Sich G-tt mit allen Sinnen nähern

Vor 130 Jahren wurde das Jüdische Museum Wien als erstes jüdisches Museum weltweit gegründet. Anlässlich dieses Jubiläums widmet sich die neue Schau am Standort Dorotheergasse „einem Thema, das nicht größer sein könnte“, wie es Museumsdirektorin Barbara Staudinger bei der Presseführung durch die Ausstellung formulierte: Gott. Das Kuratoren-Duo Daniela Schmid und Domagoj Akrap hat sich dabei für eine Annäherung über sieben Fragen entschieden.

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„G*tt. Die großen Fragen zwischen Himmel und Erde“ ist eine Ausstellung für Gläubige aller Religionen, für Atheisten und Agnostiker, für Interessierte an Judentum, an Kunst, an Kulturgeschichte. Es ist eine Schau, die vor allem eines bietet: viel Raum für eigene Reflexion, viel Material für Assoziationen, viele Anstöße für die positiv konnotierte Form von Diskussion und Debatte.

Leitelemente bilden gestalterisch verschiedene Nuancen blauer Wandfarbe, die Anmutung von Torarollen, auf denen in jedem Raum eine neue Frage gestellt wird, sowie Ziegelstöße, man kann sie auch als Lehm lesen, die quasi die Basis bilden. Sie werden hier nicht nur eingesetzt, um viele der in der Ausstellung gezeigten Kunstwerke näher zu erläutern, sondern dienen, teils mit Filz beschichtet, auch als Sitzmobiliar für die Besucher (Ausstellungsarchitektur: MVD Austria/Pretterhofer Arquitectos).

Judaika wiederum zeigen, wie kunstvoll diese speziellen Verbindungsstücke zwischen Mensch und G-tt gestaltet wurden. Besonders funkelnd zeigt sich etwa eine goldene Torakrone aus der Sammlung Ariel Muzicant, sie stammt aus Wien und wurde 1851 angefertigt. Eine Augenweide ist auch ein Parochet aus Venedig, aus dem Jahr 1675. Er zeigt im oberen Teil den Berg Sinai, Gesetzestafeln, Wolken, Sonnenstrahlen – all das sind typische Gestaltungselemente von Thora-Vorhängen. Ungewöhnlich ist die Darstellung des himmlischen Jerusalem im unten Teil des Parochet. Dieser ist übrigens eine Leihgabe des Jüdischen Museums Venedig.

Parochet, genannt „di Gerusalemme“, Venedig, 1675 © Jüdische Gemeinde Venedig, Inv. Nr. 6T-2

Insgesamt wartet die Schau mit einigen wertvollen Leihgaben internationaler Museen auf. Hier unterstrich Staudinger die Wichtigkeit als kleines Haus mit anderen Häusern zu kooperieren. So habe man für diese Jubiläums-Ausstellung ein paar Gustostückerln für Wien gewinnen können.

Zentrales Tempelgebäude aus dem Modell des Salomonischen Tempels, Hamburg, um 1680–1690; © SMHM / Museum für Hamburgische Geschichte / Hamburg, Inv. Nr. 1910,539

Ein solches ist zum Beispiel auch ein Modell des Salomonischen Tempels aus dem Bestand des Museums für Hamburgische Geschichte – in Wien wird das Herzstück, das Zentrale Tempelgebäude gezeigt. Das Modell wurde im 17. Jahrhundert gefertigt und war 1692 anlässlich der Aufführung der Oper „Die Verstörung Jerusalems“ (sic) in einem Nebenraum des Opernhauses aufgestellt.

Wie heißt G*tt?

Wie zeigt sich G*tt?

Wo wohnt G*tt?

Was macht G*tt?

Wie stellt sich der Mensch G*tt vor?

Wie erreicht man G*tt?

Wozu G*tt?

Diesen Fragen wird in der Ausstellung nachgegangen. Was in der Schau vor allem klar wird: es gibt hier nicht die eine richtige Antwort. Beziehungsweise geht es dem Kuratoren-Team eben nicht, hier die eine richtige Antwort zu geben. Stattdessen wird aufgezeigt, dass es verschiedene Positionen gibt – innerhalb des Judentums, aber auch außerhalb, Stichwort: Wissenschaft. Im ersten Raum, der Genesis gewidmet, erklingt zum Beispiel Weltraummusik. Aber auch die Neurowissenschaft kommt in einer Station zu Wort. Im letzten Raum der Schau wird auch Religionskritik Platz gegeben – wobei man sich hier auf die innerjüdische Perspektive beschränkt.

Da liegt dann in einer Vitrine zum Beispiel Sigmund Freuds Schrift „Die Zukunft einer Illusion“. Da ist aber auch die weibliche Sicht vertreten: Helène Aylons Arbeit „Genesis Highlighted“ aus dem Jahr 1996 las hier die Tora aus feministischer Perspektive. Sie markierte dafür alle G-tt zugeschriebenen gewaltsamen, frauenfeindlichen und sexistischen Aussagen in der Tora auf einem transparenten Papier mit einem rosa Marker. Auf mancher Seite springt einer hier die rosa Farbe nur so entgegen. Dann gibt es aber die Seiten ohne jegliches Highlighten.

Diese künstlerische Intervention ist mein Lieblingsobjekt dieser Ausstellung. Angetan haben es mir aber auch ein Kunstwerk in Form eines Eis („If the World“ von Belu-Simion Fainaru aus Haifa aus dem Jahr 2000) sowie ein spannendes aus Silber gefertigtes Objekt aus Osteuropa, datiert 18./19. Jahrhundert. Es kombiniert einen Schabbes-Leuchter mit einer Chanukkia und ist mit seinen üppigen Details eine Augenweide. Hier finden sich zahlreiche Tierelemente ebenso wie Darstellungen aus der Pflanzenwelt. Zusammen setzt sich so ein Lebensbaum, was wiederum auf die Schöpfung G-ttes verweist.

Der spannendste Querverweis wiederum ist jener in dem Teil der Schau, die sich mit der Darstellung beziehungsweise Nicht-Darstellung von G-tt befasst. Das Judentum kennt hier keine Bilder. Es gibt aber doch Versuche sich anzunähern, Stichwort: das Auge G-ttes, in Form eines Dreiecks. Es findet sich auf einem Toraschild aus Wien aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso wie auf einem Strahlenkranz aus dem 18. Jahrhundert, der vermutlich einmal Teil eines katholischen Altars war und sich heute im Stiftmuseum Klosterneuburg befindet. Das Besondere: auf diesen Dreieck findet sich ein Tetragrammaton in hebräischen Buchstaben, also den vierbuchstabigen G-ttesnamen JHWH. Wichtig hier der Hinweis von Kuratorin Schmid: viele Judaika wurden – auf Grund der Berufsbeschränkungen für Juden und Jüdinnen – von christlichen Silberschmieden angefertigt.

Tora-Krone, Wien, 1851; (c) Sammlung Ariel Muzicant

Das Schild und der Strahlenkranz sind aber auch Beispiel für ein weiteres Stilmittel dieser Schau: hier werden die Antworten auf zwei Fragen in zwei Räumen durch zwei Objekte, die durch eine Sichtachse miteinander verbunden werden, beleuchtet. Am Ende hat dann eben alles mit allem zu tun, nichts ist losgelöst.

Das illustriert auch Anselm Kiefers Gemälde „Merkaba – die sieben Himmelspaläste“. Kiefer setzt immer wieder Themen der Kabbala, der jüdischen Mystik, in Beziehung zur nationalsozialistischen Vergangenheit. In dem nun ausgestellten Werk ließ er sich von den Schriften der frühen jüdischen Mystik, den Hechalot-Texten, inspirieren. Diese Texte gehen auf die Vision des Propheten Ezechiel zurück. Darin sieht er den himmlischen Thronwagen, die Merkaba, auf der G-tt in Menschengestalt sitzt.

Die Schau setzt aber nicht nur auf verschiedenste visuelle Umsetzungen zum Thema G-tt. Angesprochen werden sollen alle Sinne. Da gibt es eben zum Einstieg Klänge aus dem Weltraum, da gibt es aber auch eine Mesusa zum Tasten. Besonders empfohlen sei aber das Riechen von Myrte im vorletzten Raum der Ausstellung. Wie riecht G-tt? Ja, vielleicht so. Das Schnuppern an diesem Duft vermittelt jedenfalls das Gefühl von: das riecht himmlisch – nach Sommer, zitronig, nach guter Laune.



G*tt. Die großen Fragen zwischen Himmel und Erde.

Jüdisches Museum Wien, Standort Dorotheergasse,

2. April bis 5. Oktober 2025

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