Hart von der Grundlinie

Der argentinische Tennisprofi Diego Schwartzman stammt aus einer jüdischen osteuropäischen Familie.

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Starker Auftritt. Diego Schwartzman beim Semifinale des diesjährigen French Open gegen Rafael Nadal. © Anne-Christine Poujoulat / AFP / picturedesk.com

Dominic Thiem schien am Ende seiner Kräfte. „Es war ein besonderes Match. Es war das erste Match für mich über fünf Stunden in meiner Karriere, ziemlich brutale Bedingungen, eine richtige Achterbahnfahrt.“ Kurz nach seinem Sieg in den US Open war Thiem im Oktober auch bei Roland Garros in Paris auf dem Weg nach ganz oben. Doch der argentinische Gegner Diego Schwartzman stellte sich im „Tennis-Thriller“-Viertelfinale als stärker heraus. Thiem, der mit ihm befreundet ist, gab sich ganz als fairer Verlierer: „Ich habe ihm gesagt, dass sein Sieg verdient war. Dank dieses Erfolges kommt er nun erstmals in die Top Ten.“
„El Peque“ – Shorty oder der Kleine  – ist der Spitzname des 28-jährigen Ausnahmetalents aus Buenos Aires. Und mit seinen 1,70 gehört er wirklich zu den kleineren Spielern, der sich dennoch in den letzten Jahren auch gegen die ganz Großen mit seinem harten Grundlinienspiel stetig nach oben gekämpft hat. Im Italian Open im September 2020 besiegte er immerhin schon die Nummer zwei der Welt, Rafael Nadal, in drei Sätzen, nur um dann im Finale der Nummer eins, Novak Djokovic, zu unterliegen.

»Ich habe ihm gesagt, dass sein Sieg verdient war.
Dank dieses Erfolges kommt er nun
erstmals in die Top Ten.«
Dominic Thiem


Schwartzmans jüdische Familie stammt aus Osteuropa. Sein Urgroßvater väterlicherseits entging dabei nur knapp dem Vernichtungslager. Schwartzman erzählte das einmal folgendermaßen: „Er war bereits im Zug unterwegs Richtung KZ, als zwischen zwei Waggons die Kupplung brach.“ Sein Urgroßvater rannte gemeinsam mit den anderen Gefangenen um sein Leben, tauchte unter – und schaffte es später auf einem Schiff nach Argentinien. Er konnte freilich kein Wort Spanisch, seine Muttersprache war Jiddisch. Diegos Großvater väterlicherseits war bereits früher aus Russland nach Argentinien ausgewandert.
Diego wurde in Buenos Aires geboren, er und seine drei älteren Geschwister besuchten dort eine hebräische Schule. Er begann bereits als Siebenjähriger, Tennis zu spielen, unter anderem im jüdischen Club Nautico Hakoah. Dieser war Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet worden, weil damals Juden in den traditionellen Sportklubs der argentinischen Hauptstadt nicht zugelassen waren.
Der Weg des kleinen Diego nach oben sollte alles andere als einfach werden. Laut Medienberichten konnte die Familie immer wieder einmal die Tennisstunden für ihn nicht bezahlen. Zu den Turnieren wurde er oft nur von seiner Mutter Silvana begleitet. „Wir teilten uns sogar das Hotelbett, weil wir uns nicht mehr leisten konnten. Und an einem Turnier verkauften wir Gummiarmbänder, um die Reise zu finanzieren“, erzählte Schwartzman vor einigen Monaten in einem Erinnerungsbericht für die Website der ATP-Tour.
Schwartzman begann seine Karriere als 17-Jähriger mit einem Pokalsieg bei einem Jugendturnier in Bolivien. Dann arbeitete er sich in diversen argentinischen Bewerben hoch, bevor er sich auf internationales Terrain wagte: erst nach Australien, dann auf unterschiedliche europäische Plätze. Seinen ersten ATP-Titel gewann er 2016 in Istanbul, zwei weitere in Brasilien und Mexiko folgten. In Istanbul hatte er übrigens ein Jahr davor schon Jürgen Melzer geschlagen. Beim Erste Bank Open in Wien im Herbst 2019 schaffte Schwartzman es bis ins Finale, doch dieses konnte Dominic Thiem für sich entscheiden. Nach seinem jüngsten, anstrengenden Sieg über Thiem in Paris wartete freilich ein noch stärkerer Gegner, der ihn im Semifinale aus dem Bewerb warf und später auch das Turnier gewann: Rafael Nadal.

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