Er hat nicht nur die israelische Musikszene geprägt, seine Musik hat im wahrsten Sinn des Wortes die Welt erobert. Seine weltweiten Konzerttouren wurden dieses Jahr von einem gemeinsamen Projekt mit Präsident Shimon Peres und einem Auftritt vor Präsident Barack Obama gekrönt. Im kommenden Jahr will sich Idan Raichel vor allem Zeit für seine Tochter nehmen. Von Daniela Segenreich-Horsky.
Idan Raichel hat innerhalb eines Monats sechzehn große Auftritten in den Vereinigten Staaten absolviert. Jeden zweiten Tag in einer anderen Stadt, einem anderen Hotel zu sein und jedes Mal ein neues Publikum zu erobern, ist enorm anstrengend – was gibt ihm Energie für so ein Unternehmen? „Das ist vor allem meine Familie, die jetzige und die Ursprungsfamilie, die mich sehr unterstützen. Und auch die Truppe, mit der ich arbeite, alles große Musiker und wunderbare Menschen; da macht es einfach Spaß, aufzutreten und gemeinsam Musik zu machen.“ Begleitet haben ihn dreizehn Sänger und Instrumentalisten des Idan Raichel Project aus verschiedenen Ländern, darunter Griechenland, Brasilien, Monaco und auch aus dem Sudan.
Seit der Veröffentlichung seines ersten Albums The Idan Raichel Project Anfang 2003 hat er im Rahmen dieses Projekts mit beinahe hundert Musikern verschiedenster Religionen und Nationen gearbeitet. Nur ein bis zwei Mal im Jahr tritt der Künstler alleine oder im Trio auf: „Das brauche ich für mich selbst.“ Doch meistens sitzt er am Rand der Bühne am Keyboard oder am Piano und sieht sich als Regisseur der Truppe. Er textet und arrangiert, dabei mischt er in seinen Konzerten traditionelle Instrumente aus dem Nahen Osten mit elektronischem Sound, jüdische Musik mit Klängen aus Indien, Afrika oder Lateinamerika.
Kulturelle Vielfalt. „Heute könnte die Band auch ohne mich auftreten“, kommentiert er das Ergebnis seiner Arbeit. Wenn man seinen musikalischen Stil als „israelisch“ bezeichnet, ist das für ihn das größte Kompliment, denn das bedeutet, dass es ihm gelungen ist, „den israelischen Schmelztiegel“ musikalisch darzustellen: „Ursprünglich ging es darum, der ethnischen und kulturellen Vielfalt Israels eine musikalische Bühne zu bieten und die Stimmen der Minoritäten im Land in das israelische Mainstream-Radio zubringen. Inzwischen erreichen wir immer neue Publikumskreise in der ganzen Welt und bringen auch ausländische Künstler nach Israel, überschreiten nicht nur Staatsgrenzen, sondern auch Grenzen zwischen ethnischen Zugehörigkeiten und Kulturen. Das ist ein großartiges Gefühl!“ In seinem letzten Album Quarter to Six wirken neben Musikern aus Israel auch die palestinensisch-israelische Sängerin Mira Awad, der deutsche Countertenor Andreas Scholl, Marta Gomez aus Kolumbien und Vieux Farka Toure aus Mali mit.
Begonnen hat diese steile Karriere mit dem, wie er es oft nennt, „uncoolsten Instrument überhaupt“: Als Neunjähriger lernte Raichel auf Anraten seiner Mutter das Spiel auf dem Akkordeon. Was damals vielleicht bei den jungen Damen nicht so gut ankam, hat ihm, so sieht er es heute, viel mitgegeben: „Das Akkordeon ist das perfekte Instrument für Volksmusik jeder Art. Ich habe damals begonnen, Musik aus aller Welt zu spielen, und das sind vielleicht die Wurzeln für das, was ich heute mache.“
Nach dem Armeedienst, den er bereits als Musiker in der Militärband absolvierte, arbeitete er in einem Internat für Einwandererkinder aus Äthiopien. Dort erwachte erstmals sein Interesse an deren Musik und Kultur. Mit dem Schreiben eigener Lieder begann der Musiker erst im Alter von 22 Jahren. Die Texte vieler seiner schönsten Liebeslieder stammen aus der Bibel: „Ich verwende die Bibel, weil dort die wichtigsten und schönsten Dinge bereits gesagt wurden, also ist das Beste, was ich tun kann, sie zu wiederholen. Es gibt einfach keine großartigeren Liebesgedichte als die im Buch der Psalmen.“