„Heute muss man die Männer suchen“

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Charlotte Knobloch/ © Steffen Leiprecht/froggypress.de

Sie ist seit mehr als 25 Jahren Gemeindevorsitzende, engagiert sich auf Präsidialebene im World Jewish Congress und wird trotz ihrer 80 Jahre nicht müde, jüdisches Leben in Deutschland zu gestalten. Dr. h. c. Charlotte Knobloch sprach mit Esther Graf exklusiv über das Engegement jüdischer Frauen heute.

wina: Sie sind seit 1985 Präsidentin der IKG München. Waren Sie die erste Frau in einer jüdischen Gemeinde in Deutschland, die ein solches Amt bekleidete? Wie kam es dazu?

Charlotte Knobloch: Ich war wirklich die erste Frau, die ein solches Amt bekleidet. Als man mir das angetragen hat, war ich in Israel, meine Tochter hat gerade ihr zweites Kind bekommen. Telefonisch wurde ich aufgefordert, dass ich doch als Präsidentin kandidieren möchte, man würde sich das wünschen. Meine erste Rückfrage war: Ja, was sagen denn die Rabbiner dazu? Daraufhin hat man mir gesagt, dass man nachfragen werde. Ich war sicher, dass die nein sagen werden. Mir hätte das auch überhaupt nichts ausgemacht, ich wollte diesen Job ja gar nicht. Für mich war der Sozialbereich, in dem ich mich intensiv engagiert habe, sehr wichtig. Der Rückruf kam am nächsten Tag. Zu meiner Verwunderung, denn wir sind ja eine orthodox geführte Gemeinde, hatten die Rabbiner zur damaligen Zeit überhaupt nichts dagegen. Damit musste ich zurück nach München, wo ich in der konstituierenden Vorstandssitzung zur Vorsitzenden der Gemeinde gewählt wurde. Ich war tatsächlich die erste Frau, die in der Bundesrepublik einer jüdischen Gemeinde vorstand. Heutzutage muss man die Männer suchen und die Frauen sind in der Überzahl, die eine Gemeinde führen, und ich finde das auch ganz gut so.

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wina: Wie war die Reaktion des Zentralrats und der anderen Gemeinden?

CK: Damals wie auch heute mischt sich der Zentralrat nicht in die inneren Gemeindeangelegenheiten ein. Die Gemeinden sind autonom, und der Zentralrat ist in solchen Fragen eigentlich immer völlig passiv. Erst wenn er in solchen Belangen angefragt wird, reagiert er. Ich habe damals aus dem ganzen Bundesgebiet viele Gratulationsschreiben aus den jüdischen Gemeinden bekommen, was mich sehr gefreut hat. Das war eine Angelegenheit, von der ich mir nie vorgestellt hätte, dass sie so leicht über die Bühne geht.

wina: Haben Sie so wie viele Frauen Ihrer und sogar jüngerer Generationen die Erfahrung gemacht, dass man es als Frau in gehobener Position schwerer hat als ein Mann?

CK: Ich habe es bis zum heutigen Tag in all den Bereichen und Positionen, die ich habe, nie persönlich zu spüren bekommen, dass ich eine Frau bin. Meine Meinung wurde nicht immer als die richtige angesehen, ich habe Beschlüsse nicht durchbekommen, aber das wurde nie mit meinem Geschlecht in Zusammenhang gebracht.

wina: Es ist nachzulesen, dass Sie als traditionsverbundene Jüdin der liberalen jüdischen Gemeinde in München kritisch gegenüberstanden, im Jahr 2011 aber zu einem guten „Miteinander“ beider jüdischen Gemeinden aufriefen. Was halten Sie davon, dass Frauen in liberalen Gemeinden als Rabbiner, Kantor, Mohel (Beschneider, Anm. d. Red.) etc. fungieren?

CK: Früher stand ich dem tatsächlich kritisch gegenüber. Doch ich habe erkannt, dass wir uns nicht spalten dürfen, wie auch immer sich die einzelnen Richtungen darstellen. Die Spaltung wäre das Katastrophalste, wenn jeder mit seiner eigenen Meinung an die Öffentlichkeit geht. Das finde ich nicht gut. Deshalb sage ich heute, wenn es anerkannte Juden sind, können wir ihnen nicht vorschreiben, in welcher Richtung sie ihr religiöses Leben führen. Wenn sich eine liberale Gemeinde gegründet und auch Erfolg hat, dann müssen wir gemeinsam unseren Weg gehen, nicht religiös, aber zumindest in politischer Hinsicht.

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wina: Sie sind eine der Gründungsmütter der deutschen Sektion der Women’s International Zionist Organisation (WIZO) und waren Schatzmeisterin des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland. Hat sich die Position der Frauen in jüdischen Gemeinden in den letzten 25 Jahren verändert?

CK: Ich freue mich, wenn ich heute bei Veranstaltungen mit anderen Gemeinden den Überhang der Frauen sehe. Ich finde dies wichtig, da die Frauen bei uns im Bereich Religion bei Weitem nicht im Vordergrund stehen. Daher sollen wir uns besonders in unseren Positionen und verschiedenen Richtungen beweisen.

wina: Als ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Jüdischen Kongresses und amtierende Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses haben Sie Kontakt zu Jüdinnen und Juden in der ganzen Welt. Wie ist das Geschlechterverhältnis in Deutschland im Ländervergleich einzustufen? Wo gibt es Vorbilder?

CK: Ich würde Deutschland auf einer Skala von eins bis zehn im Mittelfeld sehen. Vorreiter sind natürlich die Vereinigten Staaten, weil die Frauen hier gewisse Anrechte haben, bestimmte Positionen einzunehmen, was bei uns ja noch nicht so ist. Aber ich denke, an erster Stelle ist Israel zu nennen, wenn wir an Golda Meir (Ministerpräsidentin des Staates Israel, 1969–1974, Anm. d. Red.) denken.

wina: Was halten Sie generell von Frauenquoten in Politik und Wirtschaft?

CK: Gar nichts. Für mich zählt die Leistung. Wenn eine Frau geschickter ist oder sich mehr einbringen kann in einem bestimmten Bereich, ist das in Ordnung. Das Geschlecht spielt bei diesen Dingen meiner Meinung nach überhaupt keine Rolle, die Leistung ist entscheidend.

wina: Im Januar haben Sie in München Ihr Buch „In Deutschland angekommen“ vorgestellt. Der Titel erstaunt in Betracht Ihrer Lebensgeschichte. Offensichtlich sitzen Sie nicht (mehr) auf gepackten Koffern?

CK: Man kann nur aus dem Erlebten authentisch berichten und die Folgen ziehen. Wir können nicht verzeihen. Dazu sind wir überhaupt nicht berechtigt. Aber in meinem Fall kann ich sagen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland im Bewusstsein des schwierigen Erbes, das sie zu verantworten hat, zu einer stabilen Demokratie entwickelt hat. Wenn ich das Land, in dem ich lebe, wieder als Heimat begreifen kann – und das tue ich, dann ist der Titel des Buches genau das, was ich mir gewünscht habe. Ich hoffe, dass unsere Nachkommen das in einigen Jahrzehnten auch noch bekräftigen können.

Charlotte Knobloch, geboren 1932 in München. Die ehemalige Hausangestellte ihres Onkels, Kreszentia Hummel, rettete Charlotte, indem sie das Mädchen ab 1941 als ihr eigenes uneheliches Kind ausgab. Nach dem Krieg kehrt sie mit ihrem Vater nach München zurück, wo sie noch heute lebt. Seit 1985 ist sie Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und seit 2005 Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses. Vom 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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