„Gefahr ignoriert“

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Ein aufregender erster Schultag in einer neuen Realität.

WINA: Sie haben Ende Juni an den Demonstrationen gegen Faschisten mit türkischem Hintergrund teilgenommen. Warum war Ihnen das ein Anliegen?
Bini Guttmann: Weil es ganz klar sein muss, auch gerade für uns Jüdinnen und Juden, dass man, wenn in Wien Faschisten Menschen angreifen und gefährden und ihnen Gewalt antun, das nicht unwidersprochen hinnehmen darf. Das war ein Angriff auf uns alle, egal, ob involviert oder nicht. Ein Angriff auf unsere Ideen, auf das, wofür wir stehen. Außerdem hat man gesehen, dass der Rechtsstaat nicht adäquat reagiert hat und nicht in der Lage war, Antifaschisten und Antifaschistinnen zu schützen. Wir müssen uns gegen jeden Faschismus stellen, egal, von wem, egal, wo.

Inwiefern wurden Antifaschisten nicht ausreichend geschützt?
Das war vor allem am Donnerstag, dem zweiten Demotag, ersichtlich. Da wurde der Demozug, an dem sich Kurden und Kurdinnen, linke Türken und Türkinnen und Antifaschistinnen und Antifaschisten beteiligten, an jeder Straßenkreuzung von türkischen Faschisten angegriffen, die teilweise auch mit Messern bewaffnet waren. Daneben war eine völlig überforderte Polizei, die nicht in der Lage war, da Ruhe hineinzubringen. Am Freitag wurde die Demo erneut angegriffen – und was hat die Polizei gemacht? Die Demonstranten und Demonstrantinnen immer wieder eingekesselt und die Faschisten gewähren lassen. So hat der Demozug vom Ernst-Kirchweger-Haus zum Hauptbahnhof statt 20 Minuten vier Stunden gebraucht. Erst am Samstag war eine normale Demonstration möglich.

»Dass Kurz das Wort ‚Faschisten‘ nicht einmal in den Mund genommen hat, ist unglaublich.«
Bini Guttmann

Wie ist dieses Verhalten der Polizei aus Ihrer Sicht zu erklären?
Es zeigt, dass die Polizei – wie auch die Politik – die Gefahr, die von türkischen Faschisten ausgeht, ignoriert hat. Die Polizei hat es als ethnischen Konflikt gesehen und nicht gewusst, wer auf welcher Seite steht – und hat daher offenbar abgewartet. Nach einer der Demos gab es Zusammenstöße im Wielandpark – da gibt es Videoaufnahmen, die zeigen, dass die Polizei die Faschisten, die „Allahu akbar“ schreiend herausgestürmt sind, einfach gewähren hat lassen. Die Polizisten sind zur Seite getreten. Ich verstehe, dass sich die Polizisten gefährdet gefühlt haben, aber dann sind sie im falschen Beruf. Solche Zusammenstöße habe ich in Wien noch nie erlebt.

Wurde der Konflikt insgesamt falsch wahrgenommen?
Am Anfang wurde es auch medial als „innertürkisches Problem“ dargestellt. Die Berichterstattung hat sich dann aber über die Tage verändert, und es wurden die Hintergründe erklärt. Andererseits haben Aussagen von Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer das alles wieder kaputt gemacht. Sie prangerten einen aus der Türkei importierten Konflikt an. Dass Kurz das Wort „Faschisten“ nicht einmal in den Mund genommen hat, ist unglaublich. Diese Angriffe in Wien, die mit Attacken auf kurdische Frauen begannen, sind ein Angriff auf uns alle. Daher finde ich es auch wichtig, sich hier als Juden und Jüdinnen und als jüdische Organisationen zu solidarisieren. Wenn man sich außerdem anschaut, wofür die Grauen Wölfe stehen, sieht man, dass sie auch zutiefst antisemitisch sind. Alleine aus diesem Eigeninteresse heraus wäre es wichtig, dass sich hier auch die IKG positioniert, um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich hier nicht um einen ethnischen Konflikt handelt, sondern eben um Faschisten, denen klar Einhalt zu gebieten ist.

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