Gideon Sa’ar: „Unsere Sicherheit ist wichtiger als kurzer PR-Applaus“

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Für die Keren-Hajessod-Gala kam Israels Innenminister Gideon Sa’ar nach Wien. Über den Iran, die Haredim, afrikanische Asylanten und den stockenden Friedensprozess sprach er mit Marta S. Halpert.

wina: Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton klang nach ihrem jüngsten Besuch in Teheran stark desillusioniert. Nach den Gesprächen mit dem iranischen Außenminister Dschawad Zarif in Teheran sprach sie vom möglichen Scheitern der Verhandlungen. Gibt es genug Verständnis für Israels Sorge bezüglich des iranischen Atomprogramms?

Gideon Sa’ar: Es geht nicht so sehr um die Frage, wie weit das Verständnis der westlichen Welt in Bezug auf unsere Sorgen geht. Natürlich hätten wir auch davon gerne mehr. Es geht vielmehr um die Frage, worauf die Strategie der internationalen Gemeinschaft basiert. Ich glaube, wenn man sich das Verhalten des Iran bezüglich seines Atomprogramms ansieht, zum Beispiel auch die massive Unterstützung des syrischen Präsidenten Assad und diverser anderer Terroristengruppen, kann man das doch nicht mit einem Lächeln oder ein paar netten Phrasen wegmachen. Wenn westliche Politiker an eine Veränderung glauben wollen, dann ist das eine Politik, die einerseits auf Illusionen aufbaut und anderseits zeigt, dass an erster Stelle der Wunsch steht, nur ja keine Konfrontation zu haben. Wohin solch eine Strategie und Denkweise führt, sehen wir in Syrien bei 140.000 Toten und Millionen Flüchtlingen. Und keiner sieht die Dringlichkeit, da irgendetwas zu tun.

Erst vor einigen Wochen brachte die israelische Marine ein vom Iran entsandtes Schiff mit hunderten Raketen auf dem Weg zu Terrorgruppen in Gaza auf. Eine weitere Verschärfung der Lage?

„Hoffentlich erleben wir bald einen realistischeren Zugang zum iranischen Problem, denn dieses kann nicht nur zu einer Bedrohung Israels, sondern der ganzen Welt werden.“

Wir haben jetzt mit der Schiffsladung voller Raketen den Beweis, dass der Iran Raketen an den islamistischen Jihad und die Hamas liefert. Sollten sie auch – Gott behüte – atomare Waffen besitzen, könnten sie damit terroristische Organisationen versorgen. Hoffentlich erleben wir bald einen realistischeren Zugang zum iranischen Problem, denn dieses kann nicht nur zu einer Bedrohung Israels, sondern der ganzen Welt werden. Der Iran ist heute der gefährlichste ideologische Feind der freien Welt: Durch die Unterstützung des internationalen Terrors wirkt er destabilisierend auf die ganze Region.

Viele Länder stehen derzeit Schlange, um nach der Lockerung der Wirtschaftssanktionen mit dem Iran Geschäfte zu machen. Was kann Israel auf diplomatischer Ebene tun?

Ja, das ist schade, denn der Iran hat bisher alles bekommen, ohne irgendetwas dafür zu leisten. Wir versuchen unsere Gesprächspartner fortwährend vom Ernst der Lage zu überzeugen und hoffen, dass sie ihre Strategie letztendlich doch ändern. Aber wir sind ein kleines Land, wir tun, was wir können.

Als Innenminister stehen Sie derzeit auch vor mehreren großen Herausforderungen: Die Demonstrationen der Haredim und Jeschiwa-Schüler gegen den Armeedienst etwa war massiv.

Bei den ultraorthodoxen Männern müssen wir zwei Fragen lösen. Einerseits: Wie ermutigen wir sie, damit ein höherer Prozentsatz in den Arbeitsmarkt eintritt. Und zweitens: Wie motivieren wir sie dazu, ihren Militärdienst zu leisten. Die erste Frage ist jedenfalls die dringlichere. Das jetzt beschlossene Gesetz eröffnet diesen Menschen eine neue Perspektive: Sie können arbeiten gehen, auch wenn sie nicht beim Militär waren. Denn bisher hieß es immer, sie lernen in der Jeschiwa, daher gehen sie weder zu Zahal noch zur Arbeit. Dieser Kontext wird jetzt aufgehoben, das ist gut für die Gesellschaft, aber auch für die Ultraorthodoxen.

Bereiten Ihnen die Asylsuchenden aus Afrika auch Probleme? Und stimmt es, dass Israel die afrikanischen Flüchtlinge mit Nachdruck zum Verlassen des Landes bewegt? Die deutsche „Zeit“ berichtete über „eine Mischung aus Abschreckung und Geldangeboten“?

Die rund 60.000 illegalen Einwanderer aus Afrika, sie kommen vorwiegend aus dem Sudan und Eritrea, stellen uns vor ein sehr schwieriges Problem. Wir mussten daher Maßnahmen ergreifen und haben ihnen ökonomische Anreize für eine freiwillige Rückkehr angeboten. Da wir als einzige über eine Landgrenze mit dem afrikanischen Kontinent verbunden sind und etwa 20 Millionen Afrikaner auf eine Zukunft in einem westlichen Land hoffen, bedeutet das eine große strategische Herausforderung für uns.

Wie beurteilen Sie den derzeitigen Stand der Friedensgespräche? Es gab in Israel sehr harsche Kritik an US-Außenminister John Kerry?

Ich halte überhaupt nichts von persönlichen Angriffen, und jene auf John Kerry sind weder klug noch akzeptabel. Man kann unter Freunden manchmal auch unterschiedlicher Meinung sein, aber ich lehne jede persönliche Kritik ab, schließlich repräsentiert Kerry den Präsidenten der USA.

„Premierminister Netanjahu hat klar gemacht, dass wir die Zweistaatenlösung befürworten.“

Wir sehen, dass Abbas alles tut, um einen historischen Kompromiss zu verhindern. Wir haben bereits einen sehr schmerzlichen und hohen Preis bezahlt, zum Beispiel mit der Freilassung von 100 Terroristen, die zu den kaltblütigsten Mördern unserer Frauen und Kinder zählten. Vor der besagten Entscheidung in der Regierung hatte ich eine schlaflose Nacht, aber ich stimmte mit den anderen Kabinettsmitgliedern dafür, weil auch ich der Wiederaufnahme der Gespräche eine Chance geben wollte.

Mahmoud Abbas hat jüngst angekündigt, dass er Israel „nie als jüdischen Staat“ anerkennen würde. Was sagen Sie dazu?

Leider erkenne ich die Bereitschaft zum Frieden auf der anderen Seite nicht. Wenn Abbas keinen jüdischen Staat akzeptieren will, heißt das, er ist gegen eine Zweistaatenlösung. Ich glaube, es gibt zwei Gründe dafür: Erstens will er damit das Rückkehrrecht der Palästinenser nach Israel aufrechterhalten, was wir keinesfalls akzeptieren können. Und zweitens möchte er insgesamt Ansprüche aufrechterhalten, um den Konflikt nicht ernsthaft beenden zu müssen. Denn wenn er einen palästinensischen Staat haben möchte und auch auf das Rückkehrrecht der Palästinenser nach Israel pocht, dann sind das für eine Nation schon eineinhalb Staaten.

Ob Israel sich als jüdischer Staat definiert, wird kaum Mahmoud Abbas entscheiden?

Natürlich nicht, es zeigt aber klar, dass er nicht einmal zu einer symbolischen Geste bereit ist, die ihn eigentlich gar nichts kostet. In der Welt und insbesondere in Europa gibt es viel Verständnis für die Palästinenser, denn man sagt, sie sind schwächer, sie haben keinen Staat. Aber sie hatten in der Vergangenheit sehr oft die Möglichkeit auf eine Staatsbildung. In Wahrheit wollen sie die Zweistaatenlösung nicht, um den Konflikt endlich zu beenden, sondern um eine bessere Ausgangslage für ihre weiteren Anliegen zu haben. Abbas möchte in der UNO den Status eines Staates erlangen, ohne irgendeinen Preis dafür zu zahlen. Für einen historischen Kompromiss müsste er die mächtigen Friedensgegner in den eigenen Reihen damit konfrontieren.

Wie will Israel auf den derzeitigen politischen Druck aus den USA reagieren?

Am Rande der Keren-Hajessod-Gala. „Wir sind heute in der glücklichen Lage, dass Juden auch Juden verteidigen können.“ Marta Halpert im Gespräch mit Gideon Sa’ar.
Am Rande der Keren-Hajessod-Gala. „Wir sind heute in der glücklichen Lage, dass Juden auch Juden verteidigen können.“ Marta Halpert im Gespräch mit Gideon Sa’ar.

Auf Israel muss man keinen Druck machen, um zu einem Frieden zu gelangen. Es gibt kein anderes Volk, das sich so sehr nach Frieden sehnt. Aber es gibt lebensnotwendige Sicherheitsinteressen, auf die wir bestehen müssen. Die Suche nach Frieden hat dem Staat Israel und seinen Bürgern bereits einen hohen Preis abverlangt. Wir unterzeichneten einen Friedensvertrag mit Ägypten und zogen uns aus dem Sinai zurück, einem Gebiet, das drei Mal so groß ist wie Israel. Dieses Gebiet ist heute Hort vieler Terrorzellen. In der vergangenen Dekade haben wir uns aus dem Südlibanon und Gaza zurückgezogen. Beide Orte haben sich nun in riesige Raketenstützpunkte verwandelt. Diese Raketen zielen auf Städte und die israelische Bevölkerung. Daher können und müssen wir uns selbst beschützen. Wir sind heute in der glücklichen Lage, dass Juden auch Juden selbst verteidigen können. Das war in früheren Generationen leider nicht der Fall.

Warum gelingt es Israel nicht besser, seine prekäre Position verständlich zu machen?

Wir können mit der Hisbollah im Norden und der Hamas im Süden kein Risiko für die Sicherheit unserer Bürger übernehmen – und schon gar nicht für eine Stunde gute PR in Europa und weltweit. Die Zeit, in der Israel seine strategischen Vorteile für fünfzehn Minuten positive PR aufgibt, ist vorbei. Wir werden flexibel sein, um Frieden zu erreichen, aber es gibt rote Linien, die wir in gewissen Bereichen markiert haben und die wir unter keinen Umständen überschreiten werden.

Wo kann Israel Flexibilität zeigen?

Premierminister Netanjahu hat klar gemacht, dass wir die Zweistaatenlösung befürworten und dass wir zu territorialen Kompromissen bereit sind. Die Palästinenser haben bisher in keinem Punkt Kompromissbereitschaft gezeigt, weder bei der Grenzziehung noch bei Jerusalem oder dem so genannten Rückkehrrecht. Wir sind zu ernsthaften Verhandlungen bereit, aber wir sind sicher keine Selbstmörder.

Was macht Israel, um in Europa nicht so angreifbar zu sein?

Selbstverständlich können und müssen wir unsere Standpunkte besser verständlich machen und unsere Beziehungen zu den europäischen Staaten verbessern. Ich glaube, dass das machbar ist, trotz gewisser Vorbehalte in bestimmten Kreisen. Denn wir haben auch viele Freunde. Hier in Wien habe ich mit dem Vizekanzler und meiner Amtskollegin gesprochen, und wir wollen unsere bilateralen Beziehungen aufwerten: Wir streben sowohl gemeinsame Treffen auf Regierungsebene an, so wie mit Deutschland, Holland und der Tschechischen Republik, als auch engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erziehung, Kultur, Wirtschaft, Sport und Wissenschaft. Gute persönliche Beziehungen erleichtern vieles: Es wird leichter für beide, etwas zu verlangen, aber auch gleichzeitig etwas zu gewähren.

ZUR PERSON
Gideon Sa’ar, 1966 als Gideon Moses Serchanski in Tel Aviv als Sohn russischer Emigranten geboren. Studium der Politik- und Rechtswissenschaft an der Tel Aviv University. 1999 und 2001/02 arbeitete er als Kabinettssekretär, seit der Wahl 2003 hat er einen Sitz in der Knesset und wurde noch im selben Jahr zum Parlamentsvorsitzenden der Likud-Partei gewählt. Von 2009 bis 2013 war er Bildungsminister unter Präsident Benjamin Netanjahu, seit März 2013 ist er israelischer Innenminister.

Fotos: © Reinhard Engel

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