Lena Goreliks neuer Roman über Verschweigen und Schreiben, Listen und Chaos, Tod, Leben und Zukunft. Von Alexander Kluy
Man gewöhnt sich an alles, auch an die Angst. Großmutter hatte das einmal gesagt, als faktischen Nebensatz fallen lassen, nicht mit der Schulter gezuckt, keine Pause gemacht, einmal, als sie vom Krieg sprach. Großmutter sprach selten vom Krieg.
Onkel Grischa sprach gerne vom Krieg, er sprach überhaupt gerne.“
Mit diesen Sätzen, die im Satzbau geschickt, da geschmeidig die Aussage des atemlosen Sprechens widerspiegeln, setzt der neue Roman der Münchner Autorin Lena Gorelik ein. Und zugleich werden es die letzten Sätze des Buches sein. Dann klingen sie anders, werden sie eine recht veränderte Bedeutung besitzen. Dazwischen liegt eine raffiniert, weil scheinbar ohne Raffinesse daherkommende Geschichte über eine Schriftstellerin, die in der Schreibkrise steckt. Doch dies ist kein postpostmoderner Spätling, der reichlich unkreativ um kreatives Schreiben an sich kreist. Denn Sofia, schon im Namen vorbelastet, da benannt nach Lev Tolstojs Ehefrau, ist umgeben und bedrängt von großen, schweren, dunklen Problemen. Da ist ihre dreijährige Tochter, die mit einem halben Herzen zur Welt kam, gerade so die Geburt überlebte und nun wenige Tage vor einer weiteren, der insgesamt dritten Herzoperation steht – und damit einhergehend eine alles andere denn konfliktfreie Beziehung zu ihrem Mann Florian, genannt Flox, der so ganz anders mit dieser herzabschnürenden Situation umgeht. Da ist die Großmutter, die in die Demenz abgerutscht ist und ins Pflegeheim kommt – und damit einhergehend eine alles andere denn konfliktfreie Beziehung zu ihrer, Sofias, Mutter (zu ihrem Stiefvater Frank, einem Slawisten und Wissenschaftler, hat sie eine freundschaftliche Beziehung). Mitten drin Sofia, die schon immer zu einem Hilfsmittel gegriffen hat, um Ordnung in die Unordnung zu bringen: Listen. Sie legt von Hand Listen über alles Mögliche und Unmögliche an. Überschriften, zu denen sie etwa Einträge aufhäuft, lauten: „Wenn wir in einem Film wären“, „Eigenschaften, die auf das Altern meiner Eltern hinweisen“, „Sätze, die ich von Ärzten nicht mehr hören möchte“.