Fotos und Familie

In der ehemaligen Synagoge in St. Pölten erinnert eine Ausstellung an den in Auschwitz ermordeten Brünner Fotografen Kurt Bardos.

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Kurt Bardos: Ringelspiel, um 1936. © Kurt Bardos_Privatbesitz

Viele verschwanden in der mörderischen Maschinerie der Nazis, ohne eine Spur zu hinterlassen. Bei anderen kamen Erinnerungen zurück aus Ecken, die niemand vermutet hätte. Ilse Bardos erlebte so eine Überraschung nach dem Krieg in Brünn, als sie ein Unbekannter am Sportplatz ansprach, er habe sie auf einem Foto erkannt. Ihr Bruder Kurt habe ihm vor seiner Deportation mehrere dicke Alben zum Aufbewahren übergeben. Jetzt bringe er diese ihr.

In der Familie wurden diese Erinnerungen an den in Auschwitz Ermordeten lebendig gehalten. Ilses Töchter, Kurts Nichten, organisierten in den letzten Jahren mehrere Ausstellungen seiner Fotos, in Brünn, aber auch in einer Volkshochschule in Wien. Susanne Eiselt, eine der beiden Nichten, erklärt: „Die Fotos von Kurt Bardos drücken viel mehr aus als nur die Geschichte unserer Familie. Sie sind Kunstwerke, und Kunstwerke gehören auch der Öffentlichkeit präsentiert.“

Jetzt sind diese Fotografien bis 11. November in der ehemaligen jüdischen Synagoge in St. Pölten, der Partnerstadt von Brünn, zu sehen. Doch die aktuelle Präsentation ist keine reine Fotoausstellung. Martha Keil, wissenschaftliche Leiterin des Hauses und Kuratorin der Schau: „Wir erzählen darüber hinaus die Familiengeschichte, die jüdische Erfahrung. Auch wenn seine Fotos selbst keine jüdischen Themen im engeren Sinn abbilden. Sie zeigen eine Vielfalt an Motiven – aber man würde sie nicht als ,jüdische Fotos‘ bezeichnen, wenn nicht ihr Fotograf von den Nazis ermordet worden wäre.“

Wer war Kurt Bardos? Er wurde 1914 in Brünn in eine bürgerliche jüdische Familie geboren. Sein Vater besaß eine Textilfabrik und einen Großhandel für Stoffe. Der Sohn studierte Medizin, allerdings ohne große Begeisterung, wohl eher auf Wunsch der Eltern. Keil: „Er hat sich etwa beim Sezieren schwer getan.“ Die Familie sieht sich als österreichisch, spricht deutsch und – etwas weniger gut – tschechisch.

„Ich bin ein Österreicher!“
Der Fotograf Kurt Bardos (1914 Brünn – 1944 letzte Spur Auschwitz)
Ausstellung, 11. April bis 9. November 2025
Ehemalige Synagoge St. Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 22 (Eingang)
Mittwoch bis Sonntag & Feiertag, 10 bis 17 Uhr
ehemalige-synagoge.at/de/ausstellungen/ausstellungen2025

Kurt fühlte allerdings jenseits der Medizin eine andere Berufung, die der Fotografie. Mit seiner Rolleiflex machte er stimmungsvolle Porträts – zahlreiche von seiner Schwester Ilse, aber auch von anderen Verwandten und Bekannten. Er verband seine Liebe zur Natur und zu den Bergen mit qualitätvollen Naturfotografien. Und er beherrschte auch die Kunst der Reportagefotografie – von einfühlsamen Bildern arbeitender Menschen bis zum Schnappschuss der Techniker, die hektisch einen Audi-Rennwagen servicieren.

Kurt Bardos: Doppelporträt Ilse Bardos, um 1935. © Kurt Bardos_Privatbesitz

Während Bardos eher antriebslos studierte, wurden seine Foto-Touren immer intensiver, schließlich bezeichnete er sich schon selbst als Fotograf, auch wenn keine kommerziellen Erfolge diesbezüglich überliefert sind. 1941 heiratete er und wurde nur wenige Monate später mit der gesamten Familie nach Theresienstadt verschleppt. Kurt und seine Frau Zdenka deportierten die Nazis 1944 weiter nach Auschwitz. Dort verliert sich seine Spur. Während neben Kurt auch sein Vater die Shoah nicht überlebte, gelang dies seiner Mutter Käthe und seiner Schwester Ilse nach Torturen in den KZs Theresienstadt, Krottingen bei Riga, Stutthof und beim Todesmarsch. Sie kehrten im Juni 1945 nach Brünn zurück. Und dort sollten sie dann auf die verschollen geglaubten Bilder ihres Bruders und Sohnes stoßen.

 

„Die Fotos von Kurt Bardos drücken viel mehr
aus als nur die Geschichte unserer Familie.
Sie sind Kunstwerke, und Kunstwerke gehören
auch der Öffentlichkeit präsentiert.“
Susanne Eiselt

 

„Das künstlerische Werk eines jungen, in der Shoah ermordeten Fotografen, die Erinnerungen seiner so tief mit ihm verbundenen Schwester und die intensiven Gespräche mit seinen Nichten eröffnen einen ganz besonderen Zugang zu Kurt Bardos und seiner Familie“, begründet Martha Keil die Ausstellung. „Seine Fotos zeigen, wie kreativ Bardos die Stilmittel der Neuen Sachlichkeit für sich interpretierte und in seine präzis komponierten Bilder übersetzte“. Die Gestalterin der Ausstellung, die Wiener Künstlerin, Grafikerin und Autorin Renate Stockreiter, ergänzt: „Bei Kurt Bardos kann man – egal, wie viel oder wenig Wissen man über Fotografie mitbringt – beim bloßen aufmerksamen Betrachten seiner Bilder gut beobachten, wie er seine visuelle Handschrift entwickelt.“

Postume Würdigung. Dazu die Nichte von Bardos, Susanne Eiselt: „Der gewaltsame Tod von Kurt hat vor allem bei seiner Mutter, meiner Großmutter, einen lebenslangen und, wie es mir schien, nicht heilenden Schmerz hinterlassen, der mich als Kind tief berührt. Als ich älter wurde, spürte ich, ich muss Kurt ein Stück Würde und Respekt, zumindest postum, zurückgeben. Und welchen Respekt wünscht sich ein Fotograf? In erster Linie, dass seine Bilder und Werke sichtbar gemacht werden, dass sie gesehen werden.“

Die wiedergefundenen Alben werden zwar nicht im Original präsentiert, aber Faksimiles können durchblättert werden, viele Fotos sind in Originalgröße zu sehen, andere werden in hervorragenden Repros vergrößert gezeigt. Renate Stockreiter erklärt dazu ihre Intentionen: „Die Ausstellung ist aus mehreren Kojen zusammengesetzt, die den Raum unterteilen und strukturieren. Diese Kojen sind Kammern, die nach vorne und oben hin geöffnet sind. Kammer ist das Stichwort: Die Kammer, ein kleiner, abgeteilter Raum, und die Kamera sind etymologisch verwandt. Hinter dieser Raumgestaltungsidee steckt die ,Camera obscura‘, wörtlich: die dunkle Kammer. Die Dunkelkammer ist der Raum, den man mit Analogfotografie verbindet.“

Neben den Fotos und drei Videointerviews mit Familienmitgliedern sind auch Objekte aus dem Familienbesitz zu sehen, die trotz der Brüche und Ortswechsel bis heute bewahrt werden konnten. Diese persönlichen Gegenstände, die Jahrzehnte überlebt haben, repräsentieren auch die Migrationsstationen der Familie: Servietten aus Wien, ein Porzellandöschen aus Karlsbad, eine Holzschatulle aus Brünn, ein Aschenbecher aus Gablonz, ein Kiddusch-Becher aus Israel.

Im Video Von Dingen, Sprachen und Erinnerungen erzählen die Schwestern Susanne Eiselt und Ruth Reiterer, die Nichten von Kurt Bardos, ihre Kindheitserinnerungen an diese Objekte, die eine Brücke zu ihrem Onkel und den anderen ermordeten Familienmitgliedern herstellen. Eiselt: „Wir können etwas berühren, das unsere Vorfahren auch schon berührt haben.“

Noch einmal die Gestalterin Stockreiter. Sie zieht eine Parallele zwischen Fotografie und Leben: „Ich greife immer wieder den Begriff ,Entwicklung‘ auf, der sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Mit diesem Motiv wollte ich den visuellen Schwerpunkt setzen, denn: Was wäre aus diesem begabten Fotografen noch geworden? Wir wissen es nicht. Mir selbst und uns allen hätte ich die Fortsetzung dieser spannenden Entwicklung gewünscht.“

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