Lise Meitner – Wissenschafterin, Pazifistin, Jüdin – Leben und Werk einer Frau, die ihrer Zeit voraus war. Von Ron Malaev
Als dritte Tochter von Philipp und Hedwig Meitner wurde Lise Meitner am 7. November 1878 in der Wiener Leopoldstadt geboren. Die aus Mährisch Weißkirchen stammende jüdische Familie lebte damals in der Kaiser-Joseph-Straße, der heutigen Heinestraße. Meitner wurde protestantisch erzogen und im Alter von 30 Jahren durch die Taufe in die evangelische Kirche aufgenommen. Obwohl Mädchen zu dieser Zeit nicht an Gymnasien zugelassen waren, absolvierte sie nach einer Bürgerschule und Selbststudium auch die Matura am Akademischen Gymnasium Wien.
Noch im selben Jahr begann sie mit dem Studium der Physik, der Mathematik und der Philosophie an der Universität Wien, wo sie 1906 als zweite Frau in der österreichischen Geschichte promovierte. Während ihrer Studienzeit wurde Ludwig Boltzmann zu ihrem wichtigsten akademischen Lehrer und die damals neu entdeckte Radioaktivität zu ihrer Leidenschaft. Nach ihrer Promovierung bewarb sie sich bei der Chemikerin Marie Curie in Paris, war jedoch erfolglos. Deshalb entschloss sie sich, nach Berlin zu Max Planck zu gehen, dem Urvater der Quantenphysik. Hier begegnete sie dem jungen Chemiker Otto Hahn, der zu ihrem Forschungspartner für die nächsten 30 Jahre und 1938 zu ihrem Lebensretter wurde. Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit musste sie auch an diesem Institut zahlreiche Benachteiligungen als Frau erleiden. Sie arbeitete unbezahlt, musste das Institut durch den Hintereingang betreten. 1909 entdeckte sie gemeinsam mit Hahn den radioaktiven Rückstoß in einem dunklen Verschlag, der ihr als Arbeitsraum zugeteilt wurde. Auf dieser Entdeckung aufbauend entwickelten Meitner und Hahn gemeinsam die „Rückstoßmethode“, womit sie sich in der Physik einen Namen machten.
Erster Weltkrieg
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sie sich als Röntgenschwester der österreichischen Armee in einem Lazarett an der Ostfront. Hier machte sie grausame Erfahrungen mit der Brutalität des Krieges und wurde in Folge zur überzeugten Pazifistin.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde Meitner zur Leiterin der physikalisch-radioaktiven Abteilung am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, habilitierte 1922 und erhielt 1926 Deutschlands erste weibliche Professur für Physik an der Berliner Universität. Ihrem akademischen Werdegang verpasste, so wie vielen anderen jüdischen Forschern Österreichs und Deutschlands, ab 1933 der Aufstieg der NSDAP einen gewaltigen Dämpfer. Nachdem ihr im April 1933 aufgrund ihrer jüdischen Abstammung die Lehrbefugnis entzogen wurde, konnte sie ihre Forschung nicht fortsetzen.