

Wüsste man nicht, dass diese Texte bereits vor Jahrzehnten geschrieben wurden, könnte man bei manchen Passagen meinen, sie seien heute verfasst worden. In ihrem Vorwort zur aktuellen Essay-Ausgabe schreibt Irene Heidelberger- Leonard, sie ist auch Herausgeberin der bei Klett-Cotta erschienenen Gesamtausgabe des Werks von Améry, denn auch: „Dieser Schriftsteller, der sich zu Lebzeiten schon als Anachronist verstanden hatte, hat sich im Nachhinein als ein Kritiker erwiesen, der seiner Zeit 50 Jahre voraus war.“ So lesen sich seine Texte, in denen er, der sich als Linker verstand, mit ziemlichem Zorn gerade gegen die Linke wandte, fast schon gespenstisch aktuell. WINA bringt im Folgenden einige Zitate – jedes für sich eine scharfe Analyse und eindrucksvolle Mahnung.
„Unter Zionismus versteht die Linke ungefähr das, was man so vor rund dreißig Jahren in Deutschland das ‚Weltjudentum‘ genannt hat. Gegen diesen Zionismus, den man auch ‚National-Zionismus‘ nennt, um ihn schon phonetisch dem Nationalsozialismus anzunähern, erhebt sich linker Purismus, linker Eifer, linke Tugend (im Sinne Robespierres). Die Linke sieht Israel als den Aggressor und Oppressor, als den Waffenträger westlicher beziehungsweise amerikanischer imperialistischer Unterdrückung.“
Aus: „Der ehrbare Antisemitismus“, 1969
„Der ehrbare Antisemit hat ein beneidenswert reines Gewissen, ein meeresstilles Gemüt. Er fühlt sich zudem, was seinem Gewissensfrieden noch zuträglich ist, im Einverständnis mit der geschichtlichen Entwicklung. Erwacht er gelegentlich aus der Dumpfheit seines Dämmerns, stellt er die rituellen Fragen. Ob Israel denn nicht ein expansionistischer Staat sei, ein imperialistischer Vorposten. Ob es nicht durch den ‚Immobilismus‘ seiner Politik das Ungemach, das von allen Seiten hereinbricht, selbst verursacht habe. Ob nicht die ganze zionistische Idee die Erbsünde des Kolonialismus trage und damit jeder mit diesem Lande solidarische Jude selber schuldhaft werde. Hier lohnt es sich kaum noch zu diskutieren.“
Aus: „Der ehrbare Antisemitismus“, 1976
„Niemand fordert von der jungen Linken, dass sie sich selbst in ihrem Bezuge zum ‚Weltjudentum‘ definiere. Niemand – und am allerwenigsten ich selbst, der ich mir immer einbildete, ihr politisch nahe zu stehen – verlangt, sie solle sich im israelisch-arabischen Konflikt, einer historischen Tragödie ohne Beispiel, eine projüdische beziehungsweise proisraelische Position beziehen. Es ist nur ein Minimum an gutem Willen und Gerechtigkeitssinn im politischen Urteil,
das ich von ihr erbitte.“
Aus: „Die Linke und der ‚Zionismus‘“, 1969
„Wie, so fragt man sich, konnte es dahin kommen? Was hat geschehen müssen, dass die Linke der Welt (nochmals: unter ‚Linke‘ wird hier immer die neue verstanden) einstimmt in einen Hassgesang gegen Israel, der, des bin ich gewiss, wenn die Dinge weiter ihren Lauf nehmen, schließlich dem schlechten unrechten Antisemitismus dienen muss? Wie ist es geschehen, dass marxistischdialektisches Denken sich dazu hergibt, den Genozid von morgen vorzubereiten?“
Aus: „Der ehrbare Antisemitismus“, 1969
„Der Antisemitismus, mit dem wir es heute zu tun haben, nennt seinen Namen nicht. Im Gegenteil: Will man ihn haftbar machen, verleugnet er sich. Man kann ihm nur schwer den Prozess machen, den er schon längst verloren hat, der aber gleichwohl ein Verfahren in Permanenz zu bleiben hätte. Was sagt der neue Antisemit? Etwas überaus Einleuchtendes: Er sei nicht der, als dem man ihn hinstelle, nicht Antisemit also sei er, sondern Anti-Zionist!“
Aus: „Der neue Antisemitismus“, 1976
„Und mit diesem schimpflichen und dummen Antisemitismus, sofern er sich nur als Anti-Zionismus geriert, solidarisieren sich junge Menschen. Nicht etwa ein paar von unverbesserlichen Eltern oder Großeltern irregeleitete Nazi-Sprösslinge, sondern vorgebliche Sozialisten. Und niemand vertritt ihnen mit der nötigen Energie den Weg. Im Gegenteil.“
Aus: „Der ehrbare Antisemitismus“, 1976
„Wird der Antisemitismus wieder gesellschaftsfähig? Die Frage wäre noch vor fünf Jahren als ziemlich absurd erschienen oder auch, wenn von Juden gestellt, als Ausdruck leicht paranoider Gemütsverfassung. Dies hat sich, so will mir scheinen, radikal geändert. Der Antisemitismus, weltund menschenunmöglich geworden durch etwas, das hier durch die Chiffre ‚Auschwitz‘ verkürzt gekennzeichnet ist, steht im Begriff, sich wieder in die politische Diskussion einzudrängen und sich ganz unverschämt breit zu machen.“
Aus: „Der neue Antisemitismus“, 1976
„Mit einem Gran Phantasie vermag jedermann sich vorzustellen, was geschähe, wenn Israel zerstört würde. Die überlebenden Israelis, dann wieder zu mythischen Wanderjuden geworden, würden sich, flüchtend vor dem Schwert des Propheten Mohammed, in die Welt ergießen. Und wieder würde diese sich verhalten wie nach 1933, da unterbevölkerte Staaten wie Kanada und Australien sich den Juden verschlossen, als wären sie Träger von Pestbazillen.“
Aus: „Der ehrbare Antisemitismus“, 1976
„Der Anti-Zionismus ist nichts anderes als die Aktualisierung
des uralten, offensichtlich unausrottbaren, ganz und gar
irrationalen Judenhasses von eh und je.“
Aus: „Der neue Antisemitismus“, 1976























