Gegen die geistige Verzwergung des Landes

Seit 2008 gibt es ORF III, einen Sender mit Sendungsbewusstsein und niveauvollem Programmangebot. Über dessen ambitionierten Zeitgeschichteschwerpunkt, der auch heiße Themen aufgreift, spricht Programmchef Peter Schöber mit Anita Pollak.

1884
Peter Schöber, 1970 in Oberösterreich geboren, war führend beim Ars Electronica Festival tätig, bevor er 1998 als leitender Redakteur zum ORF kam, wo er in verschiedenen Bereichen arbeitete. Seit 2008 leitet er den Sender ORF III, an dessen Gründung er mitbeteiligt war. Peter Schöber ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen.

Interview mit Peter Schöber

WINA: Sie haben 2014 unter Einsatz des eigenen Lebens einen lebensmüden jungen Mann am Salzburger Hauptbahnhof vor dem anrollenden Railjet von den Gleisen gezogen. Im Judentum heißt es: „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“
Peter Schöber: Das war eine spontane Entscheidung in einem Sekundenbruchteil, und der Lebensmüde war auch nicht glücklich, gerettet zu werden. Wir haben uns am Gleis einen Faustkampf geliefert, er wollte dann noch den Kopf zwischen die Gleise stecken, während ganz knapp neben uns ein Railjet eine Notbremsung hinlegte. Der junge Bursch hat getobt. Ich hoffe, es geht ihm jetzt gut.

Sie sind Mitinitiator, Geschäftsführer und Programmchef des Senders ORF III. Wie kam es zu diesem Engagement?
❙ Als 2008 bedingt durch die Finanzkrise alle Sender ihr Programm drastisch zurückgefahren haben, hat der ORF beschlossen, einen neuen Sender zu starten mit einer Fokussierung auf Kultur und Zeitgeschichte, Religion, Wissenschaft, also das, was man klassisch als den Bildungsauftrag subsumieren würde. Alexander Wrabetz ist mit diesem Plan auf mich zugekommen, und so ist das entstanden.

ORF III als Sender hat offenkundig ein Sendungsbewusstsein im wahrsten Wortsinn. Wie sehen Sie dieses?
❙ Der geistigen Verzwergung des Landes entgegenzutreten, ist eine unserer Aufgaben.

Zeitgeschichte, Stichwort Drittes Reich, in einem Massenmedium wie dem Fernsehen ist oft kontroversiell. Wir erinnern uns eher mit Schrecken an die so genannten Dokus von Guido Knopp. Sein verharmlosendes „Histotainment“ war auf Quoten aus und hatte darüber hinaus auch eine ziemlich rechtslastige Schlagseite. Wie interpretieren Sie „Histotainment“ bzw. „Dokutainment“, wie vorsichtig muss man da sein?
❙ Zeitgeschichte mit Unterhaltung zu mischen, ist eher schlecht. Dass Zeitgeschichte auch spannend und interessant sein kann, liegt in der Natur der Sache. Zeitgeschichte auch an Hand von Persönlichkeiten, an Hand von ikonografischen Figuren neu zu erzählen, ist legitim, und es ist auch spannend, den Zwiespalt zu zeigen, in den Personen durch die Versuchungen des Regimes gebracht wurden, siehe zum Beispiel Leni Riefenstahl.

„Wir müssen auch bei der Kritik an Israel
unsere Geschichte bedenken.“

Peter Schöber

Eva Hitler, ganz privat und Hitler und die Kinder vom Obersalzberg standen aktuell auf dem Zeitgeschichteprogramm. Wie nähert man sich solchen Themen?
❙ Man braucht ein sehr gutes Historikerteam, wir haben Oliver Rathkolb als Berater zum Thema Holocaust und Zwangsarbeiter. Wir begleiten zum Beispiel das Projekt über die ÖBB (Verdrängte Jahre) und Firmen, die sich ihrer historischen Verantwortung stellen, wie etwa die voestalpine in Linz, die ja vorher die Reichswerke Hermann Göring waren. Wir haben auch eine Doku über die Familie Porsche-Piech gemacht, die uns bereitwillig ihre Archive geöffnet hat, oder die Geschichte der Rosenhügel-Studios aufgearbeitet, der Fall einer frühen Arisierung, weil man in den 30er-Jahren keine Filme gedreht hat, die von Juden produziert wurden.

Zeitzeugen kommen in diesen Dokus oft zu Wort, sie sind wertvoll, aber emotionalisieren auch stark und sind natürlich immer subjektiv. Wie sensibel muss man mit deren Aussagen umgehen?
❙ Das zu relativieren, ist genau unsere Aufgabe in den wissenschaftlichen Dokus, aber bei sehr emotionalen Themen ist es oft schwierig, Distanz zu wahren.

Was Eigenproduktionen betrifft: Werden zeitgeschichtliche Themen an Sie herangetragen oder beauftragen Sie diese Dokus?
❙ Beides. Wir haben die große Reihe Mauthausen vor der Tür gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte und dem Mauthausen-Komitee entwickelt, weil wir zum ersten Mal die Geschichte der Lager in Österreich erzählen, die Geschichte der vielen Nebenlager, die größtenteils unbekannt war, auch die Geschichte der Endphaseverbrechen, der Todesmärsche. In meiner Heimatgemeinde St. Valentin, auch ein Nebenlager und Sitz der so genannten Nibelungenwerke, die nach dem Krieg die Steyr-Daimler-Puch-Werke wurden, gab es keine Aufarbeitung.

Hat Ihr Engagement einen biografischen Hintergrund?
❙ Meine Familie hat wie fast alle eine sehr durchwachsene Vergangenheit mit Brüchen. Ein Großvater ist in Gestapo-Haft gesessen, und seine Frau war eine überzeugte Nationalsozialistin. In Österreich gab es ja kein Jahr 1968, unser 68er-Jahr war eher das Jahr 1986, die Waldheim-Zeit, in der ein Riss im Land entstanden ist und die junge Generation Eltern und Großeltern gefragt hat: Wo wart ihr, was habt ihr in der Nazizeit gemacht. Ich habe mich dann auch intensiv mit der Geschichte der eigenen Familie befasst und bin auf teils erschütternde Biografien gestoßen, von Mitläufern über Nazis bis zu Widerstandskämpfern. Das Thema wurde in unserer Familie ausgeblendet.

ORF III ist ziemlich einzigartig in der deutschsprachigen Medienlandschaft mit einer beeindruckenden Reichweite von über 600.000 Sehern. Wie viele davon erreicht man mit zeitgeschichtlichen Programmen?
❙ Zeitgeschichte ist einer unserer bestangenommenen Slots, darüber sind wir froh, obwohl die Quoten nicht unsere Maßzahlen sind. Wir haben die Möglichkeit, das auch zur Primetime zu präsentieren. Unsere Haltung ist, dass das den Menschen auch zumutbar ist.

Glauben Sie, dass es da einen Sättigungseffekt bzw. einen Overkill geben kann?
❙ Es kommen neue Generationen nach, die man erreichen will, und über Napoleon werden ja auch noch immer Dokumentationen gemacht. Außerdem waren bis 1989 die osteuropäischen Archive geschlossen, da gibt es neues Material und neue Aspekte, zum Beispiel den Russlandfeldzug aus russischer Sicht. Da sehen wir auch eine Aufklärungspflicht. Wenn man sich hier (rund ums Funkhaus; Anm.) umsieht, ist wahrscheinlich jedes fünfte Haus arisiert worden. Arisierung ist unser nächstes Thema, zu dem wir diesen Herbst eine Serie machen. Viele wohlhabenden Familien haben überhaupt nichts restituiert, etwa die Welfen. Man vergisst oft, dass der Nationalsozialismus ja der größte Raubzug in der Geschichte war und die Bevölkerung daran beteiligt hat. Wir glauben also, dass man die Geschichten immer neu erzählen muss.

Welche Rolle spielen gegenwärtige Themen wie Judentum, Antisemitismus oder auch Israel auf ORF III?
❙ Das Judentum ist für uns hochspannend, weil wir in Österreich ein großes jüdisches Erbe haben und es Teil unserer Geschichte ist. Gemeinsam mit der Redaktion ORF Religion thematisieren wir den religiösen Aspekt auch rund um die jüdischen Feiertage, und das gelingt uns, glaube ich, ganz gut. Wir begleiten im November auch Rabbiner Schlomo Hofmeister bei seiner geplanten Reise zu den religiösen Stätten nach Jerusalem gemeinsam mit Vertretern der beiden anderen Glaubensrichtungen. Als deutsche und österreichische Rundfunkanstalten haben wir eine besondere Verantwortung und müssen auch bei der Kritik an Israel unsere Geschichte bedenken. Das sehe zumindest ich persönlich so.

© Katharina Roßboth / picturedesk.com

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