befreiendes, erleichtertes Ausatmen des zerstörerischen Trump-Erregers. Während die unverhüllte Freude über den ersehnten politischen Schichtwechsel im Weißen Haus vor allem aus den demokratischen Häusern Europas lautstark zu vernehmen war, hielt Ungarns Viktor Orbán eher die Luft an. Etwas später als seine EU-Kollegen gratulierte er dem US-Präsidenten und schwang dabei ungeniert den Holzhammer: Er lobte die vier Trump-Jahre überschwänglich als „für beide Seiten sehr vorteilhaft“ und wies auf das zu beackernde mannigfaltige Potenzial zwischen den USA und Ungarn hin. Er vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass „dies nur auf der Basis von gegenseitigem Respekt und Wohlwollen realisiert werden kann“.
Was Orbán wirklich denkt und teilweise sogar befürchtet, durften seine regierungstreuen Verlautbarungsjournalisten artikulieren. Zwei Schreckensbilder wurden bereits für den ungarischen Hausgebrauch entworfen: eines bestellt und geliefert aus Florida, das andere aus dem feindlichen Brüssel. Ádám Topolánszky, Korrespondent für die ehemals angesehene Tageszeitung Magyar Nemzet, prophezeit, dass mit der Biden-Präsidentschaft eine Orwell’sche Dystopie die USA ergreifen wird, denn wir werden „nicht nur Zeugen von Lügen, Panikmache und Bestrafung sein“, so Topolánszky, „die demokratische Partei wird zum Big Brother: Die Gedankenpolizei wird uns durch die Medien, den FBI und die IT-Companys kontrollieren. Patriotismus wird zum Kriegsfall.“ Der Kommentator sieht dabei als Drahtzieherin Vizepräsidentin Kamala Harris, die das alles „effektiv überwachen wird“ – denn „Biden wird nur als Aushängeschild dienen“.
Von der Brüsseler Korrespondentin des Magyar Nemzet kam die zweite Warnung: Mit dem US-Rückenwind werden sich jetzt verstärkt radikale Linke und liberale Stimmen verbreiten, die dann auch die Proflüchtlingsfront befeuern. „Von jetzt an wird jeder, der nicht dem ideologisch linken Traum folgt, mit Attacken nicht nur aus Brüssel, sondern auch aus den USA rechnen müssen“, so Tamara Judi.

Die Medienfreiheit in Ungarn hat die regierende Fidesz-Partei durch ökonomisches Aushungern mit politischen Tricks brutal eingeschränkt.

Während der machtbesessene, zynische Regierungschef seinen ungarischen Landsleuten die neuesten Feindbilder servieren lässt, legt er täglich Beweise seines eigenen Demokratieverständnisses vor. Nach dem Sturm auf das Capitol in Washington, einem unauslöschlichen Trauma für die freie Welt, reagierte Orbán genau wie sein bester Freund Putin: „Das war eine innenpolitische Angelegenheit, die wir nicht kommentieren, denn wir wollen auch nicht, dass man sich bei uns einmischt.“
Apropos einmischen: Die Medienfreiheit in Ungarn hat die regierende Fidesz-Partei durch ökonomisches Aushungern mit politischen Tricks brutal eingeschränkt. Aber von einem erneuten Einfluss auf jene Gebiete, die „Großungarn“ nach dem Ersten Weltkrieg verloren hat, träumt Orbán nicht nur, er setzt Taten: Seit einigen Jahren schon kaufen sich Freunde von Orbáns Fidesz-Partei in diverse Medienunternehmen in Slowenien und jüngst auch in Nordmazedonien ein. Mit diesen Ländern sowie auch mit Kroatien und Serbien möchte Orbán „ein neues Zeitalter einleiten“, wie er jüngst bei der Einweihung eines riesigen Denkmals der nationalen Zusammengehörigkeit in Budapest ankündigte.
„Orbáns Medienoligarchenfreunde sind eine Gefahr für die jungen Demokratien am Westbalkan“, kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz Orbáns offensichtliche „Nichteinmischung“. Der österreichische Biobauer Waitz fordert, dass offengelegt wird, woher diese Geldflüsse stammen, denn falls Ungarn seinen Einfluss eingesetzt hat, um antieuropäische Propaganda zu entfachen, müsse geklärt werden, ob es zu einem Missbrauch von EU-Geldern gekommen sei. Diese wichtige Initiative des grünen EU-Abgeordneten wird Orbán nicht sehr schrecken: Wie man der Kommission und den 26 Partnerländern innerhalb des EU-Förderclubs auf der Nase herumtanzen kann, hat er schon mehrfach bewiesen, zuletzt in einer für die Gemeinschaft demütigende Weise bei den Budget- und Corona-Hilfspaket-Verhandlungen. Nach tagelanger mieser Erpressung und dem darauffolgenden butterweichen Kompromiss freute sich ein ehrlicher Orbán: „Wir haben einen großen Packen Geld bekommen und die ungarische Nation verteidigt.“ Da blieben viele sprachlos, nur der deutsche Grüne Daniel Freund fragte: „Wenn die EU nichts gegen Diktatoren in den eigenen Reihen tun kann, wozu braucht es dann noch die EU?“
Es ist sehr erfreulich, dass ein unberechenbarer populistischer Hetzer in den USA abgetreten ist. Das darf aber weder zu einer Personalisierung des Problems noch zur „europäischen Beruhigung“ vor solchen Gefahren verleiten. Denn autoritäre Versuchungen gibt es weiterhin reichlich in politischen Parteien und bei Akteuren in Europa. Ihnen müssen endlich klare Grenzen gezogen werden.

Bild: Kate Kasiutich on Unsplash

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