„G-d wants his song“

„Hineni Hineni I’am ready, my Lord.“ Als Leonard Cohen mit diesen Worten in seinem letzten Album Abschied vom Leben nahm, da hatte er noch etwas zu erledigen. Er schloss sich ein, um sein Vermächtnis zu vollenden, den Band The Flame, ein Geschenk an die Nachwelt, das schmerzlich zeigt, wie viel wir mit seinem Tod verloren haben.

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© Leonard Cohen: Die Flamme/The Flame. KiWi 2018

Das Schreiben war „sein einziger Trost, sein wahrhaftiger Lebenszweck“, so Leonard Cohens Sohn Adam im warmherzigen Vorwort, denn der Sänger, Komponist und Interpret war vor allem ein genialer Dichter, und jeder seiner weltberühmten „Hits“ war zuallererst ein Gedicht. Schon als ganz junger Mann war Cohen vom spanischen Lyriker García Lorca fasziniert, und diese Faszination begleitete ihn lebenslang, wie die Gitarre als sein ureigenstes Instrument.
Und jedes seiner Gedichte, auch wenn sie nie vertont wurden, ist letztlich ein Song, ein rhythmisch-melodiöser Sprechgesang, ein unverkennbarer Leonard Cohen eben, der sich als solcher jeder Übertragung in eine andere Sprache verweigert. Ein ganzes Übersetzerteam hat die Herausforderung für diesen zweisprachigen Band angenommen und musste an ihr in verschiedener Weise scheitern. Stellenweise interpretiert die deutsche Fassung, wo das Original absichtsvoll vage und in der Schwebe bleibt, manchmal ist sie plump und manchmal ärgerlich instinktlos, so ist etwa „the young messiah“ sicher nicht der „junge Heiland“. Im besten Fall jedoch, besonders dort, wo Autoren am Werk waren, eröffnet die Übersetzung vielleicht sogar ein neues Textverständnis.

»You will forget that I am old« –
so hofft er. Die Zumutungen des Alters, die
unausweichliche Nähe des Todes drängen als Themen zunehmend in den Vordergrund. 

63 bisher unveröffentlichte Gedichte hat Cohen für sein letztes Buch ausgewählt, sie kreisen – natürlich – um die Liebe, das Begehren und die weibliche Schönheit, um Begegnungen, Verfehlungen, Erinnerungen und Abschiede, und sie bitten um Verzeihung und Erbarmen – „mercy“ – von Menschen und G-tt, den Cohen der jüdischen Tradition gemäß respektvoll mit Gedankenstrich schreibt – „G-d wants his song“. Das wechselnde Du, an das die meisten Texte wohl gerichtet sind, bleibt größtenteils im anonymen Dunkel, nur selten tritt eine Geliebte erkennbar vor den Vorhang – „Vanessa called“.
Der alte Mann und die junge Frau – „you will forget that I am old“ –, so hofft er, die Zumutungen des Alters, die unausweichliche Nähe des Todes drängen als Themen zunehmend in den Vordergrund. „I pray for courage/At the end/To see death coming/As a friend.“

Witzige Selbstporträts
Cohens illustrieren den Band kongenial und zeigen eine unbekannte Seite. © Leonard Cohen: Die Flamme/The Flame. KiWi 2018

Suchtfaktor. Die Texte seiner Alben wie Old Ideas wird man nicht lesen können, ohne sie mitzuhören, im Kopf oder am besten gleich mit der entsprechenden CD – es ist ein Vergnügen mit Suchtfaktor. Und dann sind da noch die „Scraps“, eine Auswahl unzähliger Eintragungen in Notizbüchern oder auf Zetteln, die Cohen überall aufbewahrte, sogar im Kühlschrank fand der Sohn ein eingefrorenes Notizbuch. Mehr oder minder geformtes Material ist das, manchmal knapp und lakonisch, manchmal viele Seiten lang, Momentaufnahmen vom Wegrand des Lebens, Autobiografisches, Skizzen.
Skizzen und jede Menge teils schonungsloser, teils sogar witziger Selbstporträts Cohens illustrieren den Band kongenial und zeigen eine vielleicht unbekanntere Seite des Vielseitigen, den Schriftsteller als Zeichner, auch hier ein scharfer Selbstbeobachter, der tapfer den dunklen Blick in den Spiegel wagt. „You want it darker/We kill the flame.“

 

Leonhard Cohen:
Die Flamme/The Flame.
Aus dem amerikanischen Englisch von einem Team unter der Redaktion von Christian Lux.
Kiepenheuer & Witsch 2018, 352 S., € 30,90

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