Gas aus dem Wasser

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Das israelische Tiefseegasfeld Tamar: 2009 entdeckt, 90 Kilometer von Haifa entfernt, 240 Milliarden Kubikmeter, 50 Jahre Gas für Israel. / © flash90

Seit Kurzem fördert die erste Tiefseebohrung vor der israelischen Küste Gas. Das kann langfristige Auswirkungen auf die israelische Wirtschaft und Regionalpolitik haben. Von Reinhard Engel

Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einem „historischen Tag“. Am 31. März floss erstmals Gas aus dem israelischen Tiefseegasfeld Tamar, 90 Kilometer westlich von Haifa, das 2009 entdeckt worden war. An das israelische Festland kommt es allerdings über eine Leitung viel weiter südlich, bei Ashdod. Denn dort liegt im Meer vor der Küste ein altes, mittlerweile leergefördertes Feld, und man nutzt die Infrastruktur und Pumpstationen.

Schätzungen gehen für Tamar von einem Umfang von 240 Mrd. Kubikmetern aus. Um diese Zahl plastischer zu machen: Das entspricht etwa dem zweieinhalbfachen deutschen Gasjahresverbrauch oder 50 Verbrauchsjahren in Israel (vor dem Fund, denn die Nachfrage dürfte jetzt mit zusätzlichen Nutzern doch deutlich steigen). Das nahe Feld Leviathan, das bereits angebohrt wurde, könnte doppelt so ergiebig sein. Es soll ab 2016 Energie liefern.

Zum Vergleich ein kurzer Blick auf die jüngsten Gasfunde in Osteuropa: Anfang 2012 meldete Petrom, die rumänische Tochter der österreichischen OMV, man habe gemeinsam mit ExxonMobil in Rumänien ein großes Feld gefunden: im Schwarzen Meer, 170 Kilometer vor der Küste, in einer Wassertiefe von mehr als 900 Metern. Die Erwartungen liegen bei 42 bis 84 Milliarden Kubikmeter Gas, also einer erheblichen Größenordnung, aber doch nur ein Bruchteil jener im Mittelmeer.

Abnahmeverträge

In Israel – wo derzeit noch mehr als die Hälfte des Stroms in alten, umweltfeindlichen Kohlemeilern erzeugt wird – investiert man bereits seit mehreren Jahren in neue Gaskraftwerke. Energieintensive Industrieunternehmen haben in den letzten Monaten langfristige Abnahmeverträge abgeschlossen. Die Konsumenten in Israel, die in den letzten Jahren wiederholt teils kräftige Strompreiserhöhungen hinnehmen mussten, dürfen sich aber keine allzu großen Hoffnungen über schnelle Entlastungen machen.

Zwar ist jetzt die Zeit der Unsicherheit vorbei, weil Anschläge auf die Leitungen aus Ägypten keine Rolle mehr spielen. Aber Suche und Förderung in großen Meerestiefen erweisen sich als sehr teuer. Erst vor wenigen Wochen legte Delek, der wichtigste israelische Energiekonzern, der dort Lizenzen besitzt, in New York eine neue Anleihe um insgesamt zwei Mrd. US-Dollar auf. Und auch die Sicherheit der Fördereinrichtungen gibt es nicht umsonst. Die israelische Marine braucht dafür zusätzliche Patrouillenboote, neue elektronische Überwachungseinrichtungen und mehr Personal.

Bei internationalen Energiesymposien knüpften türkische und israelische Manager Kontakte, und gelegentlich sickerte etwas durch.

Dennoch dürfte Israel, das bisher wie Jordanien von wiederholt unterbrochenen Lieferungen aus dem benachbarten Ägypten abhängig war, ehe diese im Vorjahr überhaupt stoppten, in mehreren Jahren sogar zum Gasexporteur werden. Schon gibt es Planungen zu einer auf hoher See schwimmenden Verladestation für Flüssiggas, das dann bis Südkorea verschifft werden könnte.

Naheliegender wäre allerdings der Export in die energiehungrige Türkei. Auf Druck von US-Präsident Barack Obama entschuldigte sich kürzlich die israelische Regierung für den Tod von acht türkischen Aktivisten auf dem Protestschiff „Mavi Marmara“ vor Gaza und setzte damit einen ersten Schritt zur Beendigung der diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Beobachter sehen den eigentlichen Grund dahinter in einer künftigen Energiepartnerschaft. Denn die Türkei möchte für ihre boomende Wirtschaft nicht von Russland, Aserbaidschan und Iran abhängig sein.

Allianzen

Vertrauliche Gespräche in diese Richtung dürften bereits seit einiger Zeit laufen. Bei internationalen Energiesymposien knüpften türkische und israelische Manager Kontakte, und gelegentlich sickerte etwas durch. So erzählte etwa Alon Liel, ein ehemaliger israelischer Botschafter in Ankara und früherer Generaldirektor des Außenministeriums, dass es angeblich schon „seit Monaten“ stille Verhandlungen zwischen Israel und der Türkei über den Bau einer Gas-pipeline gebe. Die Londoner Financial Times berichtete im April von Treffen zwischen der israelischen Delek-Gruppe und dem amerikanischen Unternehmen Nobel Energy mit möglichen Partnern in der Türkei und in Jordanien. „Wir hatten Gespräche mit möglichen Kunden in unserer Region“, zitierte die FT Yossi Abu, den Generaldirektor von Delek Drilling. „Namen kann ich Ihnen keine nennen.“ Doch er sprach von einer „neuen geopolitischen Gelegenheit“.

Bis zu dieser neuen Partnerschaft kann es freilich noch dauern, der Weg ist alles andere als klar vorgezeichnet: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spielt gleichzeitig mehrere Kartenpartien – und seine politische hat er in Richtung Gaza ausgelegt. Er möchte dort noch im Frühling einen Besuch bei den Hamas-Politikern machen.

Mittelfristig könnte eine regionale Gasallianz – bei einiger politischer Fantasie – noch einen weiteren Akteur einschließen. Zypern, das in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise steckt, ist vor seiner Südküste gemeinsam mit Israel bei ersten Tiefseebohrungen ebenfalls fündig geworden. Für dieses Gas gäbe es zwei Möglichkeiten: es entweder in Richtung EU zu liefern, über lange Unterwasserleitungen nach Griechenland und von dort weiter an westeuropäische Verbraucher. Oder die geografisch nähere Variante zu wählen – in Richtung Türkei. Dazu wäre aber erst eine politische Einigung mit dem großen Nachbarn und dem türkischen Nordteil der Insel notwendig.

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