Gejohle am virtuellen Schreibtisch

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Angehende junge Juristen scherzen im Chat über Anne Frank und entschuldigen sich für den „schwarzen Humor“. Wohin solche Tendenzen führen können, ist im Osten Europas bereits zu sehen.

Von Doron Rabinovici

Selbstverständlich ist die Aktionsgemeinschaft der juristischen Fakultät keine Nazipartei. Funktionäre der größten österreichischen Studentenfraktion und der Jungen Volkspartei gaben sich in Facebook und WhatsApp den ekligsten Zoten und einschlägigen Naziwitzen hin. Sie machten sich über Juden, Frauen, Behinderte und Muslime lustig. Das Foto von einem Aschehaufen machte etwa die Runde: „Leaked Anne Frank nudes“ war da zu lesen, und einer entblödete sich nicht hinzuzufügen, Anne Frank würde angesichts dieses Bildes rotieren – doch nicht im Grab, sondern im Aschenbecher …

Der Hohn über die Opfer, über die Diskriminierten, über die Schwachen ist die Abwehr jeglicher Empathie.

Die Aktionsgemeinschaft versuchte, das, was geschehen war, zu verharmlosen: Die Fraktion entschuldigte sich in ihrer Stellungnahme für den „schwarzen Humor“, als wäre, was geschrieben worden war, ein bloßes Abgleiten ins Horrorgenre. Die Täter selbst weigern sich bisher, aus der Studienvertretung zurückzutreten.

Immerhin stellte der Dekan der juridischen Fakultät, Paul Oberhammer, klar, solche Äußerungen nicht dulden zu wollen. Die Staatsanwaltschaft hat zudem ein Verfahren eingeleitet; ermittelt wird unter anderem wegen Verdacht auf Verhetzung und eventuell auch nach Verstößen gegen das Verbotsgesetz.

Nein, das sind nicht die Parolen der nazistischen Kumpane rund um Küssel & Co. Das klingt eher nach dem Kichern verschwitzter Pubertanten, die so dem inneren Wust aus Scham und Schuldgefühl zu entgehen versuchen.

Es ist allerdings ein Missverständnis, wenn das, was hier geschah, als bloße Schlüpfrigkeit abgetan wird – frei nach dem Motto: Die Jungen blödeln nur. Nein, das sind keine verpickelten Mittelschüler. Das sind nicht halbe Kinder. Denen fehlt es nicht an Wissen über Judentum oder Nationalsozialismus. Wer zu Frauen übergriffig ist, braucht ja auch keinen Auffrischungskurs in sexueller Aufklärung oder weiblicher Anatomie. Dieser Tabubruch sollte ernst genommen werden, denn er betrifft die kommende Spitze einer Partei, die sich seit Kurzem besonders jugendlich gibt. Es geht um neue Politiker, die bereits gut vernetzt zur Führung einer Fraktion sind, die einst nicht verhehlte, eine Gesinnungsgemeinschaft sein zu wollen.

Hinter diesem Gejohle am virtuellen Stammtisch verbirgt sich die Verklemmtheit einer Männerriege, die auf ewig eine Buberlpartie sein will. Das ist die Entlastungsoffensive gegen manch heimliche Verstrickung, die in vielen Familien noch immer nicht angesprochen werden kann. Den Juden wird nicht verziehen, was ihnen angetan wurde. Der Hohn über die Opfer, über die Diskriminierten, über die Schwachen ist die Abwehr jeglicher Empathie. Die menschenverachtende Arroganz und der zotige Zynismus sind Zeichen eines Machtanspruchs.

Das Phänomen ist nicht auf eine Wiener Studentenfraktion beschränkt. Das ist ein digitaler Locker-Room-Talk. Was hier an die Macht will, ist der reine Hass. In Ungarn und in Polen kann bereits gesehen werden, wohin diese Tendenz führt. Es gilt ihr klar entgegenzutreten. Innerhalb einer Partei, doch auch außerhalb. Vor einer Wahl nicht weniger als danach.

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