Die jeder Hoffnung beraubten Menschen

2030

Ein Besuch in der Flüchtlingsanstalt in Holot, dem Wüstenexil hunderter afrikanischer Flüchtlinge. Von Iris Lanchiano

Eine fast dreistündige Autofahrt von Tel Aviv brachte mich an einen weit abgelegenen Ort in der Wüste. Eingezäunt und riesig. Er heißt Holot und wird von der israelischen Polizeibehörde geleitet. Ein freundlicher Polizist erklärte mir, dass Journalisten der Zugang in die Flüchtlingsanstalt nicht gestatten sei und so traf ich meinen Interviewpartner vor der Einrichtung.

Laut einem Bericht des Innenministeriums von 2015 leben ca. 45.000 afrikanische Flüchtlinge in Israel.

In der Flüchtlingsanstalt in Holot, in Israels Negev-Wüste, leben jeder Hoffnung beraubte Menschen. Ich nenne sie so. Denn solange sie keinen Status haben, haben sie eigentlich nichts. Der Völkermord im Sudan und die brutale Diktatur in Eritrea sind die Gründe, warum die meisten geflüchtet sind. Dort, wo es weit und breit nichts gibt (also fast nichts, denn es gibt ein Gefängnis und eine Militärbasis um die Ecke), befindet sich die Flüchtlingsanstalt, in der die afrikanischen Flüchtlinge auf ihr Asylverfahren warten. Abwarten ist das richtige Wort dafür, denn sie warten viel. Eigentlich warten sie den ganzen Tag darauf, dass etwas passiert. Ab und zu kommen Journalisten, NGOs oder Menschen, die helfen wollen. Sie sitzen, sie lesen, sie quatschen, sie kochen und sie trinken. Aber vor allem laufen sie. Sobald die heiße Wüstensonne etwas nachgelassen hat, schlüpfen sie in ihre Laufschuhe. Es hat eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie haben nämlich nichts zu tun. Es wird von israelischer Seite immer wieder betont, dass sie zwar nicht eingesperrt seien, denn sie können die Anstalt tagsüber verlassen, aber sie haben kein Geld, um irgendwo hinzufahren. Zum Abendessen gibt es fast täglich dasselbe: Reis und ein hartgekochtes Ei, manchmal etwas Gemüse. Die Zustände in Holot sind zwar besser als in Traiskirchen (jeder hat ein Bett, und es gibt Klimaanlagen für die 10er-Zimmer), aber die psychische Belastung ist so hoch, dass viele freiwillig das Land verlassen, weil sie es hier nicht mehr aushalten.

Ich war hier, um Jamal zu treffen, und Jamal brachte Hassan mit. Jamal und Hassan waren beide aus dem Sudan, aus Darfur. Jamal ist 36 Jahre alt und Lehrer, Hassan ist 27 und Politikwissenschaftsstudent. Sie sprachen gutes Hebräisch und Englisch. Jamal war klein, hatte eine Glatze und eine Zahnlücke im Gegensatz zu Hassan, der groß und sportlich war. Der Parkplatz vor dem Gelände ähnelte einem Marktplatz. Jamal erzählte mir von den Lebenszuständen in Holot und von seiner Flucht aus dem Sudan. Während wir im Schatten saßen, um der Augustsonne zu entfliehen, kam eine weitere Person auf uns zu und bat Hassan um eine Zigarette. „Dieser Typ ist hier durchgedreht, er ist verrückt geworden. Er sollte in psychologische Behandlung und nicht hier mit uns allen sitzen“, sagte Hassan. Jamal erzählte mir von den verschiedenen Menschen hier in Holot. „Es gibt ein Rappertrio, sie rappen den ganzen Tag. Vor einiger Zeit kamen Musiker aus Tel Aviv und sie haben zusammen musiziert. Das war toll für uns alle. Endlich etwas Ablenkung.“

Jamal war in Darfur Lehrer, und auch hier in Holot hält er ab und zu Stunden, um den anderen Flüchtlingen etwas über Israel und Politik beizubringen. „Wir haben Klassenräume hier, aber niemand lehrt uns.“ Jamal musste zusehen, wie sein Dorf niedergebrannt und sein Vater ermordet wurde. Sein größter Wunsch ist es, seine Mutter wiederzusehen. Er ist seit über zehn Jahren auf der Flucht, zuerst in Libyen, dann Ägypten und heute Israel. Hassan erzählte mir, dass sie auch hier nicht sicher sind, denn als politische Aktivisten sind ihr Leben und das ihrer Familie ständig in Gefahr. Hassans Bruder wurde im Gefängnis misshandelt, weil Hassan die Regierung in der Öffentlichkeit kritisierte. Laut einem Bericht des Innenministeriums aus dem Jahr 2015 leben ca. 45.000 afrikanische Flüchtlinge in Israel.

Was ich in Holot gelernt habe? Diese Menschen sind nicht hier, um den Staat auszunutzen, sie wollen eigentlich gar nicht hier bleiben, sie brauchen nur Schutz vor Krieg und Elend. Sie sind traumatisiert, weil sie zusehen mussten, wie ihre Eltern verbrannt oder ihre Schwestern vergewaltigt wurden.

All diejenigen, die es geschafft haben, einen Job als Tellerwäscher zu ergattern, ja diese bösen Wirtschaftsflüchtlinge, die unsere tollen Jobs als Klofrauen wegnehmen, ja diejenigen haben Glück gehabt. Die anderen werden wohl ihr Leben lang auf der Flucht sein. Doch eines vereint sie alle: Sie vermissen jenen Kriegsschauplatz, der einst ihr Zuhause war.

© flash 90

1 KOMMENTAR

  1. Sehr geehrter Herr Oberrabbiner Dr. Eisenberg !

    In der TV-Sendung „Was ich glaube“ nahmen Sie Stellung zum momentanen Flüchtlingsproblem. Als Beispiel führten Sie die biblischen Empfehlungen zum Thema „Flüchtling“ an. Soweit, so gut ! Aber ließ sich dazu nicht auch Ex.1/8-10 anführen ? Wieweit darf der Schutz und die vorausschauende Abgrenzung des eigenen Volkes gehen ?
    Mit freundlichen Grüßen
    elfriede.batik-sedlmayer@chello.at

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