TIM CUPAL
Geboren am 30. Juni 1971 in Wien, sammelte Tim Cupal seine ersten Medienerfahrungen bei Radio FM4. Ab 1996 war er Mitarbeiter beim ORF, u. a. als Redakteur und Moderator bei Ö1, Ö3, FM4 und den ORF-Regionalradios. 2009 wurde er Gastredakteur des Auslandsressorts im ORF-Fernsehen. Als Korrespondent berichtete Cupal von 2010 bis 2012 aus Washington, ab 2015 aus Brüssel. Mit Juli 2019 übernahm er das Israel-Büro von Ben Segenreich, der in Pension ging. Seit Juli 2024 ist Tim Cupal wieder in Wien: Er macht Einsätze in Brüssel und nützt seine Expertise über den Nahen Osten für den ORF. Er wurde im Dezember 2023 als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet.
WINA: Wir sehen und hören Sie in diesen Wochen im ORF als Kommentator und Moderator, weil Sie fünf Jahre aus Israel als Radio- und FernsehKorrespondent berichtet haben. Davor waren Sie bereits an politischen Hotspots wie Washington und Brüssel. Mit Juli 2019 übernahmen Sie das Israel-Büro von Ben Segenreich, der in Pension ging. Im Sommer 2024 übergaben Sie dann die Stafette an David Kriegleder. Ein ereignisarmes Land war ja Israel nie: Was hat Sie motiviert, sich für den Posten in Israel zu bewerben?
Tim Cupal: Ich habe im Jahr 2014 während der Operation „Protective Edge“ aus Gaza und Israel berichtet. In Vertretung von Ben, weil es für ihn lebensgefährlich gewesen wäre, Gaza zu betreten. Damals habe ich mich in die Region mit all ihren Geschichten, Besonderheiten und auch Problemen verliebt.
Gibt es für eine Korrespondentenstelle im Ausland ein besonderes Prozedere, das man durchlaufen muss?
I In diesem Fall hat das in erster Linie mit den Bestimmungen in Israel zu tun. Nach fünf Jahren wird das Arbeitsvisum nicht mehr so einfach verlängert. Mein Vorgänger Ben Segenreich hatte dieses Problem als israelischer Staatsbürger natürlich nicht.
Welche Erwartungen verbanden Sie mit dieser Korrespondentenstelle?
I Ich hatte schon damit gerechnet, dass der NahostKonflikt im Zentrum meiner Berichterstattung stehen wird. Aber ich habe die ersten Jahre auch viele Geschichten aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Religion machen können und das sehr genossen. Bis zum 7. Oktober.
War es schwer, sich in Israel einzuleben, auch professionell Kontakte zu knüpfen?
I Kontakte auf professioneller Ebene zu knüpfen, ist mir in Israel leichtgefallen. Interviewanfragen sind meist positiv beantwortet worden, auch weil Österreich einen durchaus guten Ruf in Israel genießt. Der Ausbruch von Corona wenige Monate nach meiner Ankunft hat mir das Einleben in Israel allerdings eher erschwert.
„Das ganze Ausmaß ist für mich erst
später, bei Besuchen in den zerstörten Kibbuzim
und am Ort des Nova-Musik-Festivals
sowie im Gespräch mit Überlebenden
und Angehörigen der Geiseln greifbar geworden.“
Sahen Sie im Jahr 2019 noch Chancen für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes?
I Wahrscheinlich mehr als jetzt. Zugleich wissen wir alle, dass es irgendwann eine Lösung geben muss. Und dass Stillstand keine Lösung ist. Als Journalist muss man mit einer gewissen Demut und Offenheit nach Israel fahren. Je mehr man über das Land und die Region lernt, desto mehr versteht man, wie unglaublich komplex die Gesamtlage hier ist. Schwarzweißdenken hilft nicht.
Wo waren Sie am Samstagmorgen des 7. Oktobers 2023?*
I Ich war bei der jährlichen Korrespondententagung in Wien und habe dann den ganzen Tag über versucht, zurück nach Israel zu kommen. Am 8. Oktober in der Früh bin ich in Israel eingetroffen und mit meinem Kameramann sofort in den Süden gefahren. Wir sind hinter Sderot mitten in der Kampfzone gelandet. Zerschossene Autos, Militärtransporte mit Toten und Verletzten, Maschinengewehrfeuer der Terroristen, Explosionen. Zu dem Zeitpunkt wusste man nicht, wie viele Terroristen noch auf israelischem Staatsgebiet versteckt waren.
Wie haben Sie von dem Ausmaß des Hamas-Massakers erfahren?
I Das gesamte Ausmaß, abseits von den reinen Opferzahlen, ist einem erst nach und nach klar geworden. Am 7. Oktober hat man die Meldungen zunächst einfach nicht glauben können, am 8. Oktober habe ich Gefechte, Chaos und Angst im Süden Israels selbst erlebt. Ich glaube, das ganze Ausmaß ist für mich wirklich erst später, bei Besuchen in den zerstörten Kibbuzim und am Ort des Nova-Musik-Festivals sowie im Gespräch mit Überlebenden und Angehörigen der Geiseln greifbar geworden.
„Je mehr man über das Land und die Region lernt,
desto mehr versteht man, wie unglaublich komplex
die Gesamtlage hier ist.“
Tim Cupal
Was war das Schönste, das Sie in diesen fünf Jahren erlebt haben, und was war das Schlimmste?
I Das Schönste? Schwierig: Wahrscheinlich ein Schabbat mit Klezmer-Musikern und Tanz in Jerusalem oder ein Sonnenaufgang am heiligen Berg der Samaritaner. Das Schlimmste … es hat immer wieder gefährliche Situationen gegeben, mit nationalreligiösen Siedlern, mit radikalen Palästinensern. Aber wenn wir bei den Superlativen bleiben, dann war der absolute Tiefpunkt mit Sicherheit alles rund um den 7. Oktober 2023.
Hatten Sie je Klagen aus Wien oder aus der jüdischen Community wegen Ihrer Berichterstattung?
I Natürlich hat es manchmal Beschwerden gegeben, aber im Großen und Ganzen ist mir attestiert worden, fair und ausgeglichen berichtet zu haben. Ich habe von einem Gemeindemitglied ein Feedback auf X bekommen, das mich doch bestätigt hat, denn er hat sinngemäß geschrieben: „Im Großen und Ganzen objektiv, es musste einem nicht alles gefallen, aber es war immer am Punkt.“
Haben Sie die Entscheidung, in Israel zu arbeiten, je bereut?
I Nein!
Würden Sie noch einmal das Israel-Büro übernehmen?
I Jetzt einmal sind andere am Zug, die eine sehr gute Arbeit machen. Ich will da nicht eine „Waldorf und Statler“-Muppet-Rolle übernehmen, da muss man aufpassen. Irgendwann? Ausschließen kann ich es nicht.
* Wir haben Tim Cupal auch nach seiner Familie gefragt. Er hat uns gebeten, nicht über sie zu schreiben, weil sie Drohungen erhalten hat.