Die glühenden Augen der Generation Moses

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Eingehüllt in die israelische Flagge und wütend – so wurde gegen Rassismus und Gewalt gegenüber äthiopischen Juden demonstriert. Von Iris Lanchiano

Sie sind Zionisten und lieben Israel. Die Falaschas, die äthiopischen Juden, die durch die drei Operationen Moses, Salomon und Joshua in den 80er- und 90er-Jahren nach Israel gebracht wurden. Mittlerweile ist eine junge Generation an stolzen äthiopischen Israelis herangewachsen, die im Militär dienen, an den Universitäten studieren und die Kultur- und Musikszene in Israel bereichern. Aber sie fühlen sich gedemütigt, und das zu Recht. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat ein Video, in dem zu sehen ist, wie ein äthiopischer Soldat von zwei Polizisten geschlagen wird.

Mittlerweile ist eine junge Generation an stolzen äthiopischen Israelis herangewachsen.

Eine Überwachungskamera hat das Ganze festgehalten, und das Video wurde innerhalb kürzester Zeit im Internet verbreitet. Das hat zu Demonstrationen in mehreren Städten Israels geführt. In Tel Aviv wurde diese Demonstration zu einem historischen Ereignis im Kampf für die Gleichberechtigung. Ich war inmitten tausender Demonstranten, während die Eskalationen überhandnahmen.
Ich fand mich wieder in einer aufgewühlten Menschenmasse. Transparente wie „Brüder nur im Krieg“ und Parolen wie „Schluss mit Gewalt und Rassismus!“ dominierten das Straßenbild. Die junge Generation weiß, was angesagt ist und wie sie sich zu kleiden haben. Sie sind über ihre Smartphones mit Facebook und Co. verbunden. Klick! Foto geschossen und ins Internet geladen, inspiriert von Baltimore und Ferguson und dem Hashtag #BlackLivesMatter. Zwei junge Äthiopier hinter mir unterhielten sich über die Fotos und Video, die fast live im Internet erscheinen. „Mein Facebook ist voll mit Fotos, ich glaube, alle, die ich kenne, sind gerade hier.“ Tausende waren auf die Straße gegangen, um ihre Wut zum Ausdruck zu bringen.

Eine Gruppe versuchte, in das Gebäude des Rathauses zu gelangen, während andere sich zum Protest gegen den Schutzwall der Polizisten versammelten. Polizisten auf Pferden und Demonstranten standen einander gegenüber. Andere blieben lieber am Straßenrand und schauten zu. Ein Mädchen hatte sich ihr Gesicht mit weißer Farbe angemalt. Andere hatten ihre Hände mit Klebeband oder Handschellen zusammengebunden. Flaschen flogen auf die Polizisten, die ersten Wasserwerfer wurden eingesetzt. Sichtlich überfordert, versuchte die Polizei, die Menschenmenge dazu zu bewegen,  nach Hause zu gehen.

Ich fand kurz Unterschlupf im Supermarkt gleich am Ort des Geschehens. Während ich nach den schönsten Gurken für mein Abendessen suchte, hörte ich auf einmal eine Explosion. Und dann noch eine. Und noch eine weitere. Erschrocken zuckten die Menschen um mich herum zusammen. Ich fragte mich, ob jemand um sich schießt, doch beim Blick aus dem Fenster sah ich, dass die Polizei Schockgranaten und Pfefferspray eingesetzt hatte. Die Menschen liefen und schrien wild herum und hielten sich die T-Shirts über Nase und Mund. Der Supermarktmanager verriegelte schnell die Türe. „Niemand kommt jetzt hier rein, und niemand geht hier raus!“ Die Kunden im Supermarkt schauten neugierig aus den Fenstern und beobachteten, was auf dem Platz vor sich ging. Hinter mir standen drei äthiopische Mädchen. Mit Nasenpiercing, wilden Locken, Tattoos und pinkem Lippenstift. Sie waren laut und schauten hip aus. Sie erinnerten mich an Beyoncé und Rihanna. Ich hörte hinter mir, wie sie eine Packung Chips aufrissen und anfingen zu knabbern. Eine sagte zur andern: „Ich fühl mich gerade wie im Kino, es ist nicht zu glauben, was da gerade draußen passiert.“ Ich drehte mich zu ihnen und gab ihnen Recht. Wir wechselten ein paar Worte. Die Anspannung hatte ihren Höhepunkt erreicht, und eine Eskalation war nicht mehr aufzuhalten. Obwohl der Großteil friedlich demonstrierte, waren nun jene aufgeheizt, die gewaltbereit waren. Ich hörte, wie Autofenster eingeschlagen wurden und die Sirenen der Rettungswagen und Feuerwehr heulten. Ich blieb ein paar Minuten im Supermarkt und machte mich dann auf den Weg nachhause. Glücklicherweise war das nicht weit entfernt. Danach lag ich im Bett und hörte noch immer die Hubschrauber um den Yitzhak-Rabin-Platz kreisen. Und ich musste an die Mädchen aus dem Supermarkt denken, ihre Namen waren Lea, Rachel und Rivka.

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