Ich habe die unternehmerische Nächstenliebe erst in Israel kennengelernt

5705

Eveline Steinberger-Kern, Betriebswirtin und Energieexpertin, gründete ihre erste Hightech-Firma in Tel Aviv. Sie schwärmt von der weltoffenen Bereitschaft zum Risiko und den effektiven Strukturen im Land.

Von Marta S. Halpert

Wina: Vor der Gründung Ihres ersten Unternehmens im Jahr 2010 haben Sie reichlich Erfahrung gesammelt, sowohl in der Verbund AG als auch beim Klima- und Energiefonds der österreichischen Bundesregierung und zuletzt bei der Siemens AG. Es ging dabei hauptsächlich um Energiesysteme: Ein etwas sperriges Thema für Frauen, würde man klischeebehaftet meinen. Wie kam es zu diesem konkreten Fachinteresse, das schließlich zur Selbstständigkeit geführt hat?

ESK: Das ist ist jetzt ex post betrachtet, einfacher zu erzählen. Denn rückwirkend verbinden sich die Punkte zu einer Linie. Aber ich muss gestehen, als ich seinerzeit an der Karl-Franzens-Universität in Graz Betriebswirtschaft studiert und mein Doktorat abgeschlossen habe, war das nicht das Naheliegendste, dass ich meinen ersten Job in der Energiewirtschaft antreten würde. Mir lag aber das Thema Technik am Herzen, weil ich zu knowledge management dissertiert habe, und Teil eines regionalen Projekts war, indem der erfolgreiche Automobilcluster und die großen Zulieferfirmen in Graz eine Rolle spielten.

Wie landeten Sie dann doch im Energiesektor?

Ich war grundsätzlich immer schon offen und interessiert an Industrie und wusste auch, dass ich mein erworbenes Wissen in vielen Branchen einbringen konnte. Ich wollte nicht unbedingt in Graz bleiben, viel eher in die Welt hinaus. Daher habe ich geschaut, wo die großen international tätigen Konzerne sitzen und habe mich im Bankensektor und auch in der Automobilbranche umgesehen und beworben. Das beste Angebot habe ich von der Verbund AG bekommen, so bin ich dort gelandet.

Als Betriebswirtin hat sie das interessiert?

Ja, das hat mich interessiert und ich habe die Energiewirtschaft mehr oder weniger on the job gelernt. Dieser Sektor wurde damals liberalisiert und das war ein großer Vorteil für alle, die auch frisch nach der Ausbildung in die Energiebranche kamen. Es war alles im Fluss und in Bewegung, es konnten neue Geschäftsmodelle ausgetestet werden. Das hat mir sehr zugesagt, daher bin ich länger in Wien geblieben als ich beabsichtig hatte.

Auf der Homepage Ihres Unternehmens steht „The Blue Minds Company unterstützt Menschen darin, neue Ideen zur umweltfreundlichen Energieversorgung und -nutzung zu finden.“ Können Sie uns da einige praktische Beispiele dazu geben?

Als Konsument hat man heute natürlich mit den vielen neuen Technologien, Produkten und Services, die zuletzt auf den Markt gekommen sind, ungleich viel mehr Möglichkeiten, als noch vor einem Jahrzehnt. Man hat im eigenen Zuhause ganz neue Chancen Energie-effizient zu werden; im Bereich Wohnen, im Bereich Fortbewegung oder im Bereich Stromerzeugung. Wir haben einen Marktplatz gebaut – www.onetwoenergy.at – auf dem Nachweise von Energie-effizienten Handlungen und Maßnahmen verkauft werden können.

Gibt es dafür Anreize?

Seit 1.1. 2015 gibt es in Österreich ein Energieeffizienz-Gesetz, das heißt, wenn man z.B. wassersparsame Armaturen verwendet, also derartige Technologien einbaut, kann man diese Effizienz-Massnahmen mittlerweile auch auf einem Marktplatz handeln. Man wird dafür belohnt, dass man Energie-effizient vorgeht bzw. kann sein gutes Agieren in Geld umwandeln, etwa durch den Tausch des Heizsystems, durch Wärmedämmung, durch den Einsatz von LED-Lampen, der Teilnahme an Sprit-Fahrtrainings und vielem mehr.

Was können wir uns als einfache Energieverbraucher unter dem Begriff „Energietransformation“, den Ihre Firma Blue Minds Solutions anbietet, vorstellen?

Mit Energietransformation meinen wir die Umstellung des Energiesystems auf CO2 freie Technologien. Wir gehen davon aus, dass das nicht nur bei der Stromproduktion möglich sein wird, sondern vor allem durch die Art wie wir unsere Häuser bauen und kühlen bzw. heizen und uns fortbewegen. Der Verkehr ist ein großer CO2-Emittent, aber auch die Industrie im produzierenden Bereich. Wir sind zuversichtlich, dass wir bis 2050 diese Transformation schaffen können.

Ich habe die schöne Erfahrung gemacht, dass die Israelis - ähnlich wie die Österreicher - schnell Freundschaften schließen.

Sie schreiben auf Ihrer Homepage auch von der Konvergenz zwischen Energie, Internet, Telekom, wie zum Beispiel bei den Smart Meters?

Die Energiebranche wächst zusammen mit anderen Sektoren: Wichtig ist das Internet, auch die Telekommunikation ist ein Konvergenzfaktor, denn auch der Energiebereich wird mehr und mehr digitalisiert. Es wird auch immer mehr Anbieter geben, nicht nur Stromproduzenten, die Gesamtservices aus einer Hand für den Kunden anbieten. Jemand der heute Handy-Verträge verkauft, kann morgen genau so gut auch Strom und andere Energien sowie Mobilität anbieten.

Wie sieht die Akzeptanz dieser neuen Denkansätze und deren praktische Umsetzung aus? Wo ist der Zuspruch größer, im öffentlichen Sektor bei den privaten Unternehmen? Wer nimmt ihre Beratung in Anspruch?

In erster Linie Wirtschaft und Industrie, wir arbeiten nicht nur in Österreich, sondern auch im Ausland. Das müssen nicht zwingend Firmen sein, die aus der Energiebranche kommen: Da sind wir wieder bei der Konvergenz, auch andere Unternehmen drängen in den Energiebereich, zum Beispiel, die ganze Logistikbranche und die Automobilwirtschaft. Das sind Technologiebereiche, die auch mit eigenen Geschäftsmodellen im Bereich Energie tätig werden möchten.

Blue Minds Israel ist entstanden, als es das Unternehmen in Wien noch gar nicht gab.

Sie haben auf Ihrer Firmen-Homepage die Städte Wien und Tel Aviv gleichwertig nebeneinander aufgelistet. Wie kam es zu Ihrem Engagement in Israel?

Das war für mich ein sehr bewusster und durch und durch geplanter Schritt: Mit meinem Abschied von Siemens und der Entscheidung des Konzerns den Solarbereich in Israel aufzugeben, ergab sich für mich die Möglichkeit ein interessantes Geschäftsmodell, das ich in der Schublade hatte, zu realisieren. Ich hatte mir zwischenzeitlich ein Netzwerk in der Energiewirtschaft aufgebaut. Meine privaten Beziehungen datieren schon länger zurück. Ich habe die schöne Erfahrung gemacht, dass die Israelis – ähnlich wie die Österreicher – schnell Freundschaften schließen und gute halten dann auch. Gemeinsam mit einem Ex-Kollegen saß ich eines Abends am Strand von Tel Aviv und wir haben entschieden, gemeinsam etwas zu machen. Es ist mir weiters gelungen, israelische Investoren zu finden, die auch Experten im Energiebereich sind, und so haben wir dann eine GmbH in Tel Aviv gegründet. Blue Minds Israel ist entstanden, als es das Unternehmen in Wien noch gar nicht gab.

Um welches Projekt ging es da?

Es geht um eine Big-Data Software für Energieeffizienz, die Daten aus Smart Meter von Energiekunden (Strom, Gas, Wärme) sammelt, auswertet und analysiert. Auf Basis dieser intelligenten Datenauswertung können viele verschiedene Anwendungen für Energieversorger und Endkonsumenten gebaut werden, wie voraussschauende Prognosen, flexible Tarife, exakte Kundensegmentierungen und eine Basis für neue Energieservices rund um Solar, Elektromobilität oder Mikronetze.

Hatten Sie Erfolg mit Ihrer Idee?

Ja, wir kommen gut voran. Das globale Marktpotential für Energiemanagement-Anwendungen ist enorm; wir sprechen hier von einem Milliardengeschäft. Und smart meters werden jetzt weltweit überall eingeführt. Anfang 2015 hat alles begonnen, vor allem auch, wie wir die Israel Electric Company als Beta-Site Partner gewinnen konnten. Da immer ein Energieversorger bzw. Netzbetreiber einen Smart Meter ausrollt, war das wichtig.

Wo ist der Sitz Ihrer Firma?

Wir haben heute eine Mannschaft von 20 Leuten in Kfar Saba. Wir wachsen schnell und suchen daher schon wieder neue Büros. Ich hatte Glück und die richtigen Kontakte und konnte aus dem renommierten israelischen Software Engineering – Potential Weltklasse-Programmierer an Bord holen. Im September 2015 hat das Team mit dem Programmieren begonnen und bereits jetzt haben wir eine Beta Version, die wir in fünf Märkten testen.

Wo finden die Tests statt?

Die aktuelle Version haben wir jetzt bei diversen Energieversorgern in den Test gebracht und zwar in Griechenland, Italien, der Türkei und klarerweise in Israel und Österreich. Wir wollen im Jänner 2017 marktreif sein. Jetzt bereiten wir uns gerade auf den Marktauftritt vor.

Wie häufig fahren Sie nach Israel?

Ich fahre ja sehr gerne: In letzter Zeit einmal im Monat, dann gibt es Phasen, wo man auch viel über skype erledigen kann. Aber manchmal ist es notwendig, sich persönlich zu treffen, und bei 3,5 Flugstunden ist das überschaubar: Austrian und El Al fliegen jeweils zwei mal pro Tag. da ist man schnell dort.

SONY DSC
Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?

Bei der Neugründung von High-Tech-Firmen sind die Israelis den Österreichern voraus. Nicht umsonst gilt Israel als Start-up Nation: Kein anderes Land hat so viel Start-ups pro Einwohner. Das ist es aber nicht alleine: Es gibt eine perfekte Finanzinfrastruktur, wenn es um venture capital und private equity geht. Die Bereitschaft privat zu investieren ist viel  fortgeschrittener als hier in Österreich. Es gibt auch gute staatliche Programme, die leistungsorientiert den Unternehmungen helfen und sie zu Erfolgen pushen. Was aber noch dazu kommt, das sind kulturelle Faktoren: Israeli Start-ups gehen, meines Erachtens nach, sehr kooperativ miteinander um – auch wenn es sich um Mitbewerber handelt. Ich spreche kein Hebräisch, aber FIRGUN, das übersetzen wir Österreicher mit „unternehmerischer Nächstenliebe“. Und das erlebe ich hier selten, das gibt es dort. Das ist erstaunlich und für mich etwas Neues. Auch diese Chuzpe – diesen Begriff verwenden wir ja auch – dass man Autoritäten herausfordert und sich vieles traut, sich auch mehr zutraut. Die Phase des Hinterfragens: „Ist das was für mich?“ wird sehr intensiv gelebt. Wenn dann ein JA folgt, kann man davon ausgehen, dass das ein starkes und nachhaltiges commitment wird, berechenbar und verlässlich –  und das ist eine schöne Eigenschaft.

Also doch Unterschiede beim Umgang mit Innovation?

Ja, diese Weltoffenheit: think global, act global. Dass man nicht nur für den kleinen israelischen Markt etwas baut, sondern Dinge immer größer andenkt. Das ist schon eine befruchtende Eigenschaft, denn wenn man das von Beginn an mitdenkt, baut man sein Unternehmen ganz anders auf. Natürlich ist das auch amerikanisch geprägt, das verstehe ich auch, denn fast jeder hat irgendeine Verbindung zu den USA, auch die Rechtssysteme sind sehr ähnlich. Damit sind die Europäer hier manchmal etwas überfordert.

Gibt es Pläne für den zukünftigen Ausbau der Kooperation?

Ja, auf jeden Fall. Über unsere Consulting Schiene hier in Wien arbeiten wir auch mit der EBRD und der Weltbank zusammen und versuchen Gemeinschaftsprojekte in Israel zu finden und umzusetzen. Da geht es um Länder-übergreifende Initiativen und Projekte wie z.B. smart city, Elektromobilität, Energieffizienz oder andere Innovationen. Ich hoffe, dass sich hier etwas entwickeln kann. Eveline Steinberger-Kern, 44, studierte in Graz Betriebswirtschaftslehre, promovierte 1998 an der Karl-Franzens-Universität und absolvierte das Young Management Programm im INSEAD, Fontainebleau. Sie war von 1999 an für die Verbund AG in Wien, u. a. als Geschäftsführerin der Verbund-Sales GmbH tätig. Der Klima- und Energiefonds der österreichischen Bundesregierung war ihre nächste Station. 2010 gründete sie mit green minds e. U. ihr erstes Unternehmen und beteiligte sich an Start-ups im Umfeld der dezentralen Energieversorgung. Von 2012 bis 2014 war sie bei der Siemens AG Österreich für das Energiegeschäft in Ost- und Südosteuropa verantwortlich. The Blue Minds Company GmbH mit Sitz in Wien und Tel Aviv ist ein Relaunch der 2010 gegründeten green minds e. U. Sie ist mit Bundeskanzler Christian Kern verheiratet, ihre gemeinsame Tochter Carla ist neun Jahre alt.   Bild: © Reinhard Engel

Das könnte Sie auch interessieren:

1 KOMMENTAR

  1. Eveline Steinberger-Kern ist seit fast 20 Jahren erfolgreich in der Energiebranche tätig und wird daher höchstwahrscheinlich auch dieses neue Unternehmen ein Erfolg werden !

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here