Frau Wanne und ihre „Arena-Bar“

Seit fast 60 Jahren führt die Innsbrucker Jüdin Helene Wanne ein einzigartiges Etablissement in Margareten.

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Eine Art „Moulin Rouge“ wollten die Wannes in Wien etablieren. Entstanden ist eine Institution für viele Jahrzehnte. © Konrad Holzer

„Es war so viel Verkehr, kein Durchkommen heute“, entschuldigt sich die alte Dame für ihre Verspätung. „Natürlich“ ist sie wie immer mit dem Auto hergekommen, von ihrer Wohnung im zweiten Bezirk. An der Ecke zur Spengergasse ist die Margaretenstraße an diesem kalten Winterabend recht dunkel, in den finsteren Schaufenstern rundum deutet fast nichts darauf hin, was einen drinnen erwartet. Helene Wanne, sie ist flotte 90, kramt den Schlüssel hervor und sperrt ihr Lokal auf. Sie macht Licht, klettert auf das bereitstehende Stockerl und dreht die Therme auf. In der schummrigen Vollbeleuchtung rund um die Theke in der Mitte nimmt man langsam wahr, wo man sich da eigentlich befindet.

Die „Arena-Bar“ ist ein für Wien einzigartiges Etablissement. Dass einem da französische Begriffe einfallen mögen, ist kein Zufall. „Mein Mann wollte hier eine Art ‚Moulin Rouge‘ machen“, erklärt Frau Wanne, als wir im zweiten Raum, dem eigentlichen Varieté, an einem Tischchen Platz genommen haben. Sesselreihen sind vor der kleinen Bühne aufgestellt, denn kürzlich hat hier ein Abend mit Theater aus Israel stattgefunden. Kulturelle Initiativen haben den versteckten Ort seit einiger Zeit entdeckt, „wir sind jetzt eine Location“, lacht die Hausherrin. Ihr langes Haar – schneiden lässt sie es nie – ist noch kaum grau, sie trägt es mädchenhaft nach hinten gebunden, ihr helles Gesicht ist fast faltenfrei, ihrem Teint hat das jahrzehntelange Nachtgeschäft offensichtlich nicht geschadet.

© Konrad Holzer

Innsbruck – Wien. Über ihr Leben und Überleben hat sie als Zeitzeugin schon öfter Auskunft gegeben, sie tut es nicht mehr allzu gern, erzählt aber dann doch. 1927 wurde Helene Wohlgemuth in Innsbruck in eine jüdisch-zionistisch orientierte Kaufmannsfamilie geboren, in ihrer kurzen Jugend war sie dort bei Maccabi und Hakoah. Als Innsbruck 1939 „judenrein“ sein musste, ist sie mit Mutter und Schwester nach Wien gekommen und da wiederum in ein jüdisches Kinderheim in der Malzgasse. Die ältere Schwester konnte illegal nach Palästina gelangen, Helene war dafür zu jung, und so besuchte sie verschiedene jüdische Schulen, bis sie mit den letzten noch verbliebenen älteren Kindern, unter anderem mit „dem Pauli Gross“, dem späteren Präsidenten der Kultusgemeinde, in einer Kürschnerei „dienstverpflichtet“ wurde. Gemeinsam mit der Mutter, die als Krankenschwester im Rothschild-Spital tätig war, bekam sie von der Kultusgemeinde eine Wohnung in der Haidgasse zugewiesen, „und dort wohne ich heute noch.“

© Konrad Holzer

Die Nazizeit in Wien als Jüdin zu überleben, „war nicht einfach, es war eine Glückssache, und vieles ist mir heute noch ein Rätsel“, fasst sie ihr Schicksal kurz zusammen. Gleich nach dem Krieg begann sie in einer Filiale der Postsparkasse zu arbeiten und war danach 15 Jahre in einem Kleiderhaus tätig, bevor sie ihren Mann kennenlernte. Mendel Wanne hatte in Israel in der Garde von Ben Gurion gedient, verließ das Land aber nach dem Krieg und gelangte über Deutschland 1957 schließlich nach Wien. Schon 1959 kaufte das Paar das kleine Café in Margareten und baute es zur „Arena-Bar“ mit spanischem Flair aus und um. „Berühmte spanische Tänzer und der einzige österreichische Torero, Stephan Hareter, sind bei uns aufgetreten.“ Stolz zeigt Frau Wanne ein Album mit Fotos und Dankesbekundungen teils prominenter Gäste, unter anderen damals berühmte Ringer vom Heumarkt. „Es war wunderschön“, schwärmt sie nostalgisch.

»Die Nazizeit in Wien als Jüdin
zu überleben, „war nicht einfach, es war eine Glückssache, und vieles ist mir heute
noch ein Rätsel.“«
Helene Wanne

Eindeutig zweideutig. Nahezu 60 Jahre lang führt sie also bereits dieses Lokal mit seiner eindeutig zweideutigen Vergangenheit. Denn was sich einst in den noch immer rot-plüschigen Nischen abgespielt haben könnte, darüber geben Mutter und Sohn ganz unterschiedliche Versionen ab. „Nein, Sé­pa­rées waren das nicht, wir hatten immer ein sehr gutes Publikum, es war ein Tanzcafé, in der Mitte sehen Sie ja noch die beleuchtete Tanzfläche“, beharrt die Mutter. „Natürlich gab es da Sé­pa­rées, es war ja auch ein Striptease-Lokal und mehr“, lächelt wissend André Wanne, der hier fast aufgewachsen ist.

Ein Album voller Erinnerungen:
Beinahe 60 Jahre Wiener Lokal­geschichte
in Bildern. © Konrad Holzer

„Meine Mutter hört das nicht so gern. Meine Eltern wollten zwar ein Flamenco-Lokal, aber die Konsumation war zu gering, und so haben sie hübsche Animierdamen angestellt, es gab auch Striptease, das hat ja mehr gebracht.“ „Wir hatten aber immer auch Programm und ausgezeichnete spanische Musiker, wir waren berühmt“, korrigiert die Mutter ihren einzigen Sohn. Seinen französischen Namen verdankt André der Frankophilie des Vaters, der Name des Etablissements und die beleuchteten Vignetten mit Stierköpfen, Stierkampfszenen und Toreros an der Wand deuten allerdings auf spanische Vorlieben des Gründers. Denn der aus Polen stammende Mendel Wanne war auf seiner langen Odyssee auch in Spanien und Frankreich gewesen. Seinen eigenen Vornamen mochte er weniger, erzählt der Sohn. Fromm war man nicht, aber die jüdischen Feiertage wurden traditionell begangen, und oft besuchten die Wannes Helenes Schwester und deren Familie in Israel.

»Wir hatten immer auch Programm
und ausgezeichnete
spanische Musiker, wir waren berühmt.«
Helene Wanne

„Ein Nachtlokal mit Mädchen zu führen, das war mir nicht gelegen, ich hätte gern Kunst und Kulinarik in einem Lokal verbunden, doch meine Frau kocht zwar ausgezeichnet, würde das aber nicht gern professionell machen.“ Mittlerweile hat André, der seine Mutter seit dem Tod des Vaters unterstützt, eine Filmproduktionsfirma und dreht oft auf jüdischen Festen wie Hochzeiten und Bar Mitzwas. „Mich kennt man ja eher in der jüdischen Gasse, meine Eltern haben mit ihrer Arena-Bar aber nicht so angegeben.“ Sichtlich stolz ist Helene Wanne auf ihre beiden Enkel. Andrés Tochter studierte bereits in Israel, sein Sohn hat Zivildienst in einem jüdischen Altersheim in Argentinien gemacht und will nun auch nach Israel auswandern, wo die große Familie von Helenes Schwester lebt.

Der Eingang zu einer spannenden
Zeitreise in die Geschichte
der leichten Unterhaltung. © Konrad Holzer

Kulturinitiativen. Die 50er-Jahre-Bar und der Neonschriftzug über dem Eingang sind unverändert, doch wo sich einst das „Luxussé­pa­rée“ mit Dusche befand, ist heute eine Künstlergarderobe, denn der Lokalcharakter und damit das Publikum haben sich in Richtung Kultur und Events gewandelt. „Seit zehn Jahren arbeiten wir mit dem Kulturveranstalter Aktionsradius zusammen. Die haben sehr oft jüdische Programmschwerpunkte, und durch das Israel-Stücke-Festival haben wir kürzlich Susanne Höhne vom Hamakom kennengelernt, die jetzt auch Pläne für diesen Ort hat“, freut sich André.

Noch immer ist Frau Wanne mehrmals wöchentlich von 20 Uhr bis 2 Uhr früh im Lokal, sie muss es ja aufsperren. „Das ist für mich ganz normal, da denk ich gar nicht darüber nach, die Leute kommen gern, wir bekommen viel Lob, es ist ja schön“, erklärt die 90-Jährige. „Vor Kurzem hast du aber gesagt, es ist eine alte Bude, und es geht dir schon auf die Nerven“, fällt ihr der Sohn ins Wort. „Ja, sowieso, ist ja auch alt, aber es macht immer noch Spaß!“

 

 

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