„Genies müssen keine moralischen Vorbilder sein“

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Christoph Wagner-Trenkwitz/ © picturedesk.com/ Mirjam Reither

Über den Antisemiten Richard Wagner und den Humanisten Giuseppe Verdi, die musikalischen Jahresregenten, sprach Christoph Wagner-Trenkwitz mit Marta S. Halpert.

wina: Richard Wagners 200. Geburtstag jährt sich am 22. Mai 2013, jener von Giuseppe Verdi am 10. Oktober. Es fällt auf, dass Wagner mehr Aufmerksamkeit bekommt. Warum?

Christoph Wagner-Trenkwitz: Es kann sein, dass uns Wagner wegen der Sprache näher ist, aber sicher nicht durch seine sehr deutsche Musik. Verdi ist uns unmittelbar näher, er geht uns unter die Haut. Andererseits wird Verdi wegen dieser Nähe etwas unterschätzt. Über Wagner  kann man trefflich streiten, endlos philosophieren. Wagner war eine so vielschichtige, problematische und skandalöse Person. Er hat sich ein eigenes philosophisches System erbaut, in dem der Antisemitismus eine tragende Rolle spielt. Wagner ist und bleibt kontroversiell; die Musik Verdis ist zugänglicher.

wina: Claus Peymann bezeichnete Wagners Musik jüngst als passend „für das deutsche Spießertum“. Sie kennen als Dramaturg und Musikwissenschafter Wagner und Verdi gleichermaßen gut. Wie würden Sie die beiden, die der Gattung Oper im 19. Jahrhundert revolutionäre Höhepunkte verschafften, vergleichen?

CWT: Beide Persönlichkeiten waren ganz unterschiedlich. Aber man darf an Genies nicht den Anspruch stellen, dass sie nette, pflegeleichte Menschen sind. Ein Genie muss auch kein Vorbild sein. Marcel Prawy hat einmal gesagt: „Ich kenne viele Antisemiten, aber nur einer hat den Tristan geschrieben.“ Er hat damit das Thema erledigen wollen, was natürlich nicht geht.

Wagner und Verdi haben große Popmusik für ein Weltpublikum geschrieben. Wagner blendet manchmal, übertreibt und überfordert mit der Länge oft Ausführende und Publikum. Verdi war da spartanischer, hat Maß gehalten, war transparenter. Wagner war ein deutscher Komponist, bei dem fünf Stunden lang gestorben wird. Verdi war der Italiener, bei dem hat es gekracht, tschimbum, und der Vorhang ging runter. Wagner war so ein Egoist, dass alles minderwertig war, was nicht von ihm kam. Er hat jüdische Komponisten wie Halévy und Meyerbeer, die ihm geholfen haben, zuerst musikalisch ausgenützt, um sie nachher einfach zu disqualifizieren. Auch Verdis Requiem, das er in Wien gehört hat, beschimpfte er als miese Musik, die man sich nicht anhören kann.

wina: Wie erklären Sie dann, dass es so viele jüdische Fans von Wagner gab und gibt?

CWT: Vielleicht war Wagner lieben und bei einem Wagnererlebnis dabei sein, eine riesige Assimilationspforte: Wenn du Wagnerianer bist, gehörst du wirklich dazu.

wina: Verdis „La Traviata“ hält bei Umfragen nach der „schönsten Oper“ beständig Platz eins. Das Wagner-Opus „Lohengrin“ folgt knapp dahinter. Wen schätzen und wen lieben Sie persönlich mehr?

CWT: Ich möchte mich weder zwischen Wagner und Verdi noch zwischen Lohengrin und La Traviata entscheiden müssen. Aber ich habe es vorgezogen, ein Buch über Verdi zu schreiben. Verdi hat seine Inspirationen im Heute gesucht, Wagner in ferner Vergangenheit bei großen Mythen. Er steht auf altdeutscher Erde, während Verdi einen zeitgenössischen Stoff über eine Prostituierte wählt. Verdi würde man heute als cool bezeichnen, dennoch glauben heute schon viele, die La Traviata sei von Anna Netrebko. Das ist ja gut, man muss auch in der Oper Hitlisten haben.

wina: Sie widmen in Ihrem jüngsten Buch „Versuche über Verdi“ auch dem Librettisten, Bühnenbildner und Politiker Giuseppe Verdi je ein Kapitel. Verdi war zuerst Parlamentarier und ab 1874 Senator des Königreichs Italien. Gleichzeitig auch Bauer und Gutsherr in Sant’Agata bei Roncole. In Ihrem Resumée lautet es: „Richard Wagner hat sich und seinem Werk mit den Bayreuther Festspielen ein bauliches Monument geschaffen; Verdi hat ein Krankenhaus und ein Altersheim* bauen lassen, und sein musikalischer Nachlass blüht nicht minder.“ Damit verraten Sie doch eine gewisse Vorliebe?

„Wagner und Verdi haben große Popmusik für ein Weltpublikum geschrieben.“

CWT: Wenn Sie wissen wollen, mit wem ich gerne einen Abend verbringen möchte, das wäre ganz sicher Giuseppe Verdi. Sein Genie kam ziemlich nahe an ein humanistisches Bild heran: Er hat Feldarbeiter beschäftigt, die ihm nichts gebracht haben, nur damit diese nicht auswandern. Er war weder kokett, noch hat er sich im Egoismus erschöpft.

wina: Welche ist Ihre Lieblingsoper?

CWT: Eindeutig Othello, den habe ich gut studiert, auch als ich bei Giancarlo del Monaco assistiert habe. Ich kann immer noch große Teile davon auswendig. Das ist eine großartige Oper, die Ernte eines ganzen Komponistenlebens.

wina: In dem Pamphlet über das „Judentum in der Musik“ manifestierte Wagner seinen Judenhass. Jürgen Flimm, Intendant der Staatsoper Unter den Linden Berlin, nennt Richard Wagner einen „schrecklichen Antisemiten“. Stimmen Sie dem zu? 

CWT: Er war nicht Hitlers Musiker, er starb 50 Jahre vor dessen Schreckensherrschaft, aber Wagner hat tief in diesem Geist gelebt, der ja nicht 1933 begonnen hat – und auch nach 1945 nicht zu Ende war. Wagner hat auch Furchtbares gesagt, das geht klar aus den Tagebüchern seiner Frau Cosima hervor – und die hatte keinen Grund zu schwindeln. Nach dem Ringtheater-Brand meinte er: „Das wäre die Lösung, die Juden in ein Theater zu stecken und dieses niederzubrennen.“ Das war ein schauerliches Gedankengut, ja, er war ein schrecklicher Antisemit.

wina: Muss ein genialer Künstler auch ein anständiger, ein politisch korrekter Mensch sein?

CWT: Man muss das trennen, jeder Mensch ist ein Sonderfall. Richard Strauss war etwa 70 Jahre alt und der wichtigste deutsche Komponist, als er sich eines gepflegten, aber nicht übertriebenen Salonantisemitismus befleißigte. Er wollte Stefan Zweig unbedingt als Librettist beschäftigen, wichtig war ihm dabei nur seine nächste Oper. Nur weil wir eine antisemitische Regierung haben, meinte er, lasse er sich nicht davon abbringen. Sein Motto: „Du bist zwar a Jud’, aber du schreibst sehr gut.“ Wir erwarten von Leuten, die in einem Bereich etwas Großes schaffen, dass sie auch moralische Vorbilder oder politische Helden sind, nur sind das die meisten nicht. Von Karl Böhm sind auch nach dem Krieg genügend antisemitische Aussprüche überliefert. Natürlich darf man erwarten können, dass jemand moralisch handelt, dass er ein Mensch ist. Doch wenn er das nicht schafft, soll man ihn nicht pauschal verurteilen, denn die Leistung dabei mitzuverurteilen, ist unzulässig. Es gibt keinen Zweifel darüber, wo ich politisch und menschlich stehe, aber ich will nicht als Richter auftreten.

„Man darf an Genies nicht den Anspruch stellen, dass sie nette, pflegeleichte Menschen sind.“

wina: Sie sind Chefdramaturg und Mitglied der Direktion der Wiener Volksoper und zusätzlich erfolgreicher Moderator, Conferencier und Erfinder von Soireen. Kürzlich bestritten Sie eine Benefizveranstaltung mit dem Titel „Irgendwo auf der Welt …“, eine Matinee mit den Wiener Comedian Harmonists zu Gunsten von ESRA. Welche Ihrer Tätigkeiten üben Sie am liebsten aus?

CWT: Eigentlich alle gleich. Ich bin da so ein Prawy-Gefolgsmann, ich entspanne mich bei einer Arbeit von der anderen.

*Casa di Riposo per Musicisti in Mailand, ein Altersheim für ehemalige Musiker. Giuseppe Verdi und seine Frau Giuseppina Strepponi sind in der Kappelle des Altersheims begraben.

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