„Ich mag diese leuchtenden Augen“

Viele Jahre pendelte Rachel Mosser zwischen Israel und Österreich. Nun ist sie endgültig in Wien zu Hause, zieht ihren Sohn groß, der heuer eingeschult wurde, und arbeitet als Sprachförderin.

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Rachel Mosser: Die Tochter eines Israelis und einer Österreicherin ist mittlerweile in Wien angekommen. ©Daniel Shaked

Die Corona-Krise hat das Land auch diesen Herbst fest im Griff, und so treffe ich Rachel Mosser in einer Umgebung, die ihr auch in ihrem Alltag nicht fremd ist: auf dem Spielplatz in der Venediger Au. Hier kommt sie oft mit ihrem Sohn her, nachdem sie ihn von der Schule abgeholt hat, und kennt den Ort daher in allen Jahreszeiten. Auf einem anderen Spielplatz ist sie beruflich manchmal anzutreffen: nahe des Kindergartens in Wien-Favoriten, in dem sie als Sprachförderin tätig ist.
Dabei versucht sie Tag für Tag, Kindern, die eine andere Muttersprache als Deutsch haben, die deutsche Sprache näher zu bringen: beim Basteln, beim Vorlesen, beim Spielen. Was sie an ihrer Tätigkeit mag? „Die Begegnung mit den Kindern. Diese kleinen Menschen sind so dankbar für die Zuwendung, das Interesse, die Aufmerksamkeit. Ich mag einfach diese leuchtenden Augen. Und ich finde, es ist eine sinnvolle Arbeit. Das sind Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen Geschichten, und ich kann da sein und ihnen vielleicht ein bisschen etwas mitgeben.“
Mosser ist angekommen: im Beruf, aber auch in Wien. Hier wuchs sie als Tochter eines Israelis und einer Österreicherin auf und maturierte an der ZPC-Schule, bevor sie Alija machte. In Tel Aviv absolvierte sie zunächst einen einjährigen Vorbereitungslehrgang, bevor sie an der Uni für jüdische Studien inskribiert. Nach zwei Jahren in Israel zog es sie aber zurück nach Wien: „Ich hatte das Gefühl, ich muss hier noch etwas zu Ende bringen. Ich wollte eigentlich gar nicht lange bleiben, nur hier fertigstudieren und dann wieder zurück nach Israel gehen.“
Das Judaistik-Studium an der Uni Wien schloss sie aber nicht ab, entschied sich zunächst dafür, Bildungswissenschaften zu studieren und tauchte dann in den Tanz ein. Sie machte eine zweijährige Tanzausbildung, „dann war mir aber irgendwann klar, davon kann und will ich nicht leben“. Das war der Punkt, an dem sie zum ersten Mal beschloss, mit Kindern zu arbeiten. Im Kindergarten des Lauder-Chabad-Campus war gerade eine Stelle als Assistentin frei, und das sollte im Rückblick der Einstieg in den Beruf werden.
In den kommenden Jahren pendelte sie erneut zwischen Israel und Österreich, arbeitete aber immer wieder im Kindergarten. Nach einem der Aufenthalte in Tel Aviv kam sie schwanger nach Österreich zurück. Das war der Punkt, an dem sie schließlich beschloss, nun gänzlich in Wien zu bleiben. Mit dem Vater ihres Sohnes Joel, der heute sechs Jahre alt ist, ist sie aber in Kontakt – so kann Joel seinen Vater auch regelmäßig sehen. Heute sei sie froh, dass sie hier so entschieden habe, sagt sie. Es sei auch darum gegangen, nicht in eine Abhängigkeit zu geraten.
So absolvierte sie am Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum (JBBZ) die Ausbildung zur Kindergruppenbetreuerin. Über das Frauenberatungs- und -bildungszentrum abz*austria erfuhr sie, dass die Stadt Wien Sprachförderinnen sucht. Nun arbeitet sie in einem Kindergarten eines türkischen Vereins. Die Mehrzahl der Kinder, die hier betreut wird, verfügt bis zum Eintritt im Alter von drei Jahren über keine Deutschkenntnisse. Das Gros der Mädchen und Buben kommt aus Familien mit türkischem Background, einige wenige kommen aus bosnischen Familien. Vergangenes Jahr gab es auch ein Kind aus einer Flüchtlingsfamilie, in der Kurdisch und Arabisch gesprochen wurde.

»Es gibt so viele tolle Kinderbücher,
aber das sprachliche Niveau
ist bei den Kindern
leider so niedrig,
dass ich mit ihnen vieles nicht lesen kann.«

Rachel Mosser

Wortschatz erweitern. Die Kinder sprechen untereinander meist Türkisch, erzählt Mosser. „Das Problem ist hier die Homogenität – es gibt keine Durchmischung.“ Die Pädagoginnen ermahnen oft, Deutsch zu sprechen. Das werde auch von den Behörden so gefordert. Mosser aber sagt, sie verstehe die Kinder. Türkisch sei für die meisten die Muttersprache. Immer wieder komme es vor, dass da auch die wenigen Kinder ohne Türkischkenntnisse mit der Zeit etwas Türkisch lernen.
Sie selbst lerne ebenfalls – in diesem Fall aber ganz bewusst – Türkisch. „Auch die anderen Pädagoginnen haben schon einen Grundwortschatz. Wir müssen nicht die Sprache lernen, aber manchmal ist es schon sehr praktisch. Oft beginnen die Dreijährigen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Sie lernen dann zwar extrem schnell, aber es ist sehr hilfreich, wenn man ein paar Worte kann.“
Als Sprachförderin begleitet sie an ihrem Standort die Kinder von zwei Gruppen. So ist auch ein kontinuierliches Lernen möglich. Das Lernen passiert dabei nebenbei. Deutschunterricht im Kindergarten ist kein gezieltes Vermitteln, sondern eben mehr ein Begleiten. Man benennt im Gespräch mit den Kindern Dinge, um den Wortschatz zu erweitern. Man bastelt mit ihnen, spielt, liest vor. Wobei Rachel Mosser sagt, dass es gar nicht so leicht sei, hier Kinderbücher zu finden, deren Bilder ansprechend und deren Geschichten mitreißend sind. „Es gibt so viele tolle Kinderbücher, aber das sprachliche Niveau ist bei den Kindern leider so niedrig, das ich mit ihnen vieles nicht lesen kann.“ Man merke zudem, dass die Kinder zu Hause viel vor dem Tablet oder Smartphone sitzen. „Die Aufmerksamkeitsspanne ist leider sehr kurz.“
Die generellen Arbeitsbedingungen in der Elementarpädagogik würden es leider auch nicht erlauben, sich jedem einzelnen Kind intensiv zu widmen. Zu viele Kinder werden heute von zu wenigen Pädagoginnen betreut – darüber wird in der gesamten Branche geklagt. Dennoch versuche sie, wann immer es möglich ist, die Kinder mit offenen Fragen in ein Gespräch zu verwickeln. „Ich möchte sie anregen, selbst zu erzählen – aber ich merke immer wieder, wie ihnen die Wörter fehlen.“ Wie man sich dabei fühlt, das kennt sie von sich selbst. „Als ich in Israel war, haben mir auch immer wieder die Wörter gefehlt, wenn ich etwas erzählen wollte. Und ich weiß daher auch, wie frustrierend das ist und dass man sich dann gerne in sich zurückzieht.“
Umso mehr freut es sie, wenn sich gerade introvertierte Kinder ihr gegenüber öffnen. „Ich merke, die Kinder mögen mich und trauen sich, mit mir zu sprechen. Die Pädagoginnen müssen strenger sein, sie müssen die ganze Gruppe in Schach halten, das ist oft nicht einfach. Und da kann man auch nicht immer geduldig und empathisch agieren. Aber ich habe keine Gruppenverantwortung und tue mir da leichter. Und daher ist es dann schön, wenn man sieht, dass auch schüchternere Kinder Vertrauen fassen und zu sprechen beginnen, selbst wenn sie Fehler machen.“ Diese Fehler bessert Mosser dann übrigens nicht so aus, dass sie sagt, Achtung, das heißt eigentlich so und so. Sie wiederholt das Gesagte in der korrekten Weise – so prägt es sich bei den Kindern nach und nach ein, ohne dass sie das Gefühl haben, etwas Falsches gesagt zu haben.

Rachel Mosser,
geb. 1985 in Wien, hier Matura an der ZPC-Schule, danach Studienbeginn in Israel (jüdische Studien), Rückkehr nach Wien, aber immer wieder phasenweise in Tel Aviv, seit sieben Jahren ganz zurück in Österreich und heute als Sprachförderin in einem Wiener Kindergarten tätig. Sie ist zudem alleinerziehende Mutter eines sechsjährigen Sohnes.

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