Die Helfer des Keleti

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„Heute sind mehr freiwillige Helfer am Ostbahnhof als Flüchtlinge“, freute sich ein Budapester Aktivist Ende September in einer der Dutzenden Facebook-Gruppen. Hier, im Internet, organisieren sich Ungarn und Nicht-Ungarn, um den Flüchtlingen zu helfen, die Tag für Tag aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Pakistan und Afrika nach Ungarn kommen, um das Land in Richtung Deutschland, Österreich und Skandinavien zu passieren. Ob Jonglage-Show für die Kinder, Sprachunterricht oder Hilfe bei der Weiterreise – die Helfer des Keleti geben alles, um den Flüchtlingen zu zeigen: Ungarn ist nicht nur ein NATO-Zaun.

Text: Lisa Erzsa Weil   Fotos: Daniel Kaldori   

Es kann legitim sein, was nicht legal ist“, steht auf dem Kleinbus mit Wiener Kennzeichen, der gegen 19.30 Uhr auf den Parkplatz des Keleti-Bahnhofs einbiegt. Es folgen noch etwa zwei Dutzend weitere Fahrzeuge, der Rest parkt auf dem benachbarten II. János Pál pápa tér. Die Fahrer aus Österreich, Deutschland und der Slowakei haben alle das gleiche Ziel: die Flüchtlinge an den Ort zu bringen, ab dem sie ungehindert in ihre Zielländer weiterreisen können.

Die meisten von ihnen warten auf Angehörige oder Freunde, die noch auf dem Weg nach Ungarn sind oder sich in einem der Flüchtlingslager melden mussten.

Ein Ort der Hoffnung.  Der Platz vor dem Budapester  Keleti-Bahnhof, auf dem Tausende auf die Weiterreise warten.
Ein Ort der Hoffnung.
Der Platz vor dem Budapester
Keleti-Bahnhof, auf dem Tausende
auf die Weiterreise warten.

Über Facebook organisierte eine Frau, die sich im Ungarischen Erzsébet Szabó, im Deutschen Elisabeth Schneider nennt, den „Schienenersatzverkehr“, einen privaten Autokonvoi, der am Sonntagvormittag laut Aussage der Initiatorin mit 170 Fahrzeugen von Wien startete, um Flüchtlinge aus Ungarn nach Österreich zu holen. Keine ungefährliche Aktion, kann die Beihilfe zur Grenzübertretung von nicht gemeldeten Personen doch als Straftat angesehen werden.

Auch die 37-jährige Manuela hatte ein mulmiges Gefühl, als sie mit zwei alleine reisenden Jungen aus Afghanistan und zwei syrischen Männern die ungarisch-österreichische Grenze anfuhr: „Gar nicht nur wegen mir, sondern auch wegen der Flüchtlinge.“ Doch weder die ungarische noch die österreichische Polizei führte Kontrollen durch, ließ die Wagen, die laut Szabó insgesamt zirka 300 Flüchtlinge nach Österreich brachten, passieren. Erleichterung bei der in Wien als Sozialarbeiterin tätigen Manuela – sie konnte ihre Mitfahrer genauso ungehindert zum Westbahnhof befördern wie der Rest der Konvoi-Teilnehmer. Von dort war der Weg dann frei.

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Sie waren Ärzte, Ingenieure, Studierende.
Nun sitzen sie wartend in einem Europa, für dessen Politik Menschlichkeit nur zu oft ein Fremdwort ist.

Der Autokonvoi war von Szabó als einmalige Aktion geplant, viele Helfer am Budapester Keleti-Bahnhof sind jedoch seit Wochen hier. So wie Sára Szabolcs, die nach Feierabend und am Wochenende mit der Hilfsorganisation BK44 warmes Essen an die Flüchtlinge verteilt. „Halal?“, fragt ein junger Mann schüchtern. Sára nickt. Einsatzort ist eben jener Platz wenige Meter vom Ostbahnhof, wo auch der Autokonvoi Halt machte. Der II. János Pál pápa tér wird mittlerweile von vielen als „Afghanischer Platz“ bezeichnet; der überwiegende Teil der Flüchtlinge hier stammt aus dem von schweren Konflikten gebeutelten Land. Ihre Reaktionen, wenn Sára und ihre Kollegen ihrer freiwilligen Pflicht nachgehen, sind meist positiv und dankbar. Doch auch Skepsis und Anspannung bekamen die Helfer des Keleti schon zu spüren, „und zwar immer dann, wenn die Flüchtlinge unzureichende oder gar falsche Informationen von offizieller, staatlicher Seite bekamen“, meint die junge Ungarin. „Plötzlich konnten sie niemandem mehr trauen.“

Keleti33Eine ältere Dame mit Einkaufstrolley unterbricht das Gespräch, ihr stehen Tränen in den Augen. „Ich habe so viele kleine Kinder hier gesehen, die können doch nichts für das alles.“ Wasser und Eis habe sie ihnen an den heißen Sommertagen gekauft, spaziere jeden Tag über den Platz, um zu sehen, wie es den Menschen geht. „Das ist toll von Ihnen, dass Sie sich so einsetzen“, bedankt sich Sára. Die ungarische Durchschnittsrente beträgt umgerechnet übrigens etwas über 300 Euro.

Schuhe. Wasser. Decken.

Am Keleti ist es Abend und kühl geworden, es war ein ruhiger Tag. Statt der mindestens 2.000 Flüchtlinge der vergangenen Woche halten sich momentan nur einige Hundert rund um den Budapester Ostbahnhof auf. Die meisten von ihnen warten auf Angehörige oder Freunde, die noch auf dem Weg nach Ungarn sind oder sich in einem der Flüchtlingslager melden mussten. Doch es ist die Ruhe vor dem Sturm: Allein am Sonntag zählte die ungarische Polizei erneut 1.991 illegale Grenzüberquerer in Südungarn, darunter 518 Kinder, allen voran aus Syrien. Ein Großteil von ihnen dürfte bald wieder die Unterführungen des Keleti und den benachbarten Platz füllen.

Keleti18Doch die freiwilligen Helfer sind vorbereitet. Schuhe, Wasser, Lebensmittel, Decken, Medikamente: Die riesigen Haufen Spenden sortieren sie – allen voran die Zivilorganisation Migration Aid – vor, um so alle Nachkommenden schneller und effizienter versorgen zu können. Und auch die Flüchtlinge reagieren: „Köszönjük a segítséget“ – „danke für die Hilfe“, schreiben sie auf Pappen, mit Kreide auf Wände oder mit Teelichtern auf den Boden.

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