Haben Sie heute schon den Bunker aufgeräumt?

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Die Israelis leben immer schon mit einem Gefühl der Bedrohung, aber sie leben länger als die meisten Menschen in anderen Ländern der Welt. Kolumne Gisela Dachs

Ein paar Stockwerke unter uns im Haus wohnt ein sehr nettes altes Paar aus Litauen. Vor Kurzem kam ihr Sohn zu Besuch, der schon viele Jahrzehnte im Ausland lebt. Er ruft oft bei ihnen an, kommt zwei bis drei Mal im Jahr, und diesmal hat er unseren gemeinsamen Schutzraum im Keller inspiziert. Danach war er schwer beunruhigt. Ihn störe das Gerümpel, das dort herumstehe, der Staub, der Mangel an Stühlen, von Vorräten ganz zu schweigen. Wir sollten uns doch bitte ein bisschen mehr darum kümmern, hat er uns nahegelegt, bevor er wieder ins Flugzeug stieg. Dort, wo er wohnt, braucht man keine Bunker.

Nachrichten über den Feind gehören zum Alltag. Und das auch in der Werbung.

Bisher galt das ja auch für Tel Aviv

Dass wir ganz oben wohnen, hatte ich bisher für einen Vorteil gehalten. Es strömt viel Licht herein, und man kann über Dächer blicken. Aber jetzt wirft das Fragen ganz anderer Art auf: Wie schnell lässt es sich nachts mit zwei Kindern die Treppen (den Aufzug darf man ja nicht benutzen) nach unten laufen? Wie lange kann man es da ohne Heizung aushalten? Wie machen das eigentlich die Eltern in Sderot und Umgebung? Vielleicht bleiben die ja im Winter einfach in ihren Schlafzimmern und hoffen aufs Schicksal?

Über die iranische Bedrohung und die Möglichkeit eines Präventivschlags hat gerade der israelische Journalist und bekannte Geheimdienstexperte Ronen Bergman in einem Artikel der  „New York Times“ geschrieben. Da erzählt er, wie ihn oft Menschen auf der Straße oder im Café ansprechen und fragen: „Wann wird der Krieg ausbrechen? Wann werden die Iraner uns bombardieren?“ Er berichtet von einer „Art Panik“, die sich in der israelischen Gesellschaft ausgebreitet habe; der Befürchtung, dass es bald Raketen hageln könnte.

Ich halte das für übertrieben, auch wenn das Thema natürlich präsent ist. Ein aus Europa eingewanderter Bekannter, der – nicht mehr ganz so jung – demnächst heiratet und vor dem Wohnungskauf steht, will nur eine „mit hauseigenem Schutzkeller“. Einen solchen, glaubt er, werde man in den nächsten drei, vier Jahren sicherlich brauchen. Ans Mieten oder Auswandern denkt er allerdings nicht.

Auch die hiesige Werbung hat das Thema für sich entdeckt

Der Auftraggeber heißt Samsung. In dem Fernsehspot schlendern israelische Agenten, als islamische Frauen verkleidet, in einer iranischen Wüstenlandschaft herum. Eine von ihnen schmiert sich viel Sonnencreme ins Gesicht, „wegen der starken Strahlung“. Gemeinsam nähern sie sich einem Mann, der mit einem Smartphone an einem Tisch im Freien sitzt. Sie erkennen ihn als einen der ihren und machen sich gleich über seine neuen Applications her. Als eine der Damen vorschnell mit dem Finger auf eine Taste drückt, explodiert im Hintergrund ein riesiger Reaktor.

Teheran was not amused

Es hat Samsung in Südkorea nun mit Boykott gedroht. Nachrichten über Feinde gehören hier aber immer schon zum Alltag. Auch die jüngsten Umfragen zeigen: Fast die Hälfte der jüdischen Israelis fühlen sich existenziell bedroht und glauben nicht, dass es je Frieden geben wird. Gleichzeitig aber bestätigen sie, dass sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Fakt ist: Trotz iranischer Bombe, trotz sporadischer militärischer Auseinandersetzungen und trotz hoher Lebenshaltungskosten leben die Menschen länger als in den meisten anderen Ländern.

Nach einem OECD-Bericht ist die Lebenserwartung der Israelis die fünfthöchste der Welt. Mit einem Durchschnittsalter von 81,6 rangiert Israel damit statistisch vor den reichen Wohlfahrtsländern Norwegen, Kanada und Deutschland. Nur die Japaner (83), Schweizer, Spanienier und Italiener werden noch älter.

Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Sicherlich gibt es mehrere Faktoren, darunter das Zusammenspiel aus guter Gesundheitsversorgung und moderner Präventivmedizin. Aber auch enge soziale und familiäre Netzwerke sowie ein Grundgefühl der gegenseitigen Verantwortlichkeit scheinen wesentlich. Auch Nachbarn, die sich nicht ausstehen können, sind im Notfall füreinander da.

„Israelische Männer heiraten eher als nichtjüdische Männer im Ausland, und es wurde ja bereits bewiesen, dass die Ehe besonders Männer schützt.“ Jona Schellekens

Weltspitzenreiter aber sind die israelischen Männer mit der höchsten Lebenserwartung überhaupt: 80,2. Wissenschaftler suchen noch nach den Gründen, warum sich in Israel – anders als in anderen Ländern – die Lebenserwartung von Frauen und Männern angeglichen hat. Sie verweisen auf unterschiedliche Verhaltensweisen. „Männer sind risikofreudiger, rauchen mehr und trinken mehr Alkohol. Israelische Juden trinken weniger Alkohol. Israelische Männer heiraten eher als nichtjüdische Männer im Ausland, und es wurde ja bereits bewiesen, dass die Ehe einen Schutzeffekt für Männer und Frauen hat, aber eben besonders Männer schützt“, sagt der Tel Aviver Soziologe Jona Schellekens.

Der „Jerusalem Report“ hat da auch noch eine eigene Theorie entwickelt: Israel habe eine der höchsten Lebenserwartungen schon allein deshalb, um jene zu ärgern, die es zerstören wollen.

Die Lebenserwartung im Iran beträgt 71 Jahre und rangiert nach der UNO an 107. Stelle.

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