Über die Hochzeit von Auschwitz

Der Enkel des von den Nazis im KZ Auschwitz hingerichteten Widerstandkämpfers Rudolf Friemel (1907 – 1944), Rodolphe Friemel, übergab der Wienbibliothek im Rathaus den Nachlass seines Großvaters. Donnerstag Abend wurde eine von Albert Lichtblau, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher kuratierte Schau eröffnet, die diesen Nachlass einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Ausstellung trägt den Titel „Die Hochzeit von Auschwitz“. Die Heirat von Margarita Ferrer Rey und Rudolf Friemel im März 1944 sollte die einzige eines Häftlings an diesem Ort des Grauens sein.

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Hochzeitsfoto Rudolf Friemel und Margarita Ferrer Rey, 18. März 1944. Nachlass Rudolf Friemel, Wienbibliothek im Rathaus

„Worte an meinen Sohn, vielleicht meine letzten
Eduardo, mein Sohn
Du bist jung und weißt noch nichts
Vom Elend des Lebens.
So bist du glücklich.
Aber das Glück hält nicht lange an.
Und das Leben fordert deine Kraft,
deinen Geist und vielleicht das Letzte.
Denk immer an deine Mutter.
An diese unvergleichliche Frau,
tapfer und glücklos.
Nimm sie in deine Arme
Und mach ihr nie Kummer.
Denk ewig an sie.
Das ist, was sie wegen dir und wegen mir
Verdient hat.

Bleib aufrecht in allen Schwierigkeiten.
Sei ein guter Mensch.
Folge dem Weg
deines Vaters
Mit jeder Faser deines Willens.
Fest und kompromisslos.
Kämpfe, wie dein Vater gekämpft hat.
Für unsere Idee
Und den Fortschritt der Menscheit.
Dieser Weg ist hart:
Aber das Ziel lohnt den Einsatz
Des Menschen, der du sein musst.
Dein Vater“

Friemel, geboren 1907 und aufgewachsen in Wien, erlernte den Beruf des Mechanikers und engagierte sich schon früh politisch. Bei den Kinderfreunden und in der Sozialistischen Arbeiterjugend sozialisiert, trat er 1926 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei. Als Mitglied des Schutzbundes kämpfte er gegen den Austrofaschismus und wurde Ende 1934 verhaftet. Nach der Inhaftierung trat er der damals in Österreich verbotenen Kommunistischen Partei bei, 1937 kämpfte er als Brigadist im Spanischen Bürgerkrieg. Dort verliebte er sich in Margarita Ferrer Rey (1916 – 1987). Er war zu diesem Zeitpunkt noch mit einer Wienerin verheiratet, mit der auch einen Sohn hatte (Norbert, 1932 – 2013). Deshalb ließ er sich mit der neuen Partnerin kirchlich trauen. 1941 kam der gemeinsame Sohn Edouard in Frankreich zur Welt.

Als die kommunistische Partei empfahl, ins damalige „Deutsche Reich“ zurückzukehren, stellte er einen diesbezüglichen Antrag – historisch gesehen ein großer Fehler. Schon an der Grenze wurde die Kleinfamilie der Gestapo übergeben. Friemel wurde nach Auschwitz überstellt, Ferrer Rey und der gemeinsame Sohn in ein Heim für ledige Mütter nach Kirchheim unter Teck. Im KZ Auschwitz arbeitete Friemel als Mechaniker und schloss sich der österreichischen Widerstandgruppe innerhalb der „Kampfgruppe Auschwitz“ an. Als politischem Häftling war ihm die Korrespondenz mit seiner Familie erlaubt. Als seine erste Ehe schließlich 1941 rechtskräftig geschieden wurde, bemühte er sich, zu erreichen, Margarita auch offiziell heiraten zu können. Motivation war ein rechtmäßiger Aufenthalt für seine Frau und seinen Sohn im „Deutschen Reich“.

Überraschenderweise gelang das unerreichbar Scheinende: Im März 1944 wurden Margarita und Rudolf in Auschwitz getraut – ein einmaliges Ereignis in diesem Konzentrationslager. Das kleine Glück hielt nicht lange. Als die Widerstandsgruppe nach einem Fluchtversuch aufflog, wurden Friemel und andere nur einen Monat vor der Befreiung des KZs gehenkt. „Nieder mit der braunen Mordpest“ rief Friemel kurz vor seinem Tod.

Glückwunschbillett von Mithäftlingen, 18.3.1944. Nachlass Rudolf Friemel, Wienbibliothek im Rathaus

Es war der Schriftsteller Erich Hackl, der 2002 mit seinem Roman „Die Hochzeit von Auschwitz“ an die Geschichte Friemels erinnerte. Es war auch dieses Buch, das dem in Südfrankreich lebenden Enkel Rodolphe seinen Großvater näher brachte, wie Co-Kurator Lichtblau in der Broschüre zur Ausstellung schildert. Er war es, der im Zug der Recherchen für die Neugestaltung der Österreich-Schau in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz zu Rodolphe Kontakt aufnahm und ihn auch in Frankreich besuchte. Dabei zeigte der Enkel dem Historiker die in der Familie erhaltenen Dokumente. Erst durch dieses Treffen und die daraus resultierenden Gespräche entwickelte sich die Idee, diesen Nachlass einem Archiv zu überantworten. So kam das Konvolut an Erinnerungsstücken, das nun im Rahmen der Ausstellung im Rathaus zu sehen ist, in den Bestand der Wienbibliothek.

Rodolphe Friemel ist für die Eröffnung der Ausstellung nach Wien gereist. Die Geschichte, die die Schau erzähle, sie beginne mit Liebe, sagte er dabei. Und am Ende sei eben die Liebe stärker als all das Böse, sie stehe über allem. Er dankte Hackl für dessen Buch, mit seinen Recherchen habe er eine Verbindung zwischen einzelnen Lebensgeschichten und der großen Geschichte, die in Geschichtsbüchern nachzulesen sei, hergestellt.

Berührend bei dieser Geschichte einmal mehr: das Persönliche, das Private, die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen. Lichtblau, der den Nachlass Rudolf Friemels schließlich von Frankreich nach Wien brachte, stellt in seiner Reflexion etwa die Frage: „Was bedeutete es für ein Kind, seinen später ermordeten Vater zum letzten Mal bei einer Hochzeitsfeier im KZ gesehen zu haben, was für seine Ehefrau und die Familien?“

„Wie sehr so eine Geschichte auf den nächsten Generationen lastet, war an dem Abend mit Dodolphe sofort präsent“, hält Lichtblau zudem fest. „Kaum hatte ich zu scannen begonnen, meinte Rodolphe, sein Vater Edouard habe nie darüber sprechen wollen und auch von seiner Großmutter Marga habe er nur wenig verfahren. Sein Vater wollte vermutlich alles vergessen, er hatte eine unglückliche Kindheit gehabt, die Familie war sozial marginalisiert gewesen. Rodolphe habe erst durch die Arbeit von Ernst Hackl vieles erfahren und verstanden.“

Nun ermöglichte der Enkel, dass die Geschichte des Großvaters nicht in Vergessenheit gerät. Und irgendwie fühlt es sich so an, als ob mit der Übersiedlung des Nachlasses auch der Großvater selbst und auch sein Kampfgeist wieder nach Wien zurückgekehrt sind.

Foto des Brautpaars mit Sohn Edouard, 18. März 1944. Nachlass Rudolf Friemel, Wienbibliothek im Rathaus

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