
Das repräsentative Palais thront mächtig hinter einem freien Rasen. Aber von der Hauptfront aus kann man das Musée Picasso nicht betreten, denn der bescheidene Eingang in eines der bedeutendsten Museen von Paris ist in der engen Rue de Thorigny 5 im Stadtteil Marais im 3. Arrondissement. Die Schlange der Einlass Suchenden reicht fast täglich bis in die nächste Nebengasse und in den weiten Hof des ehemaligen Hôtel Salé: Die Innenausstattung des Museums hat der Schweizer Bildhauer und Designer Diego Giacometti 1985 gestaltet: Von ihm stammen das Mobiliar, die Treppengeländer und Deckenleuchten. Doch die Eröffnung des Museums im gleichen Jahr konnte Giacometti nicht mehr erleben.
Für rund 300 Werke des Künstlers Pablo Picasso aus allen Perioden seines Lebens, vor allem für dessen Gemälde und Skulpturen ist hier reichlich Platz. Die private Kunstsammlung Picassos mit den Gemälden unter anderen von Georges Braque, Paul Cézanne, Henri Matisse, Joan Miró, Amedeo Modigliani und Henri Rousseau gehört ebenso zu den Museumsbeständen. Diese Exponate haben seine Erben dem französischen Staat übergeben, um die Erbschaftssteuer nicht zahlen zu müssen. Angeblich wurde dieses Gesetz 1968 ausdrücklich noch zu Lebzeiten Picassos erlassen, um sich so einige Werke des Künstlers für den französischen Staat zu sichern.
Ein faszinierender, düsterer Einblick
in die Kunstgeschichte, der die
Verfolgung der Avantgarde
durch das Naziregime erforscht.
Hat man das Kunststück geschafft, in das Picasso-Museum hineingelassen zu werden, kann man die beeindruckende Ausstellung L’art ‚dégénéré‘: le procès de l‘art moderne sous le nazisme (Die ‚entartete‘ Kunst: der Prozess gegen die moderne Kunst unter dem Nationalsozialismus) über die sogenannte „entartete“ Kunst erleben. Es ist ein faszinierender und düsterer Einblick in die Kunstgeschichte, der die Verfolgung der Avantgarde durch das Naziregime erforscht. Die Ausstellung beleuchtet die ideologische und methodische Offensive des Naziregimes gegen die moderne Kunst an sich, legt aber den Fokus insbesondere auf die berüchtigte Ausstellung Entartete Kunst, die 1937 in München gezeigt wurde und danach als Wanderausstellung neben Berlin, Hamburg und Düsseldorf auch in Wien und Salzburg zu sehen war.
Dieser dunkle Teil der Kunstgeschichte gewährt hier mit einem vertieften historischen Kontext eine bereichernde Sicht auf das Ausmaß der NS-Verfolgung von Künstlern und Künstlerinnen: Mehr als 20.000 Werke wurden beschlagnahmt, zerstört oder verkauft, darunter solche von Größen wie Vincent Van Gogh, Pablo Picasso und Marc Chagall, dessen 40. Todestag sich am 28. März 2025 jährte.
Die NS-Propagandaschau von 1937 zeigte über 700 Werke von rund hundert modernen Künstlern, darunter Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Wassily Kandinsky, Emil Nolde, Paul Klee und Max Beckmann, in einer beschämenden Inszenierung, die den Ekel der Besucher hervorrufen sollte. Jetzt kann man im Picasso- Museum zahlreiche Werke entdecken, die aus deutschen Museen beschlagnahmt wurden: Sie zeugen von der Vielfalt der Ästhetik, auf die das Naziregime abzielte. Zu den Glanzstücken gehören Werke von Klee, Kandinsky, George Grosz, Oskar Kokoschka, u. v. a.
Ein Bereich ist auch jüdischen Künstlern gewidmet, die zu den am heftigsten angegriffenen gehörten. Um zwei Gemälde von Marc Chagall herum, die auch 1937 präsentiert wurden, sind Werke von Jankiel Adler, Ludwig Meidner, Hanns Katz und Otto Freundlich ausgestellt. Wer die Lebensläufe dieser vier weniger bekannten jüdischen Künstler liest und Exponate ihrer Werke sieht, kommt aus dem Staunen nicht heraus: Sie waren nicht nur wegweisend bis revolutionär in der Zeit ihres schöpferischen Wirkens, sondern waren vor 1933 Teil der berühmtesten Künstlergruppen – vor ihrer brutalen Vertreibung oder Ermordung.