„Sind alle Juden Israelis? Sind alle Israelis Juden?“
Plakate mit Fragen wie diesen sind seit Anfang März auf Bahnhofsvorplätzen in Wien zu sehen. Mittels QR-Code bekommen Interessierte sofort die Antwort auf die jeweilige Frage. Die Kampagne Fragemauer fordert aber jene, denen diese Sujets auf Plakaten im öffentlichen Raum sowie in Printmedien oder online unterkommen – erster österreichischer Medienpartner ist hier Der Standard – auch dazu auf, ihre eigene Fragen zu jüdischem Leben und Israel zu formulieren, wie Carsten Ovens, CEO von ELNET für Deutschland, Österreich und die Schweiz, beim Kick-off Event der Fragemauer am Donnerstag im Parlament erklärte.

In Deutschland, wo man mit dieser Kampagne 2023 – und damit noch vor dem 7. Oktober – startete, seien bereits mehr als 1.000 Fragen eingetroffen. Beantwortet werden sie von einem dafür geschaffenen Team von ELNET. Geachtet wird dabei einerseits auf einfache, klar verständliche Sprache, andererseits auf das Untermauern mit Quellen.
Ob es hier auch schon zu provokant antisemitischen Fragestellungen gekommen sei? Ja, aber selten, betont Ovens. Auch die Beschmierung von Plakaten halte sich im Rahmen – man bemühe sich dann um sofortigen Austausch. „Antisemitismus darf es in unserer Gesellschaft nicht geben“, betonte Overs. Dazu wolle man mit der Fragemauer einen Beitrag im Sinn von Bewusstseinsarbeit leisten. Freuen würde man sich, würden die Plakate in naher Zukunft nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich zu sehen sein.
„Ist der Bagel eine jüdische Erfindung?“
Das ELNET-Team wird auch jene Fragen beantworten, die nun – hoffentlich – von Menschen in Österreich gestellt werden. Antonio Martino, im Bundeskanzleramt für jene Abteilung zuständig, die sich um die Förderung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes und den Kampf gegen Antisemitismus bemüht, sagte: man tue auch unter der neuen Bundesregierung alles dafür, „dass Österreich auch in Zukunft ein möglichst sicherer Hafen für jüdisches Leben ist“. Schon bisher sei man auf EU-Ebene Vorreiter in Sachen Aktionsplan gegen Antisemitismus gewesen, dieser solle stetig weiterentwickelt werde. Projektförderungen seien ein wichtiger Teil der Umsetzung der Strategie gegen Antisemitismus. Daher trage man nun auch die Fragemauer mit.
„Woher kommen die Juden?“
NEOS-Abgeordneter Yannick Shetty – er trug ebenso wie das Gros der anderen Redner und Rednerinnen den gelben Hostages-Pin – wies darauf hin, dass allerdings auch in Österreich der Antisemitismus mit dem 7. Oktober 2023 massiv angestiegen. Für 2023 verzeichnete die Antisemitismus-Meldestelle der IKG Wien 1.147 antisemitische Vorfälle – ein Anstieg von 59 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor.
Im Zug der jüngst abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen – erstmals gehören auch die NEOS der Bundesregierung an – seien auch in Sachen Engagement gegen Antisemitismus gute Kompromisse gefunden worden, betonte Shetty. „Wichtig ist dabei, zu sagen: Antisemitismus ist kein Monopol einer bestimmten Gruppe. Wir dürfen hier nicht auf einem Auge blind sein.“ Shetty formulierte aber auch einen Appell „an uns Politiker: wir dürfen nicht vor falscher politischer Korrektheit oder aus Angst vor Unkorrektheit die Augen vor tatsächlichen Probleme verschließen“. Das betreffe nicht nur den Kampf gegen Antisemitismus, sondern auch die Verteidigung demokratischer Werte.
In diese Kerbe schlug auch Melody Sucharewicz, deutsch-israelische Beraterin für politische Kommunikation und Strategie von der For Yarden Stiftung. Die Betroffenheitskultur reiche nicht aus, um das Virus Antisemitismus zu bekämpfen. Man sei an einem Punkt, wo sich 80 Prozent der europäischen Juden und Jüdinnen in Europa nicht mehr sicher fühlten. In Deutschland überlege jeder zweite Jude, jede zweite Jüdin auszuwandern. Der latente Antisemitismus sei mit dem 7. Oktober „zu einem gefräßigen Monster mutiert“, das Virus verbreite sich „wie ein Superspreader“.
Ein großes Problem sei aber auch das Schweigen, so Sucharewicz. Sie prangerte das Schweigen von Frauenorganisationen zu den Massenvergewaltigungen am 7. Oktober ebenso an wie das Schweigen zum Schicksal der Geiseln, die nach wie vor in Tunneln festgehalten, und wie man nun wisse, bis heute ausgehungert und gefoltert würden. „Schweigen ist Hinnahme.“ Schweigen sei aber auch moralisch unverzeihlich und taktisch ein Fehler – das befeuere nämlich die extremistischen Umtriebe im eigenen jeweiligen Land. Die Fragemauer sei hier ein wichtiges Mittel, „um die Intoleranz anzugehen“.
„Ist Shakshuka ein israelisches oder ein arabisches Gericht?“
100 ausgewählte Fragen und Antworten zu jüdischem Leben und Israel kann man inzwischen auch in Buchform nachlesen, herausgebracht vom deutschen auf jüdische Themen und Zeitgeschichte spezialisierten Verlag Hentrich & Hentrich. Verlegerin Nora Pester betonte dazu am Donnerstag: Sie habe sich die Frage gestellt, warum nicht jemand diese Idee schon viel früher gehabt habe. „Es ist so naheliegend.“ Sie benannte als größtes Problem „das Schweigen und Beschweigen“. Darin liege auch eine Form des Sich-Abschottens, sich von etwas distanzieren. Die Kampagne Fragemauer wirke hier entgegen: Und zwar indem dieses Projekt nicht exotisiere, sondern normalisiere.