Eine persönliche Vorbemerkung zu Beginn: Seitdem ich in der Vorschau des Verlags Hentrich & Hentrich vom bevorstehenden Erscheinen dieses Buches gelesen habe, freue ich mich auf dessen Lektüre. Warum? Meine Großeltern emigrierten zunächst 1938 von Wien nach Paris und mussten dann erneut flüchten. In Portugal fanden sie einen sicheren Hafen, sie blieben schließlich auch nach Kriegsende in Lissabon. Was mich an dem Buch von Irene Flunser Pimentel und Christa Heinrich daher vor allem interessierte: Wie war das Leben für jüdische Geflüchtete bis 1945 in Portugal? Wie waren die Rahmenbedingungen, wie sah der Alltag aus?

Irene Flunser Pimentel & Christa Heinrich: Portugal. Zuflucht am Rande Europas 1933–1945. Hentrich & Hentrich 2022, 262 S., € 30,95

Dazu haben die beiden Autorinnen viele Zeitzeugenberichte zusammengetragen. Der rote Faden, der sich hier durch die Erinnerungen durchzieht: Das Regime von Diktator Anónio de Oiveira Salazar war nicht antisemitisch. Judenfeindlichkeit war nicht spürbar. Dennoch war es nicht so, dass Portugal allen seine Türen öffnete. Ab Oktober 1938 verlangte das Land von Flüchtenden, deren Pässe ein „J.“ eingetragen hatten, ein Touristenvisum. Dieses berechtigte zu einem einmonatigen Aufenthalt. Nach und nach verstand sich Portugal nur als Transitland.

Das bedeutete einen mühsamen Wettlauf zwischen Behörden, Botschaften, Schifffahrtsgesellschaften, denn es brauchte ein Visum, um weiterreisen zu können, ein (oft kostspieliges) Ticket für die Überfahrt und dazwischen immer wieder eine Verlängerung des Aufenthalts in Portugal. Erschwert wurde dies durch die Etablierung der residências fixas. Diese lagen meist in Ferienorten am Meer, und für die Fahrt nach Lissabon für Behördenwege musste wiederum eine Erlaubnis angesucht werden. Wer ohne diese in die Hauptstadt aufbrach und erwischt wurde, riskierte eine Verhaftung – allerdings ohne massive Konsequenzen. Portugal schickte niemanden nach NS-Deutschland zurück.

… dass sich Portugal „uns Emigranten gegenüber freundlicher und verständnisvoller als irgendein anderes unserer vorangegangenen Zufluchtsländer“ zeigte.
Friedrich Torberg

 

Nicht allen Geflüchteten gelang es allerdings, eine Weiterreise zu organisieren. Visa waren immer schwerer zu ergattern, die Schiffspassage war teuer. Die residências fixas wurden für sie zum langfristigen Aufenthaltsort. Man darf sich darunter allerdings keine Lager oder Massenunterkünfte vorstellen. Residências fixas, das bedeutete vor allem, in einem Ort bleiben zu müssen und nicht im Land reisen zu dürfen. Untergebracht waren die Geflüchteten in Pensionen, Hotels, Privatunterkünften. Oft stellten portugiesische Haushalte auch ein Zimmer in ihren Wohnungen oder Häusern zur Verfügung

Insgesamt wurden die Geflüchteten von der Bevölkerung sehr freundlich empfangen. Und das, obwohl sie sich nicht so benahmen, wie dies den Gepflogenheiten der Zeit in Portugal entsprach. Das betraf vor allem Frauen. Der Arzt Carlos Tavares aus Figueira da Foz war viel mit Flüchtlingen in Kontakt, sie kamen etwa zu ihm, weil sie ein Gesundheitszeugnis für ein Visum benötigten.

„Alles, was die Flüchtlinge machten, war anders, wurde aber nicht abgelehnt“, erzählte er. Die Gäste sollten schließlich insgesamt das soziale Leben im Ort verändern. Als anders sei eben vor allem das Verhalten der ausländischen Frauen wahrgenommen. Eine Lokalzeitung berichtete etwa, dass sie Hosen trugen, rauchten, tranken, spielten, Fahrrad fuhren, Autos lenkten. Rauchende Frauen seien bis dahin ein Skandal gewesen, wird die portugiesische Zeitzeugin Rosa Amélia Faria e Silva zitiert. Als Frau allein ins Café zu gehen, galt als „unanständig“. Die geflüchteten Frauen gingen aber nicht nur ins Café, sie unterhielten sich dort auch mit portugiesischen Männern und gingen mit diesen spazieren. Die Konsequenz war allerdings eben keine Feindseligkeit. Es begannen vielmehr die portugiesischen Frauen, es den Geflüchteten gleich zu tun: Junge Portugiesinnen gingen nun auch ohne männliche Begleitung aus.

Kosmopolitisches Zentrum. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Juden und Jüdinnen sich in der NS-Zeit kürzer oder länger in Portugal aufhielten. Forschungen gehen heute von 50.000 bis 80.000 Flüchtenden aus, die in dem damals neutral agierenden Land eine kurz- oder langfristige Zuflucht fanden. Salazar erlaubte auch internationalen jüdischen und nichtjüdischen Organisationen 1940, ihre europäischen Hauptsitze nach Lissabon zu verlegen. Insgesamt verwandelte sich die Stadt damals in ein kosmopolitisches Zentrum. Nicht nur Geflüchtete waren nun in Lissabon präsent, auch Spione und Diplomaten waren von hier aus aktiv. Portugal wurde, wie es die Buchautorinnen formulieren, zu „einer internationalen Drehscheibe für Menschen, Güter, Informationen“. Während des Krieges waren auch etwa 40 Nachrichtenagenturen in Portugal präsent.

Einer, der Europa schließlich über Portugal verlassen konnte, war Friedrich Torberg. Er war in Estoril untergebracht, die Rahmenbedingungen waren 1940 bereits erschwert, er durfte nicht einfach nach Lissabon fahren, um seinen Visaantrag unter Dach und Fach zu bekommen. Trotz der massiven Schwierigkeiten am Ende seines Aufenthalts „sei nochmals und dankbar festgehalten“, schrieb er rückblickend, dass sich Portugal „uns Emigranten gegenüber freundlicher und verständnisvoller als irgendein anderes unserer vorangegangenen Zufluchtsländer“ zeigte. Er verließ Europa schließlich am 9.Oktober 1940 an Bord des amerikanischen Schiffes „S.S. Exeter“ gemeinsam mit dem deutschen Schriftsteller Leonhard Frank.

Andere fanden in Portugal ihre neue Heimat. Erich Brodheim war 1939 im Alter von 18 Jahren allein, ohne Familie und ohne Geld aus Wien nach Portugal gekommen. Seinen Eltern und seiner Schwester gelang es nicht mehr nachzukommen, sie wurden schließlich in Polen ermordet. In Portugal erhielt Brodheim Unterstützung von Hilfsorganisationen, aber er versuchte Verschiedenstes, um weiterzukommen, wie die Buchautorinnen schreiben. Er habe „zum Beispiel Ausländern in Lissabon salzlose Butter und Schwarzbrot an der Tür verkauft und mit Kurzwaren gehandelt“. Nach dem Krieg bot ihm ein Bekannter, der in Amerika lebte, verschiedene Waren an. So verkaufte er mit seiner Frau Miriam „die ersten Nylonstrümpfe“ aus Amerika, später auch Reißverschlüsse. „O rei dos fechos“ – König der Reißverschlüsse – habe man ihn genannt. Das Ehepaar gründete einen Großhandel für verschiedenste Modelabels. Das Unternehmen gibt es bis heute (www.brodheim.pt) und wird von Ronald Brodheim geführt. Ein Deutsch klingender Name ist heute also aus der portugiesischen Modewelt nicht mehr wegzudenken. Auf einen portugiesischen Namen stößt man dagegen in Wien, auf dem Weg von der U1-Station Kaisermühlen zum Austria Center. „Aristides-deSousa-Mendes-Promenade“ heißt es da auf einem Straßenschild. Darunter gibt es eine erläuternde Zusatztafel: „Aristides de Sousa Mendes (1885–1954). Portugiesischer Diplomat, rettete tausenden Flüchtlingen durch Ausstellung von Visa das Leben.“

Er tat dies auch noch zu einem Zeitpunkt, als ihm das das portugiesische Außenministerium untersagte. Er musste schließlich nach Portugal zurückkehren, und es wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Die Konsequenz war eine Beurlaubung bei halben Bezügen für ein Jahr und danach die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Er verarmte und wurde zeitweilig von jüdischen Hilfsorganisationen unterstützt. Sie ermöglichten zudem einigen seiner 14 Kinder eine Ausbildung in den USA. Sousa Mendes verstarb 1954 und wurde erst im April 1974 in Portugal rehabilitiert. Yad Vashem zeichnete ihn als „Gerechten unter den Völkern“ aus. Auch in Lissabon ist eine Straße nach ihm benannt.

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