Stefan Benedik, Leiter der Sammlung des HdGÖ, hat vor sich auf dem Tisch zwei Kuverts liegen. Sie sind geöffnet und mit einer Menge Zahlen und Codes beschriftet, die auf etwas Amtliches hinweisen. Was sich in den Briefumschlägen befindet? Zwei Sterne aus gelbem Filz. Es sind Sterne in Magen-David-Form, mit schwarzem Filzstift wurden die Innenlinien so gestaltet, dass sie die „Judensterne“ der Nationalsozialisten imitieren. Der Schriftzug im Inneren des Sterns ist allerdings ein anderer. Das „Jude“ von damals wurde durch „Ungeimpft“ ersetzt.

Die beiden Filzsterne wurden auf einer Demonstration gegen die Corona-Schutzmaßnahmen der Regierung von zwei Männern getragen. Im vergangenen März wurden sie nach dem Verbotsgesetz zu 15 Monaten bedingter Haftstraße verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, damit die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost zu haben. Das Spannende an diesem Verfahren sei gewesen, „dass der Richter versucht hat, dem nachzugehen, ob es eine Marginalisierung gibt oder nicht“, so Benedik. Denn wenn es eine ähnlich massive Diskriminierung gäbe, wäre es ja auch berechtigt, hier einen Vergleich zu ziehen.“

Konkret fragte der Richter die Angeklagten beispielsweise, ob es zutreffe, dass sie in ihren Eheschließungsmöglichkeiten eingeschränkt würden, dass sie nicht mehr arbeiten gehen dürften, dass sie ihre Kinder aus der Schule nehmen müssten. „Das war im Ergebnis insofern sehr überzeugend, als es gezeigt hat, dass hier nicht eine marginalisierte Stimme versucht, auf ihre Marginalisierung hinzuweisen, sondern dass hier Menschen antisemitische Verschwörungserzählungen weiterverbreiten.“

 

„Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht,
dass automatisch alles sagbar ist oder
jeder Vergleich gezogen werden kann.“
Stefan Benedik

 

Was ist das konkret Antisemitische an diesen beiden Objekten? Zum einen gehe es um den unpassenden Shoah-Vergleich. Dieser stellt eine Verharmlosung des Holocaust dar. Doch neben dieser juristischen Ebene gibt es auch eine ideologische. Um diese zu erläutern, geht Benedik ins 19. Jahrhundert zurück. Die Entdeckung des Körpers in der deutschen Romantik und dann auch im Deutschnationalismus habe zur Konstruktion eines Gegensatzes „zwischen dem gesunden arischen Körper auf der einen und der als jüdisch verunglimpften Medizin und Wissenschaft auf der anderen Seite“ geführt. „Da ging es dann darum, den eigenen Körper zu stählen, und der braucht dann auch keine Medikamente, der braucht keine ärztliche Zuwendung. Bei der aktuellen Impfdebatte haben wir also ein Substrat des Antisemitismus drinnen: Ex negativo kommt da ja heraus, dass der ungeimpfte Körper quasi der starke Körper ist.“

Nun wurden diese beiden Filzsterne in die Sammlung des HdGÖ übernommen. Das ist insofern bemerkenswert, da üblicherweise Beweisstücke aus Prozessen von der Justiz nach Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils vernichtet werden.

Das HdGÖ versucht hier nun Bewusstsein zu schaffen, dass es Objekte gibt, die es lohnt, aufzubewahren und für künftige Generationen zu sichern, wobei Benedik betont, dass es auch in der Justiz selbst bereits engagierte Personen gebe, die das ebenso sehen. Als Beispiel nennt er etwa den Präsidenten des Landesgerichts Wien für Strafsachen, Friedrich Forsthuber. „Das Haus der Geschichte Österreich hat den Auftrag, das Zeitgeschehen zu dokumentieren“, sagt die Direktorin des Museums, Monika Sommer. Hier nun eine Zusammenarbeit mit der Justiz aufzubauen, sei ihr daher ein wichtiges Anliegen. „Wir sehen große Chancen darin, nach abgeschlossenen Verfahren Objekte für das HdGÖ gewinnen zu können und sie für die Zukunft zu erhalten. Leider sind frühere Skandale oder größere Ereignisse, die zu Verfahren geführt haben, bisher schlecht oder gar nicht dinglich dokumentiert. Diese Aufgabe nehmen wir jetzt wahr.“

Kontinuitäten sichtbar machen. Welche Objekte von aktuellen Ereignissen wären für das Haus der Geschichte noch interessant? Benedik nennt hier etwa das Handy von Thomas Schmid, wenn eines Tages das aktuelle Verfahren rund um die ÖVP aufgearbeitet sein werde. Ein Objekt zu jenem Skandal, der 2019 die Regierung von ÖVP und FPÖ zum Platzen brachte, befindet sich übrigens bereits im Besitz des Museums: Es ist der Datenstick, auf dem Journalisten das Ibiza-Video übermittelt bekamen. Dieser war allerdings nicht Beweisstück in einem Verfahren, sondern wurde direkt von den Journalisten, denen das Video zugespielt wurde und die es schließlich veröffentlichten, an das HdGÖ übergeben – nachdem sie ihn zerstört hatten.

„Das ist großartig, als nun zwei Informationen an diesem Objekt hängen: einerseits die Geschichte des Videos, und andererseits erzählt der Stick so auch von Pressefreiheit. Wir können damit vermitteln, wie wichtig der Quellenschutz für die unabhängige journalistische Arbeit ist und Journalistinnen sowie Journalisten nicht einer staatlichen Institution, wie wir es sind, ihre Quellen ausliefern können“, sagt Benedik.

Und was werden die beiden Filzsterne künftigen Besuchern und Besucherinnen des Hauses der Geschichte erzählen? Benedik nennt hier gleich mehrere Aspekte: An Hand dieser Objekte könne man zum Beispiel belegen, warum es wichtig sei, dass es ein Verbotsgesetz gibt. Man könne die Protestbewegung gegen Coronapräventionsmaßnahmen und die Covidimpfung illustrieren und dabei aufzeigen, wo die Chancen und Grenzen der Demokratie liegen. „Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht, dass automatisch alles sagbar ist oder jeder Vergleich gezogen werden kann.“ Aber auch die Kontinuität, wenn es um Antisemitismus geht, werde hier sichtbar.

Das Museum ist dabei, den Ausstellungsbereich zum Thema Erinnerungskultur neu zu gestalten „und noch präziser als bisher das Thema Kontinuitäten des NSGedankengutes in der Zweiten Republik zu behandeln“, kündigt der HdGÖ-Sammlungsleiter an. Ab März werden auch die beiden „Ungeimpft“-Sterne ausgestellt sein, und zwar in einer recht schmalen Vitrine, liegend und mit den Kuverts, in denen sie von der Polizei als Beweisstück aufgenommen wurden. Man sieht sie sich dann an, in dem man sich über sie beugt, so wie man sich ein Album, ein Buch, Dokumente auf einem Schreibtisch ansehen würde. Entgegenwirken wollen die Kuratorinnen und Kuratoren damit, dass solche Objekte etwa durch Fotos von Besuchern erneut propagandistisch eingesetzt werden.

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