„Ich lasse am liebsten die Kunst sprechen“

Einen berührenden Abend lang erinnerte Martina Gedeck im Wiener Akzent an den einzigartigen Kosmos von Czernowitz. In einer Collage mit Musik von Alexander Kukelka interpretierte sie Texte von Rose Ausländer, Paul Celan, Selma Meerbaum-Eisinger, Karl Emil Franzos und anderen. In den Medien als schwierig, geheimnisvoll und unnahbar beschrieben, war die prominente deutsche Schauspielerin im persönlichen Gespräch offen, unkompliziert und herzlich.

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Martina Gedeck. „Ich finde, die Kunst an sich soll gefeiert werden, sie steht für sich.“ © Archiv Theater Akzent

WINA: Sie sind mit einem erlesenen Minoritätenprogramm für einen musikalisch-literarischen Abend nach Wien gekommen. Wie kam es dazu?
Martina Gedeck: Ich mache in Deutschland schon seit Jahren Wort-Musik-Programme, bei denen ich gemeinsam mit Musikern zu einem Thema auftrete. Das Vienna Clarinet Quartet habe ich bei einem Literaturfestival in Bad Homburg kennengelernt, wo wir dann einmal auch schon die Czernowitzer Skizzen mit großem Erfolg aufgeführt haben, und da entstand der Wunsch, dieses Programm auch nach Wien zu bringen.

Das Programm Klein Wien am Pruth erinnert an eine untergegangene Welt, an Czernowitz als Zentrum jüdischer Kultur. Was verbinden Sie mit dieser Welt?
❙ Das ist etwas, was ich auch beim Filmen erlebe: Wenn man in die Vergangenheit eintaucht, kommt man in Bereiche, die es so nicht mehr gibt. Czernowitz ist da noch mal etwas Besonderes. Das hat auch mit der Zeit tun, in der diese Texte entstanden, vor dem Ersten Weltkrieg, eine Zeit des großen Umbruchs, in der das Leid, das dann passiert ist, noch vor den Menschen lag. Das ist das Ungeheuerliche, wenn man merkt, wie blühend diese Kultur war, wie lebendig es dort war, wie viele Künstler da gelebt haben, welch große Vielfalt und kulturellen Reichtum es da gab. Es haben ja viele verschiedene Volksgruppen dort zusammengelebt. Das ist der Reiz und das Besondere daran. Es ist auch immer mit Schmerz und Leid, mit dem Vergehen verbunden. Die Texte von Rose Ausländer oder Paul Celan sind ja ungeheuerliche, fantastische Gedichte, die man eigentlich gar nicht mehr hört. Deshalb gehe ich mit diesen Texten auch gern ans Publikum.

»Meine ganze Generation und auch mich selbst bewegt die Nazizeit noch immer.«
Martina Gedeck

Wie kam es zur Textauswahl?
❙ Musik und Textauswahl kommen vom Komponisten Alexander Kukelka. Beides ist sehr fein aufeinander abgestimmt und geprägt durch starke Gegensätze, Komisches und Trauriges werden scharf gegeneinander gesetzt, und so entsteht ein ganz lebendiger, eben Czernowitzer Kosmos.

Sie haben in Deutschland bereits einen Leseabend mit Lyrik von Else Lasker-Schüler gestaltet. Welche Beziehung haben Sie zu dieser Schriftstellerin?
❙ Else Lasker Schüler war eine ganz besondere Person. Sie hat die schönsten Liebesgedichte geschrieben und eine Welt geschaffen, die den Zauber der Kindheit nie verloren hat und in der sie sich sehr frei bewegt hat. Die drohende Gefahr, der Schrecken der beiden Weltkriege war für sie spürbar und gegenwärtig, und sie hat dagegen angeschrieben. Ihre ganze Lyrik zeugt davon, ein Aufbäumen dagegen und ein Kämpfen für andere, die in Gefahr oder schon fast verloren waren. Da hat sie sich sehr bemüht darum.

Gerade in Zusammenhang mit Lasker-Schüler haben Sie einmal betont, dass Ihr Engagement für sie auch ein Statement gegen den wieder aufflammenden Antisemitismus sei. Gilt das auch für das gesamte Programm?
❙ Es schwingt mit, es ist ja Teil der Literatur. Ich lasse am liebsten die Kunst sprechen. Ich finde, die Kunst an sich soll gefeiert werden, sie steht für sich. Man sollte sie sprechen lassen, und wenn man ein Ohr dafür hat – umso besser.

Sie haben in einem Streifen über Anne Frank deren Mutter gespielt und im kontroversiellen Film Jud Süß die jüdische Ehefrau Ferdinand Marians (die in Wirklichkeit gar keine Jüdin war). Ist es für Sie belastend, in solche historischen Identitäten zu schlüpfen – auf der anderen Seite des Spektrums etwa Ulrike Meinhof?
❙ Meine ganze Generation und auch mich selbst bewegt die Nazizeit und alles, was damit zusammenhängt, in Deutschland noch immer. Die deutsche Vergangenheit, auch die 40 Jahre geteiltes Deutschland wird auch im Filmbereich behandelt. Es ist wichtig für eine Gesellschaft, sich damit auseinanderzusetzen, und ich habe das immer gern gemacht, eben mit den Mitteln der Schauspielerei, was anderes kann ich nicht. Da ist es schon schön, wenn man dann einer Figur wie der Edith Frank, die ja bei ihrer Tochter im Tagebuch ein bisschen schlecht wegkommt, weil die gerade in der Pubertät war, ein anderes Gesicht geben kann und sie auch in ihrer Wärme und Großzügigkeit, die sie hatte, zu zeigen. Ich finde die Komplexität, die jedem Leben eingeschrieben ist, hochinteressant. Dem kann man mit einer differenzierten Performance wieder eine Art von Wirklichkeit verleihen. Das habe ich auch bei Clara Schumann oder Ulrike Meinhof versucht. Man kann diesen Menschen natürlich nicht gerecht werden, das wäre ja vermessen, aber ich fühle eine Art von Verantwortung den gelebten Menschen gegenüber und kann dazu einladen, über sie nachzudenken.

Ist es für Sie schwieriger, Texte männlicher Autoren wie Paul Celan oder Karl Emil Franzos zu interpretieren als weibliche Texte, etwa von Rose Ausländer?
❙ Es fühlt sich für mich schon anders an, aber andererseits werden ganz allgemein gültige existenzielle Dinge verhandelt, die werden von beiden ähnlich empfunden. Ich bin da eine Übermittlerin der Inhalte und kann mich auch in einen Mann verwandeln.

Bei Lesungen gibt es anders als im Film den unmittelbaren Resonanzraum des Publikums. Wie reagieren Sie darauf, spüren Sie da was?
❙ Natürlich. Beim Performen vor Publikum ist es immer ein Austausch, eine persönliche Begegnung. Ich merke, wie aufmerksam und gebannt die Menschen sind. Else Lasker-Schüler hat das einmal schön ausgedrückt, sie hat ja auch vor Publikum vorgetragen: Alles, was ich spreche, ist für die Ewigkeit. Das heißt, das, was wir gemeinsam erleben in einem Raum, das ist eigentlich für die Ewigkeit, nicht der Film oder die Tonaufnahme, die Konserve, sondern der Moment der Begegnung, das ist für die Ewigkeit. Was ich für den Film, fürs Fernsehen vor Jahrzehnten gemacht habe, ist irgendwo in den Archiven, aber wenn man jemanden mit seiner Anwesenheit berühren kann, das gesprochene Wort, das in den Äther eingeht, das ist dort aufgehoben und bleibt.

Begegnungen mit dem Publikum gibt es auch im Theaterraum. Sie kommen, wie Sie erzählt haben, häufig nach Wien. Würde es Sie reizen, einmal hier Theater zu spielen?
❙ Ja, natürlich. Wien ist ja eine Theaterstadt. Und ich stehe sehr gern auf der Bühne.

Wir bekommen ja einen neuen Burgtheater-Direktor. Also vielleicht?
❙ Wer weiß?!


Martina Gedeck,
1961 in München geboren, spielte nach ihrer Schauspielausbildung am Theater und in vielen Fernsehserien. Mit Bella Martha gelang ihr 2001 der erste große Filmerfolg. Gerühmt wird sie vor allem für ihre sensible Darstellung von Frauencharakteren wie etwa in der Literaturverfilmung Die Wand. Als eine der besten deutschen Schauspielerinnen wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Martina Gedeck lebt in Berlin mit dem Schweizer Regisseur Markus Imboden zusammen.

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