Ich spiele mit allen Variationen

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Jessica Durlacher trinkt Kaffee

Die niederländische Autorin Jessica Durlacher im Gespräch mit Anita Pollak

Langes blondes Haar, Modelfigur, perfektes Make-up. Auf ihrer Lesereise machte die holländische Autorin Jessica Durlacher auch in Wien Station. Sie ist die Frau von Leon de Winter, dieser Hinweis fehlt in den biografischen Angaben zu ihrer Person nie. Und illustrierte Homestorys zeigen die beiden gern als literarisches Power-Couple in ihrem schönen Haus bei Amsterdam. Wie fühlt man sich als eigenständige Autorin dabei?

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„Ach, das ist für uns ein Spiel. Wir spielen ein bisschen Intimität und dann streiten wir ein bisschen, das machen wir gern für die Medien. Unseren Büchern hilft es beim Verkauf. In Holland bin ich genauso berühmt wie Leon.“

Autobiografische Bezüge

Unübersehbar sind die vielen autobiografischen Bezüge gerade in ihrem jüngsten Roman Der Sohn (siehe Besprechung).  Jacobs Figur erinnert ganz stark an Leon de Winter, und Herman Silverstein, der Vater ihrer Heldin und Ich-Erzählerin Sara, hat wohl viel mehr als seine biografischen Eckdaten mit Durlachers eigenem Vater gemeinsam. Auch das sei Teil eines Spiels, meint die Autorin.

„Jacob hat nichts mit Leon zu tun. Auch meine Kinder und mein Vater sind komplett anders. Das sind Schablonen, die ich benütze. Die Geschichte, die ich erzähle, ist so groß, dass es praktisch für mich ist, etwas Vertrautes als Ausgangspunkt zu nehmen. Ich spiele mit allen diesen Variationen und mache meine eigene virtuelle Wirklichkeit aus meiner Materie. Die Geschichte ist trotzdem rein fiktional.“

Wie die fiktionale Sara hat die reale Jessica offenbar eine starke Neigung, fast schon eine Obsession, die väterlichen Holocaust-Traumata und ihre Folgen zu thematisieren. Ein typisches Merkmal der schreibenden „Second Generation“. Sieht sie sich selbst so?

„Ich bin’s einfach. Ich sehe gemeinsame Charakteristika in dieser Generation. Das Gefühl etwa, dass das eigene Leben, das eigene Leiden nichts ist im Vergleich zu dem der Überlebenden. Das Schreiben ist für mich eine Möglichkeit zu sagen: Ich bin da, ich hab auch etwas zu erzählen. Mein Vater er sprach ein schönes, altmodisches Deutsch und war ein richtiger Deutscher hat zwar mehrere Bücher über den Holocaust geschrieben, aber uns nicht viel erzählt. Da spielt sicherlich Scham eine Rolle, das sind ja keine Geschichten, auf die man stolz ist.“

Wird sie sich als Autorin von diesem Thema einmal lösen?

„Ich denke nicht, dass ich damit abschließen kann, obwohl ich einen Band mit Geschichten geschrieben habe, die gar nichts damit zu tun haben. Aber auch eine Novelle über meinen Großvater, von dem ich fast nichts wusste und über den ich erst durch meine Recherchen mehr erfahren habe. Er war Sänger und sang sogar im KZ. Als Künstler nannte er sich Arturo d’Alberti. So heißt auch mein Buch, und ich finde, es ist eigentlich mein schönstes.“

Wie ihr Alter Ego Sara ist auch Durlacher Tochter einer Nichtjüdin, also im jüdischen Sinn keine Jüdin.

„Ich bin eigentlich gar nichts, aber ich hab eine große Beziehung zum Judentum. Da der Rabbiner in den Niederlanden Schwierigkeiten gemacht hat, haben wir in New York jüdisch geheiratet. Ich möchte einfach dazu gehören. Tradition und Moral sind mir wichtig, wir führen zwar kein richtiges jüdisches Leben, aber wir tun viel für die jüdische Gemeinschaft, nicht zuletzt durch unsere Bücher.“

Nicht nur jüdische Leserschaft

Ihre Leserschaft geht über diese Gemeinschaften jedoch weit hinaus, was Durlacher freut. „Jüdische Leser erkennen natürlich viele Dinge wieder, aber ich möchte darüber hinaus Menschen erreichen, die durch das Lesen neue Einsichten in die Welt gewinnen wollen.“

Zum Abschluss doch noch einmal zu Ehemann Leon de Winter, der ein leidenschaftlicher Anwalt Israels ist. Zurzeit berichtet er für die deutsche Zeitung Die Welt regelmäßig aus dem Amerika im Wahljahr. Nein, sie begleitet ihn dabei nicht, und ihren zweiten Wohnsitz in Kalifornien hat die Familie bereits aufgegeben, vor allem weil die Kinder in den Niederlanden zur Schule gehen. Aber Leon habe soeben einen Roman beendet, plaudert sie aus dem Literatenhaushalt.

„Ich lese ihn gerade. Es ist ein sehr merkwürdiges Buch. Er verwendet die echten Namen der Personen, verfremdet sie aber. Auch ich werde beim Namen genannt, doch im Buch verlasse ich ihn für einen richtig coolen Architekten in Venedig. Es ist ein Spiel.“

Zur Person

Jessica Durlacher, 1961 in Amsterdam geboren, ist mit ihren preisgekrönten Romanen Das Gewissen, Die Tochter und Emoticon in den Niederlanden eine Bestsellerautorin. Für Der Sohn erhielt sie bereits den Opzij-Literaturpreis 2010 als bestes Buch des Jahres. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bloemendaal.

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