Ich bin in das Judentum verliebt!

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Andrew Steiman ist Rabbiner mit Leib und Seele. Darum scheint es fast unvorstellbar, dass der studierte Wirtschaftspädagoge ursprünglich ganz andere berufliche Ziele verfolgte. Von Manja Altenburg

Dass Glauben Rabbiner Andrew Steimans Leidenschaft ist, gibt er gerne zu: „Ich bin in das Judentum verliebt!“ Seine Religiosität folgt dem orthodoxen Ritus, die aus dem „Spannungsverhältnis zum Vater, der seinen Glauben nach dem Holocaust verloren hatte und zum Großvater mütterlicherseits, der durch diese Erfahrung umso gläubiger geworden ist“, resultiert. Als Kind träumte er nicht davon, Rabbiner zu werden. Dieser Lebensplan wurde erst später geschmiedet. Oder, wie es scheint: Andrew Steiman wurde buchstäblich dazu berufen. Begegnungen in Frankfurt am Main, wo er heute wieder lebt, wirkten auf seine Berufung maßgeblich ein.

„Ein angenehmer Jude“ 1958 kommt Andrew Steiman als jüngerer von zwei Brüdern in New York zur Welt. Beide Eltern kamen aus traditionsbewussten jüdischen Familien und waren im Widerstand aktiv, bevor sie in die USA emigrierten. Mit der orthodoxen Welt des Judentums macht ihn sein Großvater vertraut. Er wird sein religiöses Vorbild. „Ich fand meinen Großvater einen angenehmen Juden, so einer wollte ich auch werden.“ Doch was kennzeichnet einen „angenehmen Juden“? Herzenswärme, Toleranz, (jüdischer) Humor, ein Brennen für das Judentum? Dann ist Rabbiner Steiman ein „angenehmer Jude“.

„Wie die Jungfrau zum Kind“ Aus beruflichen Gründen zieht Familie Steiman 1970 von New York nach Frankfurt. Ein Ort, an dem Andrew Steiman wichtige Stationen seines Lebens durchläuft: Hier feiert er nicht nur Bar Mizwa, sondern entscheidet sich auch, Rabbiner zu werden. Hier lernt er seine zukünftige Frau Nechama kennen, die er 2008 in Israel heiratet. In Frankfurt wurde seine Herzdame geboren – die heute zweijährige Tochter Chava, für die er zwei Monate lang in Elternzeit ging, als sie ein Jahr alt wurde.

Ein Leben voll Energie

Nach dem Abitur in Frankfurt studiert Steiman in Israel und den USA Wirtschaftsgeschichte und Pädagogik. Nebenher arbeitet er als Übersetzer für die UNO, später für eine Werbeagentur. Sie lockt ihn mit einem Arbeitsauftrag abermals nach Frankfurt, wo er sein Studium fortsetzt. Sein traditionelles Judentum pflegt er, aber an eine Ausbildung zum Rabbiner denkt er nicht im Geringsten. Erst die Begegnung mit dem Militärrabbiner Avi Weiss 1982, „ein frommer und moderner Mann“, bildet den Auftakt seiner religiösen Berufung. Rabbiner Weiss bindet ihn in das Jewish Program ein und überträgt ihm das Vorbeten der G-ttesdienste an Schabbat und Feiertagen. Es dauert nicht lang, bis er als Militärkantor und Lehrer unter Vertrag genommen wird. Vierzehn Jahre lang unterrichtet er Hebräisch und Religion und leitet das Jewish Program. Schmunzelnd kommentiert der studierte Wirtschaftspädagoge: „Zu meinem Beruf kam ich wie die Jungfrau zum Kind.“

Als Militärrabbiner im Kriegsgebiet

Während des zweiten Golfkrieges 1990/91 kümmert sich Steiman um Familienangehörige jüdisch-amerikanischer Soldaten und Soldatinnen, die im Irakkrieg im Einsatz sind. Hierfür reist er in Deutschland von Standort zu Standort, auch nach Belgien, Holland und Italien. Seine Gemeinde lebt verstreut von der Nordsee bis ans Mittelmeer. Alle in Europa stationierten Militärrabbiner wurden in das Kriegsgebiet beordert. Steiman vertritt sie alle. Allein.

„Dann segne mich trotzdem und versprich halt, dass du nach dem Krieg Rabbiner wirst!“ – Nicht nur diesen Wunsch hat Andrew Steiman erfülllt.

Als er wieder in Frankfurt an seiner Militärbasis arbeitet, bittet ihn ein 19-jähriger Soldat, ihn vor seinem Abflug in den Einsatz zu segnen. Dieser Bitte kann Steiman, da er weder Rabbiner noch ein Kohen, der einen Segen sprechen darf, ist, nicht nachkommen. „Dann segne mich trotzdem und versprich halt, dass du nach dem Krieg Rabbiner wirst!“, bat ihn der junge Mann. „Auf diesen Deal ließ ich mich ein. Dem jungen Soldaten war es sehr wichtig. Und der Segen hat prima gehalten!“ So absolviert Steiman zunächst eine Ausbildung zum Seelsorger an der Militärakademie West Point und danach in Israel seine (orthodoxe) Ordination zum Rabbiner. 

Ab 1996 unterrichtet er neben Englisch und Geschichte jüdische Religionslehre u. a. in Berlin an der Jüdischen Oberschule. Parallel leistet er als Wanderrabbiner Integrationsarbeit und hilft jüdischen Zuwanderern. Durch seine pädagogische Mitarbeit im Jüdischen Museum bleibt Frankfurt eine Konstante in seinem Leben. Zu der er 2003 als Altenheim-Seelsorger der Budge-Stiftung, dem einzigen jüdisch-christlichen Altenheim Deutschlands, zurückkehrt. Steiman umsorgt dort auch Schoa-Überlebende. Viele Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt empfinden die Synagoge des Heims als eine Alternative zu den etablierten Synagogen. Hier bilden junge Familien der Mittelschicht mit den Schoa-Überlebenden eine lebendige Gemeinschaft.

Steimans Arbeit in der Budge-Stiftung ist ein stückweit auch ein jüdisch-christlicher Dialog, sein weiteres Steckenpferd. Er engagiert sich im Internationalen Rat der Christen und Juden und ist Mentor des Forums junger Erwachsener der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Sein Engagement rund um das Judentum scheint schier unerschöpflich. Woher er die Energie dafür nimmt? Die Antwort ist klar: Seine persönliche Kraftquelle ist das freudige Verliebtsein in das Judentum.

Zur Person

Andrew Steiman wurde 1958 in New York geboren. Der traditionell („orthodox“) ordinierte Rabbiner ist zudem studierter Sprach- und Handelslehrer. 14 Jahre war er Militärseelsorger, Sprachlehrer und Übersetzer in der US-Armee (1982–1996) in den USA und in Europa tätig. Von 1996 bis 2003 unterrichtete er als Religionslehrer u. a. an der Jüdischen Oberschule Berlin und in Dortmund. Seit 1988 ist er als Museumspädagoge im Jüdischen Museum Frankfurt tätig. Seit 2003 ist Rabbiner Steiman jüdischer Altenheimseelsorger der Budge-Stiftung in Frankfurt, wo er mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter auch lebt.

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